Der IT-Dienstleister Nagarro stellt »Innovation« und »Transformation« in den Mittelpunkt seiner Services. Der Report sprach mit Österreich-Geschäftsführer Damianos Soumelidis über Marktveränderungen und Anwendungen in der Praxis.
Report: Die Aufregung um die Cloud als eine neue Ebene der IT-Infrastruktur hat sich mittlerweile gelegt. Ist das ein Zeichen dafür, dass Cloud-Services endgültig ins Tagesgeschäft der IT-Abteilungen eingezogen sind?
Damianos Soumelidis: Auf jeden Fall. Die Cloud ist für IT-Abteilungen und CIOs ein aktuelles Thema, ist aber – wenn man es genau nimmt – ein alter Hut. In den IT-Systemen der Unternehmen ist Cloud-Infrastruktur bereits integriert, neue Technologien wie IoT, Analytics, Assisted Reality oder Cognitive Computing werden oben draufgesetzt.
Report: Und diese Schlagwörter wiederum sind bereits in der Praxis bei Unternehmen angekommen?
Soumelidis: Zum Teil ja. Ein Beispiel: Um frühzeitig Schäden an Rotoren bei Windrädern zu erkennen, greifen Firmen bereits auf »Pattern Recognition« zurück. Dabei werden hochaufgelöste Fotos der Rotorblatt-Oberflächen von Computern verglichen. Anomalien werden so schnell erkannt, Techniker können die betroffenen Stellen dann vor Ort gezielt begutachten. Hier gewinnen manche Unternehmen – Technologiehersteller oder Dienstleister – bereits einen Vorsprung gegenüber ihrem Mitbewerb. Wenn man jetzt nicht mit solchen Projekten startet – in ein paar Jahren wird es dafür zu spät sein.
Report: Was bietet Nagarro dazu konkret?
Soumelidis: Sechswöchige Innovationsworkshops, die haufenweise Slides produzieren, gibt es bei uns nicht. Wir wollen innovative Technologien in den unterschiedlichen Geschäftsbereichen in Unternehmen einsetzen. Trotzdem haben wir erkannt, dass dieser Weg auch eine gewisse Beratung benötigt, um zumindest Denkprozesse in Gang zu bringen. Dazu nehmen wir uns gemeinsam mit Technikern und Nicht-Technikern, mit Mitarbeitern aus völlig unterschiedlichen Bereichen eines Unternehmens ein Thema her, um es für eine konkrete Anwendbarkeit zu diskutieren. Oft bieten wir dazu auch Dinge – etwa Endgeräte – zum Angreifen. Aus den Ergebnissen, meist sind das einige Use-Cases, werden dann hoffentlich ein bis zwei aufgenommen und gemeinsam mit uns als Technologieanbieter ausprobiert.
Report: Können Sie dazu ein Beispiel bringen?
Soumelidis: Geschäftsanwendungen von Assisted Reality helfen, bestimmte Dinge besser, schneller oder einfacher gestalten zu können. Google plant gerade die Wiedereinführung seiner Google Glass in einer Enterprise-Edition. Nagarro hat gemeinsam mit den beiden Partnern Google und dem Entwickler Upskill einen Proof-of-Concept für ein Mobilfunkunternehmen erstellt, für den Einsatz bei Service-Arbeiten an Mobilfunkmasten. Die Überprüfung von Arbeiten von Montagefirmen ist schon alleine durch die teils langen Anfahrtswege eine mühselige Sache. Bis Fehler behoben werden, kann in der Prozesskette von Montage, Abnahme, Bericht und Feedback – und neuerlich Anfahrten für Reparaturen und Abnahmen – viel Zeit vergehen. Über die Brille kann der Montagetechniker nun Gerätedokumentationen und Bilder abrufen, Fotos aufnehmen und sofort verschicken oder sich direkt mit einem Kollegen oder dem Auftraggeber verbinden. Obwohl die Brille nicht gerade billig ist, rechnet sich der Einsatz für die Unternehmen innerhalb eines halben Jahres.
Es ist ein schönes Beispiel, wie hier auf Basis einer Idee des Kunden mit neuer Technologie Arbeitserleichterungen und Kosteneinsparungen in der Praxis umgesetzt werden. Man möchte auch früh genug den Einsatz ausprobieren, um Erfahrungen zu sammeln.
Andere Beispiele gibt es in den Bereichen Logistik und Fertigung, wo die Google Glass in der täglichen Arbeit die Anwender unterstützt. Wir nennen diesen Zugang und Lösungen dazu allgemein »Connected Worker«.
Report: Wie weit geht bei Branchenlösungen bereits auch der Einsatz von Sensorik? Was ist hier zu erwarten?
