Sonntag, Dezember 22, 2024

In den letzten Monaten ist wieder massiv Kritik an der Situation rund um bautechnische Normen entstanden. Stichworte wie »Normenflut« und »Kostentreiber« machen die Runde. Die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten, Hintergründe der Normungsarbeit und auch die Verwendung hin bis zum Unterrichtsmaterial wird neben der europäischen Dimension für den Baustoffhandel gerne übersehen.

Ein Kommentar von Georg Pommer, Leiter der Magistratsabteilung 39, Prüf-, Überwachungs- und Zertifizierungsstelle der Stadt Wien.

Als Kaiser Karl VI 1715 eines der ersten Ziegelpatente erlassen hat war er sich mit Sicherheit nicht bewusst, dass er für einen heute noch verwendeten Wandbaustoff die Grundlage für die Regelung von Festigkeit und Dimension gelegt hat. Bemerkenswert ist, dass nach diesem Regulativ über Jahrhunderte ein Standardbaustoff hergestellt und produziert wurde, der letztendgültig mit dem sogenannten alten österreichischen Format AÖF ganz massiv noch am Wiederaufbau nach 1945 beteiligt war. Durch den genormten Werkstoff konnte rasch, mit heutigen Schlagworten versehen nachhaltig, Bausubstanz errichtet werden. Diese Ziegelpatente wurden erst 1921 durch die erste österreichische Norm abgelöst.

Wunsch nach einheitlicher Normenwelt

Betrachtet man die heutige Situation der Normung, so zeigt sich, dass es für den Anwender teilweise äußerst schwierig werden kann, die richtige Norm für die richtige Anwendung zu finden. Hintergrund ist, dass Österreich, wie andere europäische Länder auch, dem europäischen Normengremium CEN beigetreten ist und damit europäische Normen zwingend in das österreichische Normenwerk zu übernehmen hat. Dies bedeutet aber auch, dass gleichlautende österreichische Regelwerke zwingend zurückgezogen werden müssen. Idee für diese durchaus als marktgestalterische Maßnahme geltende Regelung ist, dass damit auf Basis von Mandaten der Europäischen Kommission eine europaweit einheitliche Normenwelt geschaffen wird. Dieser Prozess hat sich in den letzten Jahren dramatisch beschleunigt und heute stehen etwa 23.000 europäische Normen, mehr als 80 % der gesamten Normen, für österreichische Anwender zur Verfügung. Diese Zahl ist aus österreichischer Sicht durchaus bemerkenswert, für viele auch angsteinflößend. Betrachtet man allerdings die europäische Dimension dahinter, so wird klar, dass in ganz Europa von mehr als 100.000 nationalen Normen nur mehr 23.000 übrig geblieben sind.

In europäischen Dimensionen gedacht stellt dies natürlich eine massive Vereinfachung dar. Die hohe Anzahl an europäischen Normen ist aber auch auf die geänderte Art und Weise der Normenerstellung bzw. Nomenklatur zurückzuführen. Europäische Normen werden sehr »kleinteilig« publiziert; das heißt, dass aus einer einfachen »Zementnorm« heute eine Verfahrensnorm und eine Vielzahl von Prüfnormen herausgegeben werden. Dies führt zu einer deutlichen Vervielfachung der Anzahl an Normen, wobei für den Anwender selbst ja nur die Produkt- oder Verfahrensnorm und nicht die zugehörige Prüfnorm interessant ist. Aus diesem Titel heraus zeigt sich, dass die kolportierte Normenflut durchaus differenziert betrachtet werden muss.

In den letzten Jahren wurden parallel zu den europäischen Normen, sofern erforderlich, sogenannte Ergänzungsdokumente geschaffen. Dies hat dazu geführt, dass der Anwender sowohl die europäische als auch die österreichische Norm zu beachten hat, die Lesbarkeit war nicht immer optimal, hier gilt es zukünftig anzusetzen.

Neue Prioritäten

Mit dem Normengesetz 2016 wurde für das Österreichische Normungsinstitut, neudeutsch ASI, eine neue Situation geschaffen. Der wirtschaftliche Druck auf diese »altehrwürdige Einrichtung« ist enorm gewachsen, als Reaktion darauf sind Vereinfachungen und Sparmaßnahmen deutlich spürbar. Ein Ausfluss aus dieser neuen Entwicklung ist offensichtlich ein gewisser Rückzug im Normungsbereich, österreichische Normen sollten zum Ausnahmefall werden, wenn europäische Normung bereits vorhanden ist. Die österreichische Normung ist offensichtlich am Scheideweg, es darf gespannt auf die kommende neue Geschäftsordnung des ASI gewartet werden.

Eine neue Form der  Zusammensetzung der Normenkomitees sollte Lobbyismus und »Verkaufsvorbereitung durch Normen« hintanhalten. Anwenderfreundlichkeit und Effizienz müssen im Vordergrund stehen.

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