Sonntag, Dezember 22, 2024
"Wie bei der Eheberatung"

Werner Wutscher, Geschäftsführer der Beratungsagentur New Venture Scouting, vermittelt und begleitet Kooperationen von etablierten Unternehmen mit Start-ups. Von solchen Partnerschaften können beide profitieren – oft behindern jedoch kulturelle Unterschiede die Zusammenarbeit.

Zur Person:  Werner Wutscher, geb. 1968, war unter den Ministern Fischler und Molterer im Landwirtschaftsministerium tätig. 2007 wechselte er in den Rewe-Vorstand. 2011 machte er sich als Investor und Business Angel selbstständig.

(+) plus: Wo steht die heimische Start-up-Szene im internationalen Vergleich?

Wutscher: Ich sehe das sehr differenziert: Bei uns gibt es sehr viel Licht und ein wenig Schatten. Wir sind in einigen Bereichen sehr gut, bezüglich Life Sciences wird man auch in Tel Aviv oder Singapur auf Österreich angesprochen. Natürlich gibt es momentan viel Lärm um Start-ups. Alle glauben, das ist das Allheilmittel. Start-ups können aufgrund ihrer Größe und Organisationsform schneller reagieren und haben dadurch einen Wettbewerbsvorteil. Aber viele dieser Projekte scheitern auch.

(+) plus: Im Vorjahr wurden die Fördermittel für Start-ups stark aufgestockt. Braucht es auch mehr Hilfe für Unternehmen in der Wachstumsphase?

Wutscher: Bei den Förderungen in der Frühphase sind wir Weltmeister. Aber bei Finanzierungen jenseits von 100 Millionen Euro wird es sehr schwierig. Das betrifft nicht nur Start-ups, sondern den gesamten Mittelstand. Man muss schon ehrlich sagen: Das liegt auch an den Unternehmern selbst. Bei uns fährt jeder mit seiner Hausbank bis zum bitteren Ende. Manche Unternehmer haben lieber 100 % von nichts als 49 % vom Ganzen. Sich einen Partner ins Unternehmen zu holen, um wachsen zu können, ist in Österreich ein großes Tabu.

(+) plus: Werden die chronisch unterfinanzierten KMU den Konjunkturaufschwung überhaupt nutzen können?

Wutscher: Das ist das wirtschaftspolitische Thema der nächsten Zeit und nur in einer Gesamtanstrengung der Unternehmer, der Politik und der finanzierenden Institute lösbar. Die Austrian Angel Investors Association hat der neuen Regierung bereits Vorschläge für einen Fonds gemacht, der institutionelle Investoren einschließt. Wenn der Mittelstand darauf anspringt, würden auch mehr Private-Equity-Fonds nach Öster­reich kommen. Wir hätten eine lebendige private Finanzierungsszene, wo auch einiges für Start-ups abfällt.

(+) plus: Ist der Sprung ins Ausland derzeit attraktiver?

Wutscher: Es wäre natürlich schön, wenn das Unternehmen weiterhin vom Headquarter in Österreich aus agiert und damit die Arbeitsplätze erhalten bleiben. Start-ups sind Schnellboote, die weit vorne vor der Flotte fahren. Aber irgendwann müssen auch die großen Supertanker nachkommen. Start-ups sind als Innovationstreiber extrem wichtig für die österreichische Volkswirtschaft. Gerade in Österreich haben wir noch viele Industrie- und Produktionsbetriebe, die sollten hier am Ball bleiben.

(+) plus: Wie kann die Zusammenarbeit mit Start-ups aussehen?

Wutscher: Bei diesen Kooperationen geht es darum, Innovationen zu generieren, ein neues Geschäftsfeld zu eröffnen oder ein neues Produkt zu implementieren. Vor ein paar Jahren hieß es noch: Was wollen diese IT-Fuzzis bei uns? Heute wird selbst die Anlagen- oder Papierindustrieindustrie immer offener, weil sich die Geschäftsmodelle völlig verändern und die Digitalisierung auch dort Einzug hält. Ich sehe eine große Bereitschaft, sich darauf einzulassen – aber auch eine sehr hohe Fehlerquote. Ein Start-up ist eine viel fragilere Organisation mit extremem Ressourcenmangel, zu wenig Geld, zu wenig Mitarbeitern, zu wenig Markt-Know-how. Auf der anderen Seite steht ein Konzern mit unzähligen Richtlinien, bei denen Risiko-aversität an erster Stelle steht.

(+) plus: Welche Rolle nimmt New Venture Scouting dabei ein?

Wutscher: Wir haben eine Methodik entwickelt, die auf allen drei Ebenen – auf der strategischen, auf der operativen und der kulturellen Ebene – ansetzt. Das ist ein feingliedriger, systematischer Prozess, in dem wir beide Seiten wie bei der Eheberatung an der Hand nehmen und gut aufeinander vorbereiten. Start-ups haben beispielsweise oft keine Ahnung, wie die Budgetvergabe in großen Unternehmen abläuft. In einem Konzern ist ein einjähriges Genehmigungsprozedere ganz normal, in dieser Zeit kann ein Start-up schon dreimal tot sein. Es scheitert meist nicht an den Inhalten – die IoT-Lösung oder die App funktionieren ja durchaus. An die unterschiedlichen Kulturen denkt aber niemand. In ein paar Jahren werden an den Schaltstellen in großen Unternehmen Manager mit Start-up-Erfahrung sitzen. Derzeit habe ich noch oft den Eindruck, dass die beiden Welten einander nicht verstehen. Wir versuchen, von dieser alten Welt in die neue zu übersetzen, um zu schauen, wohin die Reise gehen kann.

(+) plus: Sind das nicht recht überzogene Vorurteile, quasi Anzugträger gegen Kapuzenpullover?

Wutscher: Auch die Zuschreibung »David gegen Goliath« wird oft strapaziert. Ich verwende lieber das Bild vom Schnellboot, das in der Flotte fährt. Beide Organisationsformen haben ja ihre Stärken. Wenn es sehr stürmisch ist, bin ich lieber auf dem großen Tanker. Wenn das Gewässer sehr flach und unsicher wird, schicke ich ein Boot vor, um erst einmal die Gegend zu erkunden.

(+) plus: Ist die Angst der Start-ups, ausgesaugt und ihrer Ideen beraubt zu werden, unberechtigt?

Wutscher: Einer der Schlüsselfaktoren für den Erfolg ist ein respektvoller Umgang auf Augenhöhe. Integrität gilt für beide Seiten. Start-ups sollten nur versprechen, was sie wirklich können, und Unternehmen müssen verstehen, dass das kein x-beliebiger Lieferant ist. Ein Start-up kann nicht zehn Millionen Euro Haftung übernehmen – mit einem großen österreichischen Baukonzern haben wir dieses Thema sechs Monate lang diskutiert.

(+) plus: Müssen Sie manchmal auch die Euphorie bremsen?

Wutscher: Sehr oft. Die Partylaune ist schon okay, aber ich bewege mich mit meinem Unternehmen eher in den Mühen der Ebene. In der Wirtschaft zählt letztlich die Umsetzung. Daran werden sie irgendwann gemessen, da hilft kein Pitch-Training. Das ist weniger lustig, aber man erkennt schnell, wer das Zeug zum erfolgreichen Unternehmer hat.

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