Sonntag, Dezember 22, 2024
Smart Contracts: Wenn die Technik Anwalt & Co ersetzt

»Wir befinden uns in einer ähnlichen Aufbruchstimmung wie seinerzeit als das Internet begann, sich durchzusetzen«, beginnt Thomas Reutterer, Professor  für Marketing der WU Wien, das Gespräch über Blockchain-Technologie. Aktuell werde sehr viel ausprobiert und experimentiert. Einige Modelle und Anwendungsgebiete werden sich durchsetzen, andere nicht. Wo er die größten Potenziale sieht und wie eine Old Economy wie Bau- und Immobilienbranche in diese neue Welt passt, hat Reutterer dem Bau & Immobilien Report verraten.

Report: Aktuell ist viel von der Blockchain-Technologie zu hören. Bekanntestes Anwendungsgebiet sind sicher Kryptowährungen wie Bitcoin. Aber auch abseits von Bitcoin & Co scheinen zumindest der Fantasie keine Grenzen gesetzt zu sein. Wo sehen Sie kurz-, mittel- und langfristig die sinnvollsten Anwendungsgebiete?

Thomas Reutterer: Natürlich sind Währungen wie Bitcoin oder Ethereum ganz wesentliche Anwendungen. Wobei man hier auch unterscheiden muss. Die zugrundeliegende Technologie ist die so genannte Distributed Ledger Technologie. Das heißt nichts anderes als »verteiltes Kontobuch«. Die Grundidee dahinter ist simpel und genial: Daten und Informationen werden nicht mehr zentral abgelegt, sondern dezentral, und jeder hat eine Kopie davon. Das wäre auch anlog möglich, aber digital ist es natürlich einfacher. Blockchain ist eine Anwendung dieser Technologie.  Denn Blockchain ist das dezentrale Kassabuch der virtuellen Währung Bitcoin.

Neben Währungsanwendungen sind vor allem Smart Contracts als Blockchain-basierte Technologie zu nennen. Da sehe ich das größte Potenzial. Aus betriebswirtschaftlicher und Marketing-Sicht ist das Design dieser intelligenten Verträge das Spannendste.

Report: Was versteht man unter einem Smart Contract?

Reutterer: Smart Contracts folgen der Wenn-Dann-Logik. Erst wenn eine Bedingung eintritt, eine Vorausetzung erfüllt wird, treten die entsprechenden Vertragsinhalte in Kraft. Statt einem Anwalt überwacht die Technologie die Einhaltung des Vertrags. Das sind kleine, super-transparente Anwendungen mit konkreten Anweisungen.

Ein konkretes Einsatzgebiet eines Smart Contracts wäre etwa eine automatisierte Buchhaltung. Da sind wir auch bei der disruptiven Kraft der Technologie. Denn viele Buchhaltungs- oder Controlling-Systeme wie wir sie derzeit kennen würden damit hinterfragt. Und wenn ich eine Technologie habe, die fälschungssicher garantiert, dass gewisse Prozesse eingehalten werden, dann braucht man – überspitzt formuliert – auch keine Juristen oder Aufsichtsbehörden mehr, die das Ganze kontrollieren.

Report: Und diese Fälschungssicherheit ist tatsächlich garantiert?

Reutterer: Wenn Sie eine Buchhaltung haben, die nicht nur Sie führen und mit dem Finanzamt teilen, sondern jeder Rechner in der Blockchain eine exakte Kopie hat, kann man nichts fälschen oder manipulieren. Sobald etwas gefälscht wird, wird die im vorliegende Fall verteilte Kontrollinstanz darauf aufmerksam. Damit sind wir aber auch bei einem Hauptproblem der Technologie: den enormen Datenmengen, die produziert werden, und den hohen Energiekos­ten. Wenn man das nicht in den Griff bekommt, stehen irgendwann die Kosten für die Fälschungssicherheit in keiner Relation mehr.

Mit Smart Contracts lassen sich auch Prozesse automatisieren, die bislang manuell erledigt wurden. Überall dort, wo es einen Kontrollmechanismus gibt, eine zentrale Instanz, dort können Smart Contracts für eine echte Revolution sorgen. Wenn die Steuererklärungen automatisiert werden, brauche ich kein Finanzamt mehr. Die Konsequenzen, auch auf dem Arbeitsmarkt, wären enorm. Sogar Unternehmen, die seit kurzem ganze Industrien und Branchen aufgemischt haben, können selbst Ziel oder Opfer einer neuen Technologie werden. Es sprichtwenig dagegen, Dienstleistungen, wie sie Uber oder Airbnb anbieten, nämlich Angebot und Nachfrage zusammenzuführen, über Smart Contracts abzuwickeln.

