Samstag, Dezember 21, 2024

Am 1. Jänner 2016 tritt das Strafrechtsänderungsgesetz in Kraft. Das darin enthaltene Bilanzstrafrecht hat für die unternehmerische Praxis weitreichende Folgen.

Die Verurteilung des Hypo-Managers Wolfgang Kulterer stellt eine Zäsur in der jüngeren österreichischen Rechtsgeschichte dar. Das Delikt »Bilanzbetrug« interessierte bis dahin niemanden wirklich, die schwammige Beschreibung des Tatbestands erwies sich in der Praxis als höchst problematisch. Eine Trennlinie zu ziehen zwischen schwarzen Schafen, die vorsätzlich Unternehmenszahlen »frisieren«, und unternehmerischen Entscheidungen des Vorstands, ohne aber wirtschaftliches Handeln per se zu kriminalisieren – das war die große Herausforderung, der sich die Experten im Justizministerium stellen mussten.

Bernhard Gröhs, Managing Partner bei Deloitte Österreich, ist voll des Lobs für den Gesetzgeber: »Gratulation, da ist gut gearbeitet worden. Sehr viel besser hätte man es nicht machen können.«
Die bislang, teilweise unsachlich, auf einzelne Rechtsformen verstreuten Bilanzdelikte wurden nach langwierigen, erbittert geführten Diskussionen vereinheitlicht und zentral geregelt. »Dass die bisherige Zersplitterung bilanzstrafrechtlicher Tatbestände auf acht Einzelgesetze mit verschiedensten Tatbestandsmerkmalen und Strafrahmen nunmehr beendet wurde, ist eine längst überfällige legistische Leistung«, zollt auch Mathias Preuschl, Partner bei PHH Rechtsanwälte, Anerkennung.

Präzisierungen notwendig

Das neue Strafrechtsänderungsgesetz sieht im Wesentlichen nur noch zwei Bilanzdelikte vor: die unvertretbare Darstellung der Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage eines Unternehmens durch dessen Entscheidungsträger oder durch externe Prüfer bzw. Berater. Als Täter kommen damit insbesondere Geschäftsführer, Vorstandsmitglieder oder Prokuristen, aber auch Aufsichtsratsmitglieder sowie externe Prüfer in Frage.

An der Formulierung »in unvertretbarer Weise« scheiden sich jedoch die Geister. Für die PHH-Banking & Finance-Expertin Annika Wolf ist der Begriff zu wenig präzise. »Wünschenswerter wäre gewesen, explizit im Gesetzestext festzuhalten, dass das Erfordernis der Unvertretbarkeit bei Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen oder anerkannten Standards jedenfalls nicht erfüllt ist.« Ein Eventualvorsatz wird somit eigentlich von vornherein ausgeschlossen, denn die Formulierung zielt auf Wissentlichkeit und Absichtlichkeit ab.

"Die Möglichkeit der Richtigstellung falscher oder unvollständiger Angaben ist nur in engem zeitlichen Rahmen vorgesehen"

Doch nicht jedes »Lügen« ist strafbar. »Es muss zu einer zumindest potenziellen Herbeiführung eines erheblichen Schadens für das Unternehmen, dessen Gesellschafter, Gläubiger oder für Anleger kommen«, erläutert Preuschl. Mit Kollegin Wolf teilt er die Meinung, dass diese noch recht undefinierten Begriffe in Zukunft nachgeschärft werden müssen, »etwa durch Urteile des Obersten Gerichtshofs«. Bei der Beurteilung von Bilanzdelikten – und der Frage, inwieweit ein Schaden »erheblich« ist – werden vermutlich weiterhin die Sachverständigen eine wichtige Rolle spielen, meint Deloitte-Partner Gröhs: »Für den Mittelstand gibt es diesbezüglich noch keine Standards.«

Bewertung im Rückspiegel

»Aus Sicht der Wirtschaft« hätte man sich die Möglichkeit einer strafbefreienden Selbstanzeige gewünscht. »Tätige Reue« – ähnlich wie bei Finanzstrafverfahren – ist im neuen Bilanzstrafrecht zwar vorgesehen, aber nur in sehr engem Rahmen: Wer freiwillig falsche Angaben richtigstellen oder unvollständige Angaben nachtragen will, muss dies tun, bevor die entsprechenden Informationen veröffentlicht werden. Ist ein Geschäftsbericht einmal veröffentlicht, ist es zu spät. »Eine Selbstanzeige, die Straffreiheit garantiert, wäre vermutlich effektiver«, meint Gröhs.

Neue Vorstandsmitglieder, die Ungereimtheiten der Vergangenheit aufdecken, müssten nunmehr eine Verbandsstrafe gegen das Unternehmen fürchten, weist Alexander Lang, Partner bei Deloitte Tax, auf eine weitere Diskrepanz hin: »Hier muss man sich zwischen Pest und Cholera entscheiden. Es wird noch interessant, wie das in der Praxis gehandhabt wird.« Die restriktive Regelung könnte sich auch demotivierend auf finanzstrafrechtliche Selbstanzeigen auswirken, denn möglicherweise sei damit ein Bilanzdelikt verbunden, für das die Strafbefreiung eben nicht gilt.

Gerade die Bewertung länger zurückliegender Entscheidungen könnte je nach Standpunkt unterschiedlich ausfallen. »Zum Untersuchungszeitpunkt ist man immer besser informiert als zum Entscheidungszeitpunkt«, gibt Karin Mair, Partnerin bei Deloitte Forensic, zu bedenken. »Ist eine wirtschaftliche Fehlentscheidung kriminell oder zum damaligen Zeitpunkt vertretbar?« Das sei eine sehr juristische Diskussion, zumal Unternehmen historisch gewachsen sind und in der Vergangenheit nicht alles dokumentiert wurde. »Viele Unternehmen sind vor zehn Jahren in Märkte gegangen, die heute als ›pfui‹ gelten, zum Beispiel die Ukraine«, so Mair. »Die wirtschaftliche Lage ändert sich täglich, das Gesetz aber ist statisch.«
Für die österreichischen Wirtschaftstreibenden stellt das Bilanzstrafrecht 2015 jedenfalls einen erheblichen Mehraufwand dar. Die Experten empfehlen, alles möglichst umfassend offenzulegen – auch etwaige Unsicherheiten. Trotz des enormen Aufwands ist die detaillierte Dokumentation schwieriger Entscheidungsprozesse der einzige Schutz gegen Strafverfolgung. Schon allein durch die Aufnahme von Ermittlungen gegen einen Vorstand entstehe für das Unternehmen ein enormer Reputationsverlust, auch wenn sich der Verdacht später als haltlos herausstellen sollte.

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