Freitag, Juli 19, 2024

Im Interview mit dem Bau & Immobilien Report spricht Gerald Goger, seit 1. April Professor am Institut für Interdisziplinäres Bauprozessmanagement der TU Wien, über Baustellen-Controlling in Echtzeit und erklärt, warum Digitalisierung in der Bauwirtschaft viel mehr ist als BIM. Außerdem legt er dar, warum sich die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren grundlegend ändern wird und welche Rolle der Plattformgedanke dabei spielt.

Report: In der Anlagen- und Autoindustrie hat sich die Produktivität in wenigen Jahrzehnten verdoppelt. In der Bauwirtschaft sind in den letzten 50 Jahre keine wesentlichen Fortschritte erkennbar, sagen Kritiker wie Professor Achammer. Ist es um die Produktivität der Baubranche tatsächlich so schlecht bestellt?

Gerald Goger: In dieser Schärfe würde ich es nicht sehen. Aber er hat natürlich recht, dass die stationäre Industrie dem Bau deutlich voraus ist, weil viel mehr in Prozessen gedacht wird. Diese Prozesse werden modelliert und laufend optimiert. Die Bauindustrie hat da eine Sonderstellung, die oftmals auch als Ausrede verwendet wird. Und zwar, dass Prototypen produziert werden. Das stimmt zwar in gewisser Weise, aber dennoch gibt es sich ständig wiederholende Elemente, die man durchaus verbessern kann und müsste. Den stärksten Hebel für eine Produktivitätssteigerung sehe ich darin, dass man verstärkt den Fokus auf Arbeitsvorbereitung und Baustelleneinrichtung legt. Es muss für einen Auftragnehmer genügend Zeit sein, sich mit diesem Thema intensiv auseinanderzusetzen.

Report: Sehen Sie die Bereitschaft von Auftraggeberseite, diese Fristen auch einzuräumen? Denn das kostet ja Zeit und damit Geld.

Goger: Schon. Aber über die Projektdauer betrachtet rechnet sich das für den Aufraggeber auf jeden Fall. Außerdem glaube ich, dass immer mehr Auftraggeber die Vorteile der kooperativen Projektabwicklung und der frühzeitigen Einbindung der Baufirmen erkennen.

Report: Wie groß ist aus Ihrer Sicht das Optimierungspotenzial in der Bau­prozess­abwicklung?

Goger: Dafür braucht es vor allem ein effizientes Baustellen-Controlling. Am besten in Echtzeit, um Fehlentwicklungen rasch zu erkennen und gegensteuern zu können. Bei all diesen Themen darf man aber nicht außer Acht lassen, wie wichtig eine effektive und qualitätsvolle Planung ist. Das heißt, dass auch der Auftraggeber rechtzeitig Informationen liefern und Entscheidungen treffen muss.   

»Die Bauwirtschaft wird sich viel stärker der stationären Industrie annähern und viel mehr in die Prozessplanung investieren.«

Report: Dafür braucht es auch ein gut aufbereitetes Datenmaterial. Damit sind wir beim Thema Digitalisierung. Inwieweit ist die Industrie 4.0 in der Bauwirtschaft bereits angekommen?

Goger: Die Bauwirtschaft hinkt anderen Industrien sicher hinterher. Es tut sich zwar einiges, vieles steckt aber noch in den Kinderschuhen. Strabag und Porr nehmen da sicher eine Vorreiterrolle ein. Es gibt auch zahlreiche Initiativen und Arbeitskreise, die versuchen, die Philosophie der Industrie 4.0 anzugehen und für die Bauwirtschaft umzusetzen. Und auch da geht es vor allem darum, durch intelligente Bauprozessabwicklung Effizienzsteigerungen zu erzielen. Über jüngere Mitarbeiter wird der Druck auf die Unternehmen weiter steigen, sich dem Thema nicht zu verschließen.

Report: Wie lange wird es aus Ihrer Sicht dauern, bis  das alles auch tatsächlich auf den Baustellen ankommt?

Goger: Das ist schwer zu sagen. Aber ich denke schon, dass es noch fünf bis zehn Jahre dauern wird, bevor wir von einer echten Umsetzung in der Realität sprechen können.

Report: Lange Zeit wurde kritisiert, dass dem Thema auf universitärer Ebene viel zu wenig Beachtung geschenkt wird.

Goger: Die Ausbildung ist in diesem Bereich sicher noch verbesserungsfähig. Deshalb möchte ich hier in meinem Forschungsbereich auch Akzente setzen. Zu meinen Forschungsschwerpunkten, die ich implementieren möchte, zählen Digitalisierung, Simulation und Optimierung von Bauprozessen. Ähnliches macht bereits Professor Achammer, der ja am selben Institut lehrt, er hört aber mit der Planung auf. Dort will ich anschließen. 

