Die Österreichtochter des deutschen IT-Beraters und Softwareentwicklers adesso agiert unter der Führung von Erwin Greiml erfolgreich im Projektgeschäft. Er spricht über agile Methoden im Consulting, die Ausrichtung in Österreich und Herausforderungen durch die Digitalisierung.
Report: adesso geht im Consulting und bei der Umsetzung von IT-Lösungen in Unternehmen auf besondere Weise vor. Wie sieht diese Arbeit aus?
Erwin Greiml: Wir haben mit dem »Interaction Room« eine Methode, die die Kommunikation zwischen Fach- und IT-Experten wesentlich erleichtert. Hintergrund ist, dass bei Change-Projekten unserer Erfahrung nach vieles unausgesprochen ist und Ziele oft nicht für alle sinnvoll und durchführbar formuliert sind. Die IT-Abteilung hat ihre formale Sicht, die Fachabteilungen haben ihre eigene Sprache und man redet aneinander vorbei. Man definiert zwar, in welche Richtung man mit einem neuen Unternehmensprozess, dem immer auch IT-Lösungen zugrundeliegen, gehen möchte, dennoch scheitern viele Projekte.
Wir schauen uns aus der Agilität abgeleitet als neutraler Dritter gemeinsam mit allen Stakeholdern das Projekt in einer gewissen Flughöhe an und versuchen, die Teilnehmer auf diesem Niveau zu halten. Mit unserer Methode machen sich die Abteilungen mit ihren unterschiedlichen Sprachen und Ansichten nicht mehr gegenseitig fertig, sondern agieren gemeinsam, indem man zu Beginn überhaupt einmal Projektdetails aus den verschiedenen Perspektiven prüft und diskutiert. Oft ist es zielführender, seine Erwartungshaltung etwas zu ändern, statt an einzelnen Paragraphen festzuhalten. Wichtig für uns ist hier, auch ein wenig psychologisch die Rollen und Hierarchien in den Teams zu erkennen und darauf einzugehen.
Mit Fingerspitzengefühl kann man dann Prioritäten in den Umsetzungskatalogen setzen, wie es sie aus Zeit- und Kostengründen geben muss. Wir gehen dabei so vor, dass die Mitarbeiter jedem Prozessschritt ihre Annotationen beifügen. Diese sagen etwa aus, dass eine Ausführung vielleicht aus einer gesetzlichen Vorschrift nicht diskutierbar ist, dass es bei einem bestimmten Teil eine Außenwirkung zu den Kunden gibt, auf die man besonders achten sollte, oder dass es bei einer Interaktion von Spezialisten kein besonders nutzerfreundliches Interface braucht. Ein wesentlicher Teil dieses iterativen Vorgehens ist auch stets, Unklarheiten bei jedem Punkt aufzuzeigen und gemeinsam zu besprechen – so lange, bis alle auf dem gleichen Stand sind und Sachverhalte richtig angekommen sind.
New School of IT Bewährte Methoden reichen längst nicht mehr aus, der altmodische Ansatz hat ausgedient. Die »New School of IT« stützt sich im Gegenteil zur »Old School of IT« auf drei Eckpfeiler: die Mobilität von Geschäftsprozessen beziehungsweise Kunden, die Agilität in der Entwicklung von Informationssystemen und die Elastizität von IT-Infrastrukturen. Der Ansatz soll die Basis für eine IT mit Selbstbewusstsein schaffen. adesso ist überzeugt, dass sich die IT in den nächsten Jahren radikal und dauerhaft ändern wird. Info: www.new-school-of-it.de |
Report: Wie erfolgreich ist diese Methode?
Greiml: Von mittlerweile zwölf Arbeiten in Österreich sind alle gut abgeschlossen worden – darunter Projekte bei der Post, der Nationalbank, Münze Österreich, ITSV und AGES. In Deutschland sind von über hundert Projekten nur zwei schief gegangen. Das waren Projekte, in denen die Menschen von der Unternehmensleitung zur Teilnahme zwangsverpflichtet wurden und sich von Haus aus jeder Kooperation verweigerten.
