Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report erklärt Stefan Graf, CEO Leyrer+Graf, warum eine Produktivitätssteigerung in der Bauwirtschaft gar nicht so einfach ist, warum das Bestbieterprinzip vom Grundprinzip gut, in der Umsetzung aber Augenauswischerei ist und warum Wachstum kein Antrieb für ihn ist.
Report: Die Euroconstruct-Länder sollen in den nächsten Jahren um 3 % 2016, 2,7 % 2017 und 2 % 2018 wachsen – die österreichische Bauindustrie im selben Zeitraum nur um 1 % bzw. je 1,3 %. Worauf führen Sie diese unterschiedlichen Entwicklungen zurück?
Stefan Graf: Ich führe das auf die volkswirtschaftliche Entwicklung des gesamten Landes zurück. Österreich hinkt deutlich hinter der europäischen Entwicklung hinterher. Das hinterlässt in einem Sektor wie der Bauwirtschaft natürlich deutliche Spuren.
Report: Wenn Sie die volkswirtschaftliche Entwicklung ansprechen, müssen wir auch über die Politik reden. Wir haben eine neue Regierung, die vor allem eine neue Gesprächs- und Regierungskultur vermitteln will. Glauben Sie, dass sich nun tatsächlich etwas ändern wird?
Graf: Es kann sich immer etwas ändern und die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Aber ich glaube es ehrlich gesagt nicht, zumindest noch nicht. Man muss jetzt erst einmal abwarten, wie sich diese teils doch dramatischen Umwälzungen in der österreichischen Politik, dazu gehört natürlich auch der Lagerkampf bei der Bundespräsidentenwahl, auswirken.
Das alles sind Signale eines vielleicht noch nicht zerrissenen Österreichs, aber eines Landes, das einen Konflikt hat. Da geht es gar nicht so sehr um politisch links oder rechts, sondern darum, welchen Weg wir gehen wollen. Einen Weg, auf dem es keinen Kompromiss mehr gibt und auch nicht geben soll. Denn diese ständige Kompromissbereitschaft hat dazu geführt, dass sich keiner mehr traut, klare Linien zu verfolgen und Entscheidungen zu treffen. Es gibt im Moment viele schöne Worte, aber die Herren Kern und Van der Bellen werden an ihren Taten zu messen sein.
Report: Welche Taten wären aus Ihrer Sicht nötig, um die Volkswirtschaft in Schwung zu bringen?
Graf: Das sind für mich drei Punkte. Es muss eine neue Kultur des Umgangs und der Kommunikation in der Politik geschaffen werden, denn das strahlt auf die gesamte Gesellschaft aus. Dann muss eine neue Struktur geschaffen werden und da muss auch ich leider von der viel zitierten Verwaltungsreform sprechen. Die ist einfach dringend nötig. Das sieht man auch an den aktuellen Finanzausgleichsverhandlungen. Dieses Kompetenzwirrwarr lähmt das Land. Da braucht es einfache und klare Strukturen. Ich bin sicher kein Gegner des Föderalismus, aber wir brauchen doch von der Gemeinde bis nach Brüssel nicht fünf Verwaltungsebenen. Und es müssen Entscheidungen getroffen werden, wenn es sein muss auch unpopuläre.
Report: Viel ist über das Thema Lohn- und Sozialdumping und eine mögliche Verschärfung der Entsenderichtlinie gesprochen worden. Als grenznaher Betrieb sind Sie davon besonders betroffen. Wie zeigt sich die Situation aus Ihrer Sicht? Welche Maßnahmen braucht es für einen wirklich fairen Wettbewerb?
Graf: Wir sind im gesamten Osten Österreichs tätig. Im Wiener Bereich ist das Thema noch viel größer als hier direkt an der Grenze. Die Situation ist auf jeden Fall sehr herausfordernd. Es gibt Billigfirmen, die nach Österreich hereinarbeiten. Und es gibt Firmen, die die Arbeiter aus dem Osten beinhart ausnutzen. Damit kommen Betriebe wie wir, die auf inländisches Personal setzen, stark unter Druck. Das merkt man auch bei Ausschreibungen. Selbst wenn wir auf eine schwarze Null kalkulieren, gibt es Unternehmen, die bis zu 20 Prozent billiger sind. Das kann man nicht mehr mit einer effizienteren Organisation erklären. Wenn dann Kontrollen stattfinden, tritt das auch ans Tageslicht. Das ist ein echtes Problem. Wir haben eine EU, die zwar das Wettbewerbsrecht homogenisiert. Eine Vereinheitlichung der Sozialstandards gibt es aber bis heute nicht. Die sind aber preisbildend.
