Hohe wirtschaftliche Ziele und agile Führung sind kein Widerspruch, sind Brigitta Hager und Gerald Hackl, Geschäftsführer der Entwicklungsberatung Trigon, überzeugt.
Report: Macht langfristige Planung in der heutigen Zeit überhaupt noch Sinn?
Brigitte Hager: Es stimmt schon, dass die Planungszyklen in agileren Organisationen kürzer sind. Gleichzeitig enthebt sie das nicht davon, sich auch mit längerfristigen Überlegungen auseinanderzusetzen. Die Frage ist: Gibt es im Umfeld stabile Grundströmungen, die neben den kontinuierlichen Veränderungen bestehen?
Gerhard Hackl: Die Investitionszyklen für große Vorhaben bei der Bahn oder Flughäfen betragen häufig 40 Jahre oder mehr. Bei IT-Unternehmen hält eine Strategie oftmals keine zwei Jahre. Trotzdem macht Weitblick auch hier Sinn. Früher wurden Strategiekonzepte für fünf bis zehn Jahre in schönen Worten auf einem dicken Packen Papier ausformuliert. Heute brauchen Unternehmen eine rollierende Planung, in der regelmäßig die grundsätzliche Richtung überprüft und die entsprechenden Maßnahmen nachjustiert werden. Der Fokus liegt stärker auf Innovationen und Pilotprojekten.
Report: Wie verändert sich die Rolle der Führungskräfte?
Hager: Führungskräfte werden stärker als Enabler und Coach betrachtet. Sie müssen Vertrauen in die Organisation und in die Teams haben und für einen klaren Orientierungsrahmen zu sorgen. Agilität bedeutet nicht Beliebigkeit oder Chaos. In selbststeuernden, agilen Organisationen gelten klare Prinzipien.
Hackl: Mir hat erst kürzlich ein Manager berichtet, es sei für ihn ein neues Lebensgefühl. Er habe an den wichtigen Stellen die richtigen Leute und könne sich jetzt endlich neuen Ideen widmen. Wer selbst ein misstrauisches Menschenbild hat, zieht dagegen solche Mitarbeiter an und glaubt, sie immer anzutreiben und kontrollieren zu müssen.
Report: Sind straffe Umsatzziele ein Widerspruch zu agiler Führung?
Hackl: Überhaupt nicht. Ich habe das selbst bei Apple und Google gesehen: Die Mitarbeiter können kommen und gehen, wann sie möchten – schwimmen, Wäsche waschen oder die Gratisküche auf Haubenniveau genießen. Aber: Wenn die Ziele nicht erreicht werden, gibt es knallharte Konsequenzen.
Birgitte Hager: "Nicht alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wollen sich in größerem Ausmaß an Entscheidungen beteiligen."
Hager: Agile Gremien setzen sich sehr klare, hohe Ziele. Der wirtschaftliche Erfolg ist ein sehr zentraler Aspekt, der Purpose der Organisation hat neben den immateriellen auch klare materielle Elemente.
Der große Unterschied ist aber, ob Ziele vom Management vorgegeben oder ob sie im Konsentprinzip von einer Gruppe entwickelt und entschieden werden. Wenn gemeinsam gesetzte Ziele nicht erreicht werden, muss die Gruppe vor den Kollegen Rechenschaft ablegen. Das ist mindestens genauso herausfordernd wie einer Führungskraft gegenüber. Ich würde diese gruppendynamischen Prozesse nicht unterschätzen.
Report: Muss die Unternehmenskultur schon vor der Transformation tragfähig und reif sein?
Hager: Diese Frage wird in Fachkreisen derzeit sehr intensiv diskutiert. Es gibt natürlich Voraussetzungen, die den Prozess erleichtern. Dazu gehören eine gute Feedback-Kultur, die Lust am unternehmerischen Denken und Handeln, der Wille zum Klären und Einhalten der Rahmenbedingungen, die Freude an Beteiligung, Entscheidung und Teamarbeit. Einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden diesen Zugang nicht mittragen. Sie verrichten ihre Arbeit und erwarten dafür Wertschätzung, wollen sich aber nicht in größerem Ausmaß an den Unternehmensentscheidungen beteiligen. Jede Organisation muss daher entscheiden, wie sie mit den unterschiedlichen Bedürfnissen umgehen möchte, welche Organisationseinheiten agil und welche stabil geführt werden.
Hackl: Es ist schwierig, zuerst eine Kultur für agiles Arbeiten einzuführen. Das lässt sich am besten beim Tun erlernen. Erfahrungsgemäß gibt es in den Unternehmen nicht so viele Menschen, die diese Freude am Gestalten mitbringen und sagen »Hurra, wir arbeiten jetzt nach der Scrum-Methode!« Wenn das einige vorantreiben und die anderen ihren Job weiterhin gut erledigen, ist das auch in Ordnung.
Hager: Das schätze ich anders ein. Vielleicht ist es eine Generationenfrage. Wir dürfen davon ausgehen, dass die Beteiligung an Entscheidungsprozessen und das Übernehmen von Verantwortung zunimmt. Das lässt sich überall umsetzen, egal ob ich am Bau arbeite oder im Büro. Es geht darum, aufmerksam zu sein, wo Prozesse vereinfacht oder Kundenbedürfnisse schneller umgesetzt werden können.
Report: Wie wichtig ist eine gemeinsame Identität?
Hackl: Ich komme gerade von einem Unternehmen, das bisher klassisch nach Abteilungen strukturiert war. Reklamationen haben bis zu 350 Tage gedauert. Kundenorientierung war ein Fremdwort, weil alle nur für ihren Bereich gedacht haben. Jetzt sitzen je Geschäftsbereich alle gemeinsam in einem Stockwerk, quasi entlang des Geschäftsprozesses – der Einkauf, ein paar Schreibtische weiter jemand vom Marketing, der Vertrieb, die Qualitätssicherung usw.. Die Kommunikation geht jetzt viel leichter.
Hager: Eine gemeinsame Vision ist eine der zentralen Säulen für agiles Führen: Wir müssen und wollen uns intern vernetzen, damit wir einen besseren Blick auf das Ganze bekommen. Die Umsetzung der Vision erfolgt dann durch Maßnahmen auf der operativen und sozialen Ebene.