Auf der Suche nach Milliarden fürs Budget kehrt eine Forderung wie das Amen im Gebet immer wieder: die Anhebung des Pensionsantrittsalters. In keinem anderen europäischen Land gehen die Menschen so früh in Pension wie in Österreich. Zwar liegt das gesetzliche Alter für Männer bei 65 Jahren, für Frauen bei 60 Jahren, tatsächlich treten die ÖsterreicherInnen im Schnitt bereits mit 58,6 Jahren in den Ruhestand – und zwar meist direkt aus der Arbeitslosigkeit oder Invalidität. Andererseits wird es Menschen, die länger arbeiten möchten, schwer gemacht: Ältere ArbeitnehmerInnen gelten als zu teuer und werden oft als Erste gekündigt.
Report(+)PLUS hat ExpertInnen nach ihrer Einschätzung gefragt.
1) Warum gilt es in Österreich als so erstrebenswert, möglichst früh in Pension zu gehen?
In vielen Unternehmen macht es heute keine Freude mehr, zu arbeiten. Der Druck auf Arbeitnehmer wird immer stärker. Die Verstaatlichte hat als erste massiv die Frühpensionierung als Mittel zur Unternehmenssanierung benützt (und benützen dürfen). Natürlich sind dann andere Unternehmen rasch gefolgt. Politiker haben das süße Wahlzuckerl erkannt, den frühen Ausstieg vom Arbeitsleid zu erlauben. Deshalb verfügt Österreich über mehr Schlupflöcher als andere Staaten. Die demografische Entwicklung wird ignoriert: 1904 wurde die Pensionierung mit 65 Jahren beschlossen und es gab praktisch keine Ausnahmen. Damals war die durchschnittliche Lebenserwartung für Männer 47,9 Jahre (heute 80,5).
Leopold Stieger, Gründer der Initiative seniors4success
Beinahe 90 % der Erwerbstägigen beenden das Erwerbsleben, sobald sie die Anspruchsvoraussetzungen für eine Alterspension (Altersgrenzen, Versicherungsjahre) erfüllt haben. Finanzielle Anreize (Abschläge bei vorzeitigem und Zuschläge bei späterem Pensionsantritt) werden tendenziell von anderen Einflussfaktoren überlagert. Die gesamtwirtschaftliche und individuelle Arbeitsmarktsituation (Arbeitslosigkeit, Belastungsfaktoren im Job usw.) spielt für den Pensionierungszeitpunkt ebenso eine Rolle wie die Höhe des Haushaltseinkommens, der Gesundheitszustand und die Familiensituation.
Christine Mayrhuber, Arbeitsmarktexpertin des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO)
Der Mythos Frühpension muss befreit werden von dem Vergleich mit dem Paradies. Vielmehr ist es so, dass viele ältere Arbeitnehmer von ihren Firmen gemobbt und aus dem Arbeitsprozess gedrängt werden. Die Aussicht auf einen neuen Job ist derzeit null. Über 40 % der Frühpensionisten kommen aus der Arbeitslosigkeit, weil die Jobs für ArbeitnehmerInnen 50+ fehlen. Dazu kommt: Ein frühzeitiger Pensionsantritt bedeutet lebenslange Abschläge, lebenslang Monat für Monat weniger Geld und ist somit alles andere als paradiesisch. Um längeres Arbeiten zu erreichen, braucht es eine altersgerechte Arbeitswelt mit entsprechenden Jobs für Menschen über 60 Jahren und ein Ende des Jugendkultes in den Personalbüros.
Karl Blecha, Präsident des Pensionistenverbands Österreichs
2) Auch seitens der Unternehmen ist die Bereitschaft, ältere Mitarbeiter zu beschäftigen, nicht sehr groß. Welche Anreize müssten gesetzt werden?
Solange Unternehmen denken, nur Jung ist gut, besteht keine Chance auf Änderung. Ältere gehen so früh wie möglich – mit ihrem Wissen und ihrer Erfahrung. Unternehmen schreien nach Fachkräften, gleichzeitig verabschieden sie aber laufend ihre Besten in die Pension. Sie sehen in der Regel nicht die Stärken Älterer, die in den letzten Jahren gewachsen sind, nur Defizite im Vergleich mit Jungen. Die Senioritätszahlungen müssen eingestellt werden, diese Zielgruppe braucht sie nicht. Stattdessen: Etwas gestalten, damit Arbeit wieder Freude macht. Pioniere aus dieser Zielgruppe im Unternehmen suchen und als Multiplikatoren wirken lassen, weil sie anders denken über das Alter als gewohnt.