Soumelidis: Wenn man Trendthemen wie Sensorik, Robotik und Artificial Intelligence nimmt, ist die Sensorik derzeit sicherlich der bereits am stärksten eingesetzte Hebel. Die Technik ist da, wie man es beispielsweise auch bei den Fahrzeugen von Tesla sieht. Jetzt geht es nur noch darum, die Sensoren zu vernetzen und Daten daraus auszuwerten – und natürlich auch die Applikationen dazu zu entwickeln.
Unternehmen im Maschinenbau wie etwa Andritz beschäftigen sich sehr konkret mit der Integration von Sensorik in ihren Produkten. So kann bei der Messung und Analyse von Schwingungsfrequenzen bereits vor einem wahrscheinlich auftretenden Schaden eingegriffen werden. Der Business-Case ist augenblicklich hergestellt: Sensoren kosten ja nur einen winzigen Bruchteil einer möglichen Reparatur eines Motors oder einer Turbine.
In einem anderen Wirtschaftsbereich, der Forstwirtschaft, haben wir es mit sehr beständigen, um nicht zu sagen konservativen Prozessen zu tun. Aus diesem Grund können Unternehmen von Transformationsprojekten besonders gut profitieren. Nagarro hat in Frankreich ein Pilotprojekt umgesetzt, bei dem Pheromonfallen mit Sensoren bestückt werden. Durch die Vernetzung der Fallen im Wald über Low-Radiation-Networks werden die Warnungen, wenn ein Schädling in eine Falle geraten ist, zentral gesammelt. Dadurch ist eine frühe und gezieltere Bekämpfung möglich. Früher mussten die Fallen einzeln abgefahren und überprüft werden. Maßnahmen wurden dann oft großflächig ergriffen, da man ja stets etwas hinten nach war.
Report: Wie sieht es mit dem Einsatz von Machine Learning bei Business-Lösungen aus?
Soumelidis: Ich sehe das ganz nüchtern. Eine AI-Lösung besteht einfach aus Regelwerken, welche oft über Jahre aufgebaut worden sind. Wieder ein Beispiel: eine Ticketplattform, über welche Reisebüros in der Hauptreisezeit oft sehr große Kontingente buchen, hat einen großen Bedarf, die Vorfinanzierung von Tickets zu optimieren. Wir haben dazu ein Monitoring für einen global tätigen Dienstleister konzipiert, mit dem auf Basis der Kreditwürdigkeit und anderer Faktoren – auch der Erfahrung mit der bisherigen Geschäftstätigkeit eines Partners – den Reisebüros unterschiedliche Ticketkontingente bereitgestellt werden können. Die Anwendung beobachtet und registriert aber auch das Verhalten des Supervisors bei Entscheidungen in Situationen, die außerhalb der Norm gefällt werden. Werden Tickets auf diese Weise vielleicht fünfmal manuell freigegeben, übernimmt das die Lösung beim sechsten Mal selbstständig. Der Sachbearbeiter bekommt dadurch Freiraum für andere Problemstellungen, die noch nicht automatisiert bearbeitet werden.
Report: Welche Wertschöpfung ziehen Sie hier als IT-Dienstleister heraus?
Soumelidis: Oft haben Experten in ihrem Fachbereich nicht die volle Übersicht über die technischen Möglichkeiten in der Umsetzung von Ideen. Wir bieten diese Unterstützung im Innovationsdesign.
Nachdem Nagarro keine Sensoren baut, setzen wir mit unseren Services auf Protokollebene auf. Wir bauen die Applikation für das Abrufen der Daten und legen diese in einem Cloudspeicher ab. Dazu nutzen wir auch die IoT-Frameworks der großen Cloudservices-Provider Amazon, Microsoft und seit Neuestem auch SAP, um Anwendungen für unterschiedlichsten Nutzen für die Unternehmen zu entwickeln. Daraus fließen dann wieder Informationen in ein SAP-System oder zu einer Maschine zurück, beispielsweise um sie abzuschalten. Die Vernetzung von Dingen und das Verknüpfen von Daten kann die Geschäftsmodelle vieler Unternehmen verändern, etwa im Service oder auch mit völlig neuen Nutzungsmodellen von Maschinen und Produkten.
Wir sehen uns in unserer Rolle als Softwareentwickler und Integrator auch als Schnittstelle zwischen den Innovationsteams bei den Unternehmen und der IT.
Die Firma
Der IT-Dienstleister Nagarro beschäftigt 2.500 Mitarbeiter in den USA, Mexiko, Deutschland, Österreich, Schweden, Dänemark, Indien und Rumänien. Das Unternehmen hat sich auf Softwareentwicklung und Managed-Services spezialisiert und betreut Kunden wie ÖBB, Admiral, Automic und Lufthansa. Nagarro beschäftigt in Österreich rund 60 Mitarbeiter. Geschäftsführer sind Damianos Soumelidis, Paul Haberfellner und Thomas Riedl.
Info: www.nagarro.com