Sonntag, Juli 21, 2024

Schon bald nach dem Absturz vom gefeierten Star zum Dopingsünder startete Bernhard Kohl mit einem Radgeschäft in Wien durch. Warum er sich nie entmutigen ließ und ihm der persönliche Kontakt zu den Kunden so wichtig ist, erzählt der ehemalige Radrennprofi im Report(+)PLUS-Interview.

 (+) plus: Viele haben Ihnen nicht zugetraut, dass Sie zum Unternehmer taugen. Wollten Sie das Gegenteil beweisen?

Bernhard Kohl: Aus der Insiderszene kam die Meinung: »Den Kohl wird’s nicht lang geben«. Mich hat das wenig belastet. Wenn ich ein Ziel habe, dann verfolge ich das. Wir haben den Skeptikern jedenfalls gezeigt, dass wir es können. In kurzer Zeit sind wir sehr schnell gewachsen. Mit sieben Mitarbeitern und 1.000 m² Fläche haben wir begonnen und vor zwei Jahren erweitert. Inzwischen haben wir 34 Angestellte und 3.000 m² Verkaufsfläche.

(+) plus: Verdienen Sie heute Ihr Geld schwerer als früher?

Kohl: Als Radprofi war ich zwar auch selbstständig, aber da hängen schon viel weniger Sorgen dran als bei einem Unternehmen. Man trainiert, fährt Rennen, muss auch Leistung erbringen. Der Leistungsdruck ist schon enorm. Aber in der Wirtschaft gibt es wiederum viele Entscheidungen, die einem niemand abnimmt. Das ist sehr komplex.

(+) plus: Hatten Sie die nötigen betriebswirtschaftlichen Kenntnisse?

Kohl: Ich kenne mich zwar mit Rädern gut aus, aber als Unternehmer bin ich ins kalte Wasser gesprungen. Ich habe mir aber einen Profi als zweiten Geschäftsführer geholt, der für das gesamte Backoffice zuständig ist. Zu Beginn hätte ich das ohne Hilfe nicht zuwege gebracht. Mittlerweile bin ich hineingewachsen. Klar schaue ich mir jeden Monat die Kennzahlen an. Aber es ist noch immer wichtig, dass ich im Verkauf vorne bin – Einkauf, Verkauf, Personal sind meine Bereiche.

(+) plus: Als Sportler braucht man viel Durchhaltevermögen. Half Ihnen die Fähigkeit, sich immer wieder neu zu motivieren, bei Ihrem raschen beruflichen Neustart?

Kohl: Wenn man als Unternehmer den gleichen Ehrgeiz und Willen mitbringt und ein Ziel vor Augen hat, wird man auch da erfolgreich sein. Aber die Annahme, dass ein Geschäft nur Geld bringt und nichts kostet, ist illusorisch. Wüsste man im Vorfeld, wie viel Anstrengung dahintersteckt, würden es sich viele Unternehmer wahrscheinlich anders überlegen.

(+) plus: Sie bieten auch viele Spezialräder im hochpreisigen Segment an. Wer sind Ihre Kunden?

Kohl: Kunden sind für uns alle Menschen, die Freude am Radsport haben. Unser Sortiment fängt bei Kinderrädern um 300 Euro an und geht über normale Alltagsfahrräder bis zu sportlichen Profirädern. Man kann für ein High-End-Rennrad auch 15.000 Euro ausgeben. Das ist kein unwichtiger Bereich, aber davon können wir nicht leben. Unser Schwerpunkt liegt im Preis-Leistungs-Segment bis 3.000 Euro. Der Bereich E-Bike ist momentan der am stärksten wachsende Markt. Auf diesen Zug sind wir frühzeitig aufgesprungen und haben uns im Großraum Wien einen sehr guten Namen gemacht.

(+) plus: Ist die Konkurrenz nicht gerade bei Rädern für die breite Masse sehr stark?

Kohl: Natürlich, teilweise verkaufen ja auch Supermärkte Fahrräder. Der Preis muss schon passen, aber bei uns steht die Qualität im Vordergrund. Sonst fährt man mit einem Rad nur ein paar Mal und hat keine Freude damit. Bei uns kostet ein Rad etwas mehr, aber ein sportlicher Fahrer ist bei uns definitiv an der richtigen Adresse. Wir leben von der Weiterempfehlung. Werbung im großen Stil können wir uns nicht leisten. Zufriedene Kunden sind uns deshalb sehr wichtig, nur daraus lässt sich unser starkes Wachstum erklären.

(+) plus:Ihr Name wird in der Öffentlichkeit noch immer stark mit der Doping-affäre verknüpft. Schmerzt Sie das?

Kohl: Absolut nicht. Das gehört zu meinem Leben, ich stehe offen dazu und mache das hier im Geschäft auch transparent. Mich kann jeder darauf ansprechen. Ich musste lange genug dieses Lügengebäude aufrechterhalten. Wenn man das Geschehen der letzten Jahre verfolgt hat, weiß man, dass ich nicht der Einzige war. Das ist leider Teil dieses Sports. Die meisten kehren zurück und machen einfach weiter. Ich wollte das nicht mehr und habe einen anderen Weg gewählt.

(+) plus: Sie wären seit Juli 2014 wieder startberechtigt. Hat es Sie nie gereizt, wieder Rennen zu fahren?