Report: Wäre eine Verschärfung der Entsenderichtlinie sinnvoll?
Graf: Die Entsenderichtlinie gilt in beide Richtungen. Da gibt es unterschiedliche Interessenslagen. Österreichische Unternehmen wünschen, dass ausländische Firmen vom ersten Tag so behandelt werden wie heimische. Wenn wir allerdings Mitarbeiter ins Ausland schicken, wollen die den hohen österreichischen Standard beibehalten. Da kollidieren Interessen, die gesetzlich nicht zu regeln sind. Die Lösung kann nur sein, gleiche Standards in allen EU-Ländern zu schaffen. Dann gibt es dieses Problem nicht mehr.
Report: Ein vermeintlicher Meilenstein ist die Novelle zum Vergaberecht inklusive Bestbieterprinzip. Vor allem das Bestbieterprinzip wird oft als vermeintliches Allheilmittel gesehen? Ist es das tatsächlich oder doch eher Augenauswischerei?
Graf: Das prinzipielle Ziel einer Erhöhung der Qualität ist natürlich erstrebenswert. In der Umsetzung kommt es leider zu Schwierigkeiten. Das zeigt sich bei unklaren oder schwer messbaren Zuschlagskriterien wie etwa der Verkürzung der Bauzeit oder einem erhöhten Aufwand bei der Ausschreibungs- sowie Angebotserstellung.
Soziale Kriterien wie die Anzahl von älteren Mitarbeitern sind gesellschaftspolitisch zwar nachvollziehbar, müssen aber anders gelöst werden. Ich kann in einem beinharten, gesamteuropäischen Wettbewerb nicht sozialpolitische Fragen eines einzelnen Landes klären.
Report: Was wären aus Ihrer Sicht sinnvolle Zuschlagskriterien?
Graf: Das ist die große Kunst. Der Fachverband der Bauindustrie arbeitet aktuell einen Vorschlagskatalog aus. Das Problem sind der Nachweis und die Messbarkeit der oftmaligen Soft Facts. Entscheidend ist die technische und soziale Kompetenz eines Unternehmens bei der Projektabwicklung. Wenn lösungs- und nicht problemorientiert gearbeitet wird, werden Projekte schnell und wirtschaftlich auskömmlich umgesetzt. Ich bin überzeugt, dass wir genauso arbeiten.
Report: Woran krankt es aus Ihrer Sicht noch?
Graf: Das Problem ist eine gewisse Regulierungswut. Es fehlt das Vertrauen der Politik in die Bürger. Man kann nicht immer gleich Gesetze schaffen, wenn ein Problem auftritt. Das schafft nur neue Probleme.
Ich befürchte auch, dass es in nicht allzu ferner Zukunft zu einer Erschütterung unseres volkswirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systems kommen wird.
Report: Sie haben die Behäbigkeit der Politik angesprochen. Diese Behäbigkeit wird auch der Bauwirtschaft nachgesagt. Während Branchen wie die Automobilindustrie ihre Produktivität in wenigen Jahrzehnten verdoppelt haben, beklagen Kritiker wie Professor Achammer, dass in der Baubranche in den letzten 50 Jahren diesbezüglich keine wesentlichen Fortschritte erkennbar sind. Teilen Sie diese Einschätzung und wie kann die Produktivität verbessert werden?
Graf: Professor Achammer hat hier sicher überspitzt formuliert. Aber ich gebe ihm recht. Ich glaube, das ist systembedingt. Die Bauwirtschaft selbst hat ein sehr straffes Korsett. Es gibt sehr starre Gesetze, präzise Normen, Pläne und Ausschreibungen. Wenn ein Projekt die Bauwirtschaft erreicht, ist es voll definiert. Dann sollte es eigentlich zu keinen Änderungen kommen. Wenn doch, dann wird gestritten. Im Unterschied dazu hab ich in der Automobilindustrie Forschung und Entwicklung, Produktion und Service in einer Hand. Das ist bei uns ganz anders, da gibt es eine bewusste Trennung zwischen Planung und Ausführung.