Leopold Stieger
Die Tatsache, dass 50-Jährige noch rund ein Drittel des Erwerbslebens vor sich haben, ist bei den Betrieben noch nicht entsprechend angekommen. Es gibt zwar finanzielle Anreize für Betriebe (z.B. zielgruppenorientierte Lohnkostenzuschüsse) zur Beschäftigung Älterer, die hohe Altersarbeitslosigkeit braucht aber weitere Maßnahmen: Verpflichtende und innovative Modelle der Gesundheitsförderung und der Qualifizierung wie auch die Wiedereinführung einer Kostenbeteiligung im Falle von Freisetzung älterer Arbeitskräfte würden dazu beitragen, das Arbeitsmarktpoten-zial zu heben, die Beschäftigungsquoten zu erhöhen und das Pensionsantrittsalter hinauszuschieben.
Christine Mayrhuber
Betriebe sollen das reiche Erfahrungswissen, die hervorragende Entscheidungs-, Urteils- und Kommunikationsfähigkeit, die Lösungskompetenz, die Zuverlässigkeit und das Verantwortungsbewusstsein sowie die Loyalität von älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern schätzen und nutzen, statt dauernd lapidar »zu alt« zu urteilen. Die Reform der Arbeitswelt hat höchste Priorität! Die Wirtschaft ist stärker in die Pflicht zu nehmen und das vom Pensionistenverband seit langem vehement geforderte, im Regierungsprogramm festgeschriebene und derzeit leider noch immer von Wirtschaftsvertretern unverantwortlicherweise blockierte Bonus-Malus-System muss endlich rasch und konsequent umgesetzt werden! Betriebe, die ältere Menschen beschäftigen oder aus der Arbeitslosigkeit holen, sollen gefördert und die dafür notwendigen Mittel von jenen aufgebracht werden, die keine Älteren beschäftigen und sogar in Arbeitslosigkeit oder Frühpension drängen.
Ebenso brauchen wir das Pensionsmonitoring, um zu wissen, wo, wann und warum die Menschen frühzeitig in Pension gehen. Wir brauchen Teilpension und die Aufschubpension, die das Arbeiten über die Altersgrenze hinaus honoriert.
Karl Blecha
3) Besonders hoch ist die Zahl jener Arbeitnehmer, die aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Macht uns die Arbeit krank?
Die neue Invaliditätspension wird viel bewirken, weil es nicht mehr um »ganz oder gar nicht« geht. Solange aber Führungskräfte den Druck, den sie von oben bekommen, unfähig an ihre Mitarbeiter weitergeben, bleibt den Betroffenen vielfach nur der Ausstieg so früh als möglich. Die Zahl der psychodynamischen Seminarangebote sind im Gegensatz zu früher stark rückläufig – Motto: das kann man streichen –, sie wären sicherlich eine vorbeugende Maßnahme. Und Unternehmen müssen sich etwas einfallen lassen, damit Arbeit wieder Freude macht. Personalentwicklung ist nicht Defizitabbau, sondern Potenzialmethode. Unternehmen, die das verstanden haben, gehören noch mehr als bisher vor den Vorhang.
Leopold Stieger
Arbeitsplatzbelastungen sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht weniger, sondern mehr geworden. Die Verdichtung der Arbeit (Zeitdruck etc.) hat dazu geführt, dass sich die Arbeitsmarktchancen von Personen mit Gesundheitsproblemen verschlechtert haben. Modelle in anderen Ländern stellen auch hier die Verantwortung der Betriebe in den Vordergrund: Verpflichtende Re-Integrationsmaßnahmen, Arbeitsplatzadaptierungen für gesundheitlich Eingeschränkte und auch Kostenbeteiligung bei gesundheitsbedingten Personalfreisetzungen sind Rahmenbedingungen zur Verlängerung des Erwerbslebens.
Christine Mayrhuber
Die Zukunft liegt in altersgerechten Arbeitsplätzen. Dafür brauchen wir betriebliche Gesundheitsvorsorge, gesunde Arbeitsbedingungen, ergonomische Büros, eine besondere Gefahrenverhütung, die Reduktion von Schwer- und Schichtarbeit bei älteren Dienstnehmern, angepasste Pausenregelungen und arbeitsmedizinische Sonderprogramme. Und: Zu einer altersgerechten Arbeitswelt gehört auch ein neuer Führungsstil in den Geschäftsführungen, eine gute Durchmischung von jüngeren und älteren Dienstnehmern und neue Altersteilzeitmodelle. Dies alles ist auch einer dramatisch steigenden Zahl sogenannter »Burn-Out«-Erkrankungen geschuldet, weil Stress und Überbelastungen erkannt und vermieden werden können. Ein längerer gesunder Verbleib im Erwerbsleben ist eine Win-win-win Situation für Arbeitnehmer, Arbeitgeber und unser Pensionssystem!
Karl Blecha