Samstag, Dezember 21, 2024

Krisenpläne sollten für jedes Unternehmen individuell erstellt und regelmäßig trainiert werden, meint Burkhard Neumayer, Geschäftsführer der risma management gmbh.

Report: Wie sollte Krisenmanagement idealerweise ablaufen?
Neumayer:
Zunächst sollte das Unternehmen wissen, welche Risiken bestehen. Ein Atomkraftwerk hat ein anderes Gefährdungspotenzial als z.B. ein Lebensmittelerzeuger. Der zweite Schritt ist eine Analyse, welche dieser Risiken einen großen Image- oder finanziellen Schaden verursachen oder ob Konsumenten oder Mitarbeiter Schaden nehmen können. Gemeinsam mit einem Berater werden für diese Risiken Pläne entwickelt. Im nächsten Schritt bestimmt man sogenannte Früherkennungsmerkmale.

Report: Was sind solche Merkmale?
Neumayer: Diese werden gemeinsam mit den Fachabteilungen erhoben. Ein Kosmetikunternehmen hat zum Beispiel täglich 30 bis 50 Anrufe von Konsumenten. Wenn plötzlich mehr als 100 Anrufe pro Tag eingehen, wird das Krisenteam informiert. Der Fokus richtet sich auf bestimmte Themen wie Verpackungsprobleme, Hautirritationen etc. Das Team prüft zunächst, ob es sich um schwerwiegende Fälle handelt, um zufällige Häufungen oder einen Qualitätsmangel. In Phase 2 befasst sich das Krisenteam genauer mit der Problematik, die Ampel steht sozusagen auf »gelb«. Stellt sich bei der Analyse heraus, dass tatsächlich ein Fehler passiert ist, wird die Ampel auf »rot« geschaltet. Das Krisenteam tritt voll in Aktion und arbeitet den lange vorher entwickelten und geübten Krisenplan ab.

Report: Wie übt man eine Krise?
Neumayer: Die Berater erstellen anhand des Risikopotenzials möglichst realitätsnahe Szenarien. Während das Krisenteam daran arbeitet, wird nach und nach die Eskalationsstufe erhöht. Zum Beispiel kommt die Meldung, dass eine Person ins Krankenhaus eingeliefert werden musste, die Medien schalten sich ein usw. Leider spielt es sich in der Praxis mindestens genauso übel ab wie in den Übungen – oder sogar noch unangenehmer.

Report: Was ist bei der Kommunikation zu beachten?
Neumayer: Krisenkommunikation ist das heikelste Thema, vor allem bei Unternehmen mit breiten Kundengruppen und hohem Image. Wenn bei solchen Unternehmen etwas passiert, ist es gleich eine riesige mediale Geschichte. Das Wesentliche ist, immer fair, korrekt, zeitgerecht und richtig zu informieren. Eine scheibchenweise Weitergabe von Informationen lehne ich strikt ab. Es ist schon klar, dass nicht von Anfang an alle Umstände genau bekannt sind. Zu jedem Erkenntnisstand ist aber die Öffentlichkeit wahrheitsgetreu zu informieren. Man sollte sich bei Medienkontakten nach oben Luft lassen. Zuerst informiert nicht gleich der Geschäftsführer oder Vorstand, sondern ein Pressesprecher oder ein Abteilungsleiter, der fachlich mit der Angelegenheit betraut ist und auf Journalistenfragen kompetent eingehen kann.  Wenn eine einzelne Marke betroffen ist, sollte unbedingt vermieden werden, diese Marke mit dem ganzen Haus in Verbindung zu bringen. Ich erinnere mich an ein Unternehmen, das eine Krise tadellos meisterte und in einem TV-Interview bekanntgab, nun sei alles wieder unter Kontrolle. Das Interview wurde aber im Eingangsbereich der Konzernzentrale aufgezeichnet. So vermittelte man der ganzen Welt, dass es sich nicht bloß um ein Problem dieser einen Marke handelte, sondern zog den gesamten Konzern mit hinein.

Report
: Lässt sich die Dynamik in Social-Media-Kanälen steuern?
Neumayer: Es gibt das Beispiel eines Wiener Restaurants, wo ein Gast eine Schnecke im Salat fand und das auf Facebook postete. Die Meldung verbreitete sich in unvorstellbarem Ausmaß, unglaublich rasch. Das Unternehmen reagierte hervorragend, wie ich finde: Man entschuldigte sich und wies darauf hin, dass ausschließlich Lebensmittel aus biologischem Anbau verwendet würden. Trotzdem sei der Fehler natürlich nicht zu tolerieren und man werde alles daran setzen, solche Vorkommnisse künftig zu vermeiden. Damit war das Thema in kurzer Zeit erledigt, ein nachhaltiger Schaden ist nicht eingetreten. Erfolgt die Entschuldigung aber nicht glaubwürdig, kann es einen Shitstorm nach sich ziehen, der nicht mehr zu kanalisieren ist. Es gibt ja zu manchen Unternehmen richtige Hate-Sites im Netz. Betroffene Firmen tun gut daran, diese zu beobachten.

Report: Wie kann Vertrauen wieder hergestellt werden?
Neumayer: Recovery-Maßnahmen sind Teil des Krisenplans. Wenn das Ende der Krise absehbar ist, kann es PR und Werbung hochfahren: »Das Problem ist behoben, wir sind heute besser denn je.« Wenn man das gut macht, ist der Schaden nicht nachhaltig. Fängt man aber erst im Verlauf einer Krise an, sich Gedanken »über die Zeit danach« zu machen, ist das reichlich spät. Auch ein Berater muss sich erst einmal einen Überblick verschaffen – jedes Unternehmen, jede Krise und jeder Krisenverlauf sind einzigartig. Der Plan muss immer individuell erstellt werden. Krisen werden immer durch Menschen verursacht und können auch nur durch Menschen behoben werden.

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