Differenzieren kann sich die österreichische Bauwirtschaft daher primär über den Preis.
Report: Gäbe es nicht auch andere Möglichkeiten der Differenzierung, etwa neue Technologien, die einen Produktionsablauf effektiver gestalten?
Graf: Natürlich. Dafür muss man aber Grenzen durchbrechen. Denn neue Technologien haben auch Einfluss auf den Plan. Im Bereich Ziegel und Beton sind wir hocheffizient und technologisch völlig ausgereizt. Aber Fundamentalinnovationen, wie es etwa das Smartphone für die Telekommunikationsbranche war, hat es seit Ewigkeiten nicht gegeben und sind auch nicht absehbar.
Report: Wenn es um Innovationen und Herausforderungen für die Zukunft geht, fallen oft die Schlagworte BIM und Digitalisierung. Wie gut ist Leyrer+Graf für die Zukunft gewappnet?
Graf: In Bezug auf Innovationen zählen wir gerne zu den Early Birds. Wir bereiten uns auf BIM sehr aktiv vor. Österreich ist europaweit nicht vorne dabei, holt aber enorm auf. Aber auch da sieht man wieder den Unterschied zur Automobilindustrie, die den gesamten Entwicklungsprozess selbst steuert. Die kann natürlich in eigenen Standards arbeiten. Das Problem der Bauwirtschaft ist der Systembruch zwischen Planen, Bauen und Betreiben. Das Aufbrechen dieser Struktur kann zu mehr partnerschaftlichem Denken und mehr Innovation führen.
Report: Die fehlenden BIM-Standards werden ein Problem bleiben.
Graf: Das sehe ich auch so. Mit BIM arbeiten heute vor allem die ganz großen Firmen, die Totalunternehmer im Angebot haben und damit von der Wiege bis zur Bahre im eigenen System arbeiten können. Stichwort: Closed BIM. Auch wir starten unsere BIM-Aktivitäten bei diversen eigenen Projekten. Aber sobald es mehrere Beteiligte gibt, brauche ich einen gemeinsamen Standard für den Datenaustausch. Deshalb muss das Ziel ein allgemeiner Standard sein, aber das wird sehr schwierig und noch lange dauern.
Report: Welche konkreten Zukunftspläne verfolgen Sie? Ist an eine weitere räumliche oder inhaltliche Expansion gedacht?
Graf: Ohne jetzt zu sehr ins Detail zu gehen, aber wir haben unsere Strategien sehr präzise überlegt und formuliert. Die prägen mich sehr, weil sie eine Vision zeigen und Struktur bringen.
Deshalb haben wir auch keine Angst vor der Zukunft. Auch wenn ich zuvor von Erschütterungen gesprochen habe, aber wir bereiten uns sorgfältig auf alle Eventualitäten vor. Wir werden uns auch inhaltlich breiter aufstellen, um flexibler zu werden.
Report: In welche Richtung soll es konkret gehen.
Graf: Dazu schweige ich (lacht). Was ich sagen kann, ist, dass Wachstum nicht unser primärer Antrieb ist. Wachstum ergibt sich, wenn man erfolgreich ist, das ist ein Symptom, nicht die Ursache. Ich weiß nicht, ob wir weiter wachsen werden. Wir haben sehr erfolgreiche Jahre hinter uns. In einem schrumpfenden Markt wird das schwer. Aber ich gehen davon aus, dass es eine Kehrtwende geben wird und die Politik verstanden hat, dass es einen Kurswechsel braucht. Die Zeit der Kompromisse muss vorbei sein. Jetzt braucht es Entscheidungen. Ganz wichtig sind Investitionen in die Infrastruktur. Das ist die Quelle jeder wirtschaftlichen Entwicklung und jeden Wohlstands.
Auch die Wirtschaft hat eine Verpflichtung, zu investieren. Und ich bin überzeugt, wenn die Politik ihre Aufgabe erfüllt, dann wird das auch die Wirtschaft tun. Wir haben etwa heuer mit 20 Millionen Euro einen absoluten Höchststand an Investitionen.