Wien will Weltstadt sein – aber braucht es dazu offene Geschäfte? HandelsmitarbeiterInnen sind vom sonntäglichen Shopping-Vergnügen meist nur mäßig begeistert, für kleine Betriebe rechnet sich der Mehraufwand kaum.
In einer Urabstimmung befragt die Wiener Wirtschaftskammer derzeit ihre rund 100.000 Mitglieder nach ihrer Meinung zum Thema Sonntagsöffnung in Tourismuszonen und rüttelt damit an einem Tabu. In anderen Tourismusgebieten Österreichs ist Einkaufen am Sonntag längst Realität, jedes Bundesland hat seine eigene Regelung. Report(+)PLUS hat sich bei VertreterInnen betroffener Interessensgruppen umgehört.
1. Ist der arbeitsfreie Sonntag Teil der österreichischen Kultur?
Walter Rijs, Präsident der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien: Mit der Sonntagsruhe haben wir natürlich ein einzigartiges Kulturgut! Gerade Wien unterscheidet sich dadurch ganz spezifisch von anderen Metropolen: Der Sonntag ist ruhiger – ohne Zulieferverkehr und Stress – und natürlich kommen gerade auch deswegen unsere Kulturschätze ohne Konkurrenz von einer fast schon global vereinheitlichten Shopping-Kultur erst recht zur Geltung: die Wiener Kaffeehaus- und Heurigenkultur, offene Kirchen, Grünflächen und Plätze, wunderbare Museen, die beeindruckende Architektur. Die frühere US-Botschafterin in Wien, Susan McCaw, hat gesagt: »Ich liebe es, dass man am Sonntag mit der Familie ist. In den USA gibt es das nicht. Anfangs war es gewöhnungsbedürftig, aber jetzt finde ich das schön.«
Renate Anderl, Vizepräsidentin und Bundesfrauenvorsitzende des Österreichischen Gewerkschaftsbundes: Nicht nur der österreichischen Kultur. Es geht dabei aber um mehr als nur Kultur. Arbeitsfrei an einem bestimmten Tag, eben dem Sonntag, für möglichst viele Menschen muss auch in Zusammenhang gesehen werden mit Zeit für Familie, Partnerschaften, Freundschaften oder eben Gemeinschaften und für gemeinsame Unternehmungen. Sicher aber nicht für einen Familieneinkauf, wie AnhängerInnen der Sonntagsöffnung immer wieder auch durchklingen lassen. Und diejenigen, die schon aus gesellschaftlicher Notwendigkeit an einem Sonntag arbeiten müssen, beispielsweise im Gesundheits- oder Sicherheitsbereich, können ein Lied vom fehlenden freien Sonntag singen.
Walter Ruck, Präsident der Wirtschaftskammer Wien: Es gibt den arbeitsfreien Sonntag de facto nicht. Ärzte, Gastronomen, Taxifahrer oder auch die Polizei sind am Sonntag im Einsatz. Zudem haben schon heute viele Einzelhandelsgeschäfte an Bahnhöfen oder am Flughafen geöffnet. In acht von neun Bundesländern gibt es über 500 Tourismuszonen, wo am Sonntag geöffnet werden darf. Ich gehe davon aus, dass dies auch in einer Touristenmetropole wie