Report: Wie groß ist das Geschäft bei adesso? Wie eigenständig ist Ihre Organisation in Österreich?
Greiml: Die Unternehmensgruppe adesso ist vorwiegend im deutschsprachigen Raum tätig und hat mehr als 1.800 Mitarbeiter. Wir schreiben aktuell rund 200 Mio. Euro Jahresumsatz, rund zwei Drittel davon in Deutschland. adesso hat Marktniederlassungen in der Schweiz und Österreich sowie kleinere Niederlassungen in der Türkei auch für Nearshoring, weiters in England und in den USA. Seit 2004 gibt es adesso in Österreich. Ich selbst war lange Jahre als Prokurist bei der Software AG tätig, zuletzt auch als Geschäftsführer, und wurde 2013 vom damaligen adesso-Geschäftsführer Thomas Zellinger ins Unternehmen geholt. Die Österreich-Niederlassung mit 60 Mitarbeitern tritt recht eigenständig am Markt auf. Unsere deutschen Kollegen wissen, dass Österreich eine eigene Kultur auch in der Wirtschaft hat – über die sie sich manchmal auch wundern –, aber sie lassen uns im positiven Sinne tun, was wir für richtig halten.
Report: Wenn Sie die DNA Ihres Unternehmens beschreiben – was unterscheidet Sie von anderen IT-Dienstleistern?
Greiml: adesso kommt aus seiner Geschichte heraus aus dem wissenschaftlichen Bereich. Gründer ist Volker Gruhn, der auch heute noch im Aufsichtsrat tätig ist und auch Geburtshelfer der »New School der IT« war. Er hat nach wie vor einen Lehrstuhl an der Universität Duisburg-Essen im Bereich agile Softwareentwicklung mit Schwerpunkt Mobilität. Unsere DNA besteht aus den drei Grundfesten Mobilität, Elastizität und Agilität. Diese Schwerpunkte sind in der digitalen Transformation notwendig und darauf baut die New School der IT auf. Mobilität beschreibt im Wesentlichen den bekannten Trend zu mobilen Endgeräten, die mittlerweile eine komplette Büroinfrastruktur darstellen können. Zu den Daten ins Büro fahren muss ich heute nicht mehr. Trotzdem müssen unsere persönlichen Notwendigkeiten von modernen IT-Lösungen berücksichtigt werden. Wir glauben nicht an Einheitsprodukte. Und Agilität ist ein Umdenken der Art und Weise, wie wir Geschäftsmodelle generell angehen. Schneller zu sein, flexibler reagieren zu können, Produkt-Rollouts in der IT jederzeit machen zu können – das ist ein Aufbrechen von dem, was unter IT und EDV in der Vergangenheit verstanden wurde.
Report: Wer sind Ihre Kunden?
Greiml: Wir adressieren vor allem Banken und Versicherungen, die Industrie mit unserer Industrie-4.0-Expertise und den öffentlichen Bereich. Zu unseren Kunden zählen beispielsweise der Hauptverband der Sozialversicherungsträger mit dem Schwerpunkt ITSV und die Förderstelle AgrarMarkt Austria. Gerade auch die Versicherungen haben sowohl mit einem Innovationsdruck rund um die Digitalisierung ihres Geschäfts zu kämpfen als auch mit einem irrsinnigen Kostendruck bei ihren internen Prozessen. Es sind – typisch für unsere Zeit – gegenlaufende Entwicklungen, denn Kostendruck wird ja in der Regel nicht mit Investitionen, sondern mit Einsparungen und Effizienzmaßnahmen reduziert. Wenn etwa ein Schadensprozess noch schlanker und effizienter abläuft, hilft das zwar im Moment und verbessert die Combined Ratio – also das Verhältnis zwischen den entstehenden Schadensaufwendungen mit den Prämieneinnahmen einer Versicherung. Aber es ist kein Blick in die Zukunft. Wir haben verschiedene Methoden und ein tiefgehendes Branchenwissen, um Versicherungen auf diesen beiden Ebenen zu begleiten.
Bild oben: In gemeinsamen Sitzungen werden die Bedürfnisse der Fachanwender und die Herausforderungen der IT analysiert.