Report: Laut Ragner Lifthrasir, Gründer und Chairman der International Blockchain Real Estate Association, gibt es keine Industrie, deren Transaktionsstruktur die Blockchain-Architektur besser abbildet als die Immobilienwirtschaft. Was genau ist das große Potenzial?

Reutterer: Klar. Wenn man ein Haus kauft oder eine Wohnung mietet, braucht man Verträge, eine Finanzierung, und es geht um Grundbucheintragungen. Das alles könnte auch automatisiert abgewickelt werden. Auch für das Facility Management kann Blockchain eine disruptive Technologie werden. Vieles, was eine Hausverwaltung macht, die ganzen Abrechnungen, das kann man auch automatisiert über ein dezentrales Netzwerk machen.

Report: Sehen Sie Blockchain-Anwendungen auch in der Bauwirtschaft?

Reutterer: Auf jeden Fall. Denn mit Blockchain ändert sich die gesamte Wertschöpfungskette. Ein Bauunternehmen, das Baustoffe braucht, kann diese vollautomatisiert über die Blockchain beziehen.

Report: Welche neuen Geschäftsmodelle wird es durch Blockchain brauchen?

Reutterer: Das kann man heute noch nicht seriös beantworten. Da ist noch zu vieles im Fluss. Ich denke aber, dass es zur Automatisierung von vielen Klein- und Kleinstprozessen kommen wird. Manche werden uns überhaupt nicht fehlen, wie etwa elementare Buchführungsroutinen oder Betriebskostenabrechnungen. Deswegen glaube ich, dass diejenigen Geschäftsmodelle erfolgreich sein werden, die unser Leben vereinfachen.

Report: Aber für diese Automatisierungsschritte braucht es ja nicht zwingend die Blockchain?

Reutterer: Das stimmt. Aber die lückenlose Kontrolle und Fälschungssicherheit können andere Technologien nicht garantieren.

Report: Woran arbeiten und forschen Sie im Moment?

Reutterer: Wir versuchen, jene Anwendungsgebiete zu identifizieren, wo der Einsatz von Smart Contracts am wahrscheinlichsten erscheint, und wie diese Smart Contracts aussehen würden. Da sind auch Juristen an Bord und Informatiker, aber auch Spieltheoretiker, die die Effizienzfragen stellen. Aber wir stehen noch relativ am Anfang. Was dabei rauskommt, kann heute noch keiner sagen.


Glossar: Blockchain

Unter der Blockchain-Technologie versteht man die Aneinanderreihung unzählig vieler Datenblöcke in einem Netzwerk. Dabei werden die Informationen nicht zentral auf einem Server, sondern lokal auf jedem einzelnen Rechner im Netzwerk gespeichert. Um in der Blockchain angelegte Daten zu verfälschen, müsste nicht ein einzelner Server gehackt werden, sondern jeder Computer im Netzwerk. Mit der Größe des Netzwerks steigt auch die Sicherheit.

Als älteste Blockchain gilt die Blockchain von Bitcoin. Sie startete im Januar 2009, hatte Ende 2017 eine Größe von rund 149 GB und lag auf ca. 11.900 Knoten redundant und öffentlich zugriffsbereit vor.


B2B-Studie: Anwendungsfälle und Potenziale der Blockchain

Die Blockchain-Technologie könnte das Supply-Chain-Management und den Handel revolutionieren. Eine neue Studie des AIT im Auftrag der Wirtschaftsauskunftei CRIF und des Handelsverbandes zieht aus bestehenden Anwendungsfällen eine erste, vielschichtige Bilanz.

In einer Lieferkette haben viele Akteure miteinander zu tun, die einander nicht unbedingt vertrauen. Allerdings sind Vertrauen und Transparenz jene Faktoren, die eine effiziente Zusammenarbeit befördern. Hier kommt die Blockchain ins Spiel. Der grundsätzliche Mehrwert der Blockchain in der Lieferkette besteht darin, dass ein unveränderbares Verzeichnis aller Aspekte einer Transaktion geschaffen wird – von der Herkunft des Rohstoffs über die Verarbeitung bis zur Verpackungshistorie. Dieses Verzeichnis kann ein neues Fundament für Transparenz, Rückverfolgbarkeit und Vertrauen schaffen.

Eine zentrale Applikation der Blockchain-Technologie besteht in der potenziellen Automatisierung einzelner Prozessschritte des Wirtschaftsgeschehens. Verantwortlich dafür sind im Vorhinein programmierte Smart Contracts: So könnte das Eintreffen eines Produkts an einem bestimmten Ort automatisch weitere Verarbeitungsschritte auslösen. Routineprozesse könnten auf diese Weise selbstständig ablaufen.

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