Report: BIM und Digitalisierung werden in der Branche oft synonym verwendet. Aber muss Digitalisierung im Sinne einer Industrie 4.0 nicht eigentlich viel mehr sein?

Goger: BIM ist kein Allheilmittel für die Effizienzsteigerung, sondern eine Datenbank, in der strukturiert Informationen zu einem Bauwerk abgerufen werden können. Das ist bis zum Ende der Planungsphase auch völlig ausreichend. Digitalisierung ist aber viel mehr. Das muss auch in die Bauausführung reichen. Die Strabag hat mit SmartSite etwa aktuell ein Forschungsprojekt laufen, wo es um eine intelligente Rückkopplung innerhalb von Bauprozessen kommt (siehe auch Bau & Immobilien Report Ausgabe 3/2016). Das ist für mich Digitalisierung: dass man in Echtzeit Daten auf der Baustelle erfassen kann, dass man die Baustellenabwicklung digital festhalten kann und dass wir aus diesen Informationen relevante Rückschlüsse auf spätere Projekte ziehen können.

Wichtig ist, dass man nicht Daten erfasst um der Datenerfassung willen, sondern die Datenerfassung muss einen konkreten Nutzen bringen. Es wird auch ein Umdenken geben müssen, denn Digitalisierung bedeutet auch absolute Transparenz. Die lückenlose Dokumentation der Bauausführung wird auch zu einer Qualitätssteigerung führen.

Report: Aktuell sind es vor allem die Big Player der Branche, die sich mit dem Thema beschäftigen. Laufen kleine und mittlere Unternehmen Gefahr, den Anschluss zu verlieren?

Goger: Wir haben aktuell am Institut ein Forschungsprojekt an Land gezogen, das sich mit genau diesem Thema beschäftigt. Wir werden wissenschaftlich erarbeiten, was die Digitalisierung für die Bauindustrie bedeutet, und was sie für KMU bedeutet.

»Wir als Institut für interdisziplinäres Baumanagement wollen gemeinsam mit der Wirtschaft an Forschungsprojekten arbeiten.«

Report: Wie wird sich die Bauwirtschaft in den nächsten Jahren verändern? Welche konkreten Auswirkungen, auch Ihrer Forschungsarbeit, sind zu erwarten?

Goger: Der Grundzugang zum Bauen wird sich verändern. Die Branche wird sich stärker der stationären Industrie annähern. Es wird viel mehr in die Prozessplanung investiert werden. Einzelne Verfahren können viel besser bewertet werden, damit werden Entscheidungen auf der Baustelle fundierter erfolgen können.

Report: Wird der Gedanke der Protoypenfertigung auch in Zukunft bleiben oder wird es mehr in Richtung modulares Bauen gehen?

Goger: Ich denke, es wird eine Mischform. Nicht alle Menschen werden in standardisierten Gebäuden leben wollen. Es wird immer Platz für Individualität sein, damit wird auch der Prototypengedanke bleiben. Aber ich gehe davon aus, dass gewisse Grundmodule entwickelt werden. Es könnte auch wie in der Autoindustrie in Richtung Plattformgedanken gehen, wo auch auf ein und derselben Plattform verschiedene Modelle gebaut werden. Aber natürlich wird es immer vor allem darauf ankommen, was sich die Auftraggeber wünschen.

Report: Es wird oft geklagt, dass die Zusammenarbeit zwischen Universitäten und der Wirtschaft nicht wirklich funktioniert, auch was die Einholung von Drittmittel betrifft. Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Bauwirtschaft?

Goger: Ich sehe die Zusammenarbeit sehr positiv. Ich sehe das auch nicht als Bringschuld der Unternehmen an die Wissenschaft, sondern als Holschuld. Wenn man mit konkreten Ideen und Projekten an die Wirtschaft herantritt, dann trifft man durchaus auf offene Ohren.

Report: Wie offen sind Sie für den umgekehrten Weg, wenn Unternehmen mit Ideen oder Problemstellungen an Sie herantreten?

Goger: Wir freuen uns über jeden Input von außen. Das Problem ist, dass die Unternehmen oft gar nicht wissen, was wir an den Universitäten können. Da sind auch viele Kollegen überrascht. Aber man darf nicht davon ausgehen, dass die TU Wien von den Unternehmen laufend gescreent wird. Deshalb müssen wir noch viel stärker nach außen kommunizieren, was wir tun und können. Es mir ganz wichtig, dass wir als Institut für interdisziplinäres Baumanagement sehr daran interessiert sind, gemeinsam mit der Wirtschaft an Forschungsprojekten zu arbeiten. 

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