Kohl: Nein, das ist vorbei. Im Profi-Sport darf es nichts anderes im Leben geben, sonst hat man keinen Erfolg. Mit dem Geschäft und der Familie ist das ein Ding der Unmöglichkeit.

(+) plus: Ihre Kinder sind noch recht klein. Was werden Sie Ihnen von Ihrer Rennsportkarriere erzählen?

Kohl: So wie es war. Über die schönen Zeiten und auch die negativen. Vor 15 Jahren stand das Thema Doping noch nicht so in der Öffentlichkeit. Das hat sich seither schon deutlich gewandelt. Auf Prävention wird viel mehr Wert gelegt als früher. Doping betrifft aber nicht nur den Radsport, wie man derzeit in der Leichtathletik sieht. Jede Sportart hat ein Problem, es wird nur nicht mit gleichen Spielregeln gespielt.

(+) plus: Sie gaben an, bereits ab ihrem 20. Lebensjahr mit Doping begonnen zu haben. Merken Sie gesundheitliche Folgen?

Kohl: Bis jetzt nicht. Profi-Sport ist generell nicht gesund. Jeden Tag sechs, sieben Stunden trainieren, ob mit Doping oder ohne – da gibt es sicher Gesünderes. Andere rauchen oder trinken Alkohol, das hab ich dafür nicht gemacht.

(+) plus: Besonders beliebt sind Ihre wöchentlichen Radtouren. Machen Sie das zur Kundenbindung oder weil es Ihnen selbst so Spaß macht?

Kohl: Es ist beides. Für die Kunden ist es ein Erlebnis, mit mir Rad zu fahren, weil ich ihnen Tipps und Tricks geben kann. Für mich ist es ein positiver Fixpunkt, damit ich auch zum Radfahren komme. Als Selbstständiger könnte man ja auch 24 Stunden am Tag arbeiten. Aber am Dienstag ist um 17 Uhr Abfahrt und dann bin ich weg.

(+) plus: Ihr Fachwissen wird von den Kunden sehr geschätzt. Stehen Sie gerne jeden Tag im Geschäft?

Kohl: Sicher könnte ich auch nur hinten die Fäden ziehen. Aber wenn draußen groß Bernhard Kohl draufsteht, soll er auch drinnen sein. Es ist ganz wichtig, dass ich jeden Tag im Verkauf bin. Das ist meiner Meinung nach der Schlüssel zum Erfolg. Ich muss den Bedarf der Kunden spüren, sonst läuft es schnell in die falsche Richtung. Wir haben dann lauter Produkte, die niemand braucht. Auch im Team ist ein anderer Spirit, wenn ich da bin.

(+) plus: Mir ist aufgefallen, dass Sie Online-Anfragen über die Webseite sehr effizient abwickeln und den Support laufend verbessern. Ist Ihnen diese Form des Kundenservice wichtig?

Kohl: In einem Geschäft mit drei oder vier Mitarbeitern weiß vielleicht noch jeder über alles Bescheid. Aber bei 34 Leuten braucht man ein System, um Kunden zufriedenzustellen. Auch wenn ein Mitarbeiter mit dem Fall nicht betraut war, muss er den aktuellen Stand abrufen und dem Kunden eine Information geben können. Natürlich läuft bei uns auch nicht immer alles perfekt. Aber wir investieren lieber in diesen Bereich als in punktuelle Werbung. Auch ein Online-Shop ist vielleicht einmal ein Thema. Zuerst muss aber stationär alles hundertprozentig laufen. Die Schritte, die wir bisher gemacht haben, reichen eigentlich eh schon für 15 Jahre. Diesen Standort mit gutem Personal langfristig führen, ist momentan das Wichtigste.

(+) plus: Ist der Markt noch ausbaufähig?

Kohl: Radsport boomt definitiv. Der Markt ist riesig, es gibt auch viel Konkurrenz. Man kann schon jedes Jahr wachsen, aber man muss auch gute Arbeit machen.

Zur Person

Bernhard Kohl, geboren 1982 in Wien und aufgewachsen in Wolkersdorf, begann 2003 seine Karriere als Radrennfahrer im Rabobank-Juniorteam und gewann 2004 als Amateur die Gesamtwertung der Tour des Pyrénées. In seinen ersten Profi-Jahren fuhr er für das T-Mobile-Team und wurde 2006 österreichischer Staatsmeister im Straßenrennen, Glocknerkönig sowie Gesamt-Fünfter bei der Österreich-Rundfahrt. Nach einem schwierigen ersten Jahr im Team Gerolsteiner setzte sich Kohl im Juli 2008 überraschend als erster Österreicher in der Geschichte der Tour de France an die Spitze der Bergwertung und beendete die Rundfahrt auf dem dritten Gesamt-rang. Im folgenden Oktober wurden seine Ergebnisse auf der Tour wegen Dopings annulliert. Kohl belastete bei der Anhörung durch die Anti-Doping Agentur Austria (NADA) seinen Ex-Manager Stefan Matschiner schwer, dieser wurde später zu einer teilbedingten Haftstrafe verurteilt. Das Strafverfahren gegen Kohl selbst wurde eingestellt, die NADA verhängte eine Sperre von insgesamt sechs Jahren. Der Radprofi erklärte jedoch bereits im Mai 2009 seinen Rücktritt vom aktiven Rennsport und eröffnete 2010 ein Radgeschäft in Wien. Mit seiner Frau und den beiden Kindern lebt er in Niederösterreich.

 

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