Report: Wie sehr ist die Versicherungsbranche von der Digitalisierung überhaupt in den vergangenen Jahren durchdrungen worden?
Greiml: Wir haben in einer international durchgeführten Studie festgestellt, dass die Unternehmen immer noch sehr viele Medienbrüche in ihren Prozessen haben. Manche sehen das Einscannen von Flyern auf der Homepage und Eingabeformulare im Netz, die man händisch ausfüllen darf, schon als ausreichend für die Digitalisierung an. Das ist natürlich zu wenig. Hier wird es sicherlich in Richtung eines spielerischen Ermittelns und Eingebens von Informationen gehen – mit Schiebereglern, Symbolen und ansprechenden grafischen Gestaltungen. Das verstehen schon viele Versicherungen und dies wird teilweise bereits umgesetzt.
Dann geht es aber auch um das Verheiraten der verschiedenen Medienkanäle. Wenn Sie zum Beispiel bestimmte Informationen zu Ihrer Lebenssituation nach dem Erstgespräch mit dem Berater nachbessern wollen, wäre es doch praktisch, daran online anschließen zu können. Derzeit aber passen das Auftreten des Vertriebs beim Kunden und der Onlinekanal noch nicht zusammen. Meist heißt das auch, dass die Backendsysteme schlecht angebunden sind. Das liegt einfach auch an den Unternehmensstrukturen der großen Versicherungen. Wenn der Vorstand des Vertriebsbereichs ein System bei der IT in Auftrag gibt, werden Insellösungen gebaut. Diese historisch gewachsenen Strukturen miteinander zu verheiraten, das ist jetzt die Aufgabe.
Report: Wie steht es um die Innovationskraft großer Organisationen? Es liegt in der Natur der Sache, dass sich große hierbei wesentlich schwerer tun, als kleine Unternehmen, die von vornherein weniger bewahren müssen.
Greiml: Dass heute in so gut wie jeder Branche disruptive Geschäftsmodelle den Markt verändern, weiß mittlerweile jeder Vorstand. Wie es dann aber mit den Rezepten fürs eigene Unternehmen aussieht, das ist eine andere Sache. Manche Unternehmen besetzen eine Position des Innovation Officer oder Digital Officer – das ist schon einmal ein Schritt in die richtige Richtung. Dabei kommen die Bedrohungen meist aus dem Ausland, wie etwa den USA. Wenn wir wieder das Beispiel Versicherungsmarkt hernehmen: Dort gibt es bereits Überlegungen, Kunden über den Vertriebskanal Facebook vom Vertrieb lokal anzusprechen. Kfz-Versicherungsprodukte mit einer Verknüpfung von Telemetrie- und Positionsdaten gibt es ja bereits. Wer defensiv fährt, zahlt geringere Raten und wird auch in der Community aufs Podest gehoben, bekommt vielleicht einen Pokal. Wer gerne aufs Gas steigt, für den wird es dagegen teurer.
Bei all den Diskussionen zur Digitalisierung muss man aber auch die Kirche im Dorf lassen. Wir kennen, von Uniqa und Wiener Städtische angefangen, alle großen Versicherungen sehr gut und wissen, wo diese der Schuh drückt. Derzeit ist nicht die Digitalisierung alleine das dominante Thema, sondern auch der Wunsch, vermehrt Standardlösungen einzusetzen. Da müssen manchmal erst diese Dinge geklärt werden, bevor man die nächsten Wachstumsprojekte angeht.
Interaction Room Ein entscheidender Erfolgsfaktor für IT-Projekte ist die zielgerichtete Kommunikation zwischen Fach- und IT-Experten. Mangelhaftes Verständnis zwischen diesen Gruppen führt zu fehlerhaft umgesetzten Anforderungen und schlimmstenfalls zum Verlust der gemeinsamen Projektvision. Software-Entwicklungsprozesse – auch agile – geben in der Regel keinen Rahmen vor, wie sich die Teams mit den inhaltlichen Aspekten eines Projekts auseinandersetzen können. Der Interaction Room verfolgt ein ganz einfaches Ziel: Fach- und IT-Experten besser miteinander reden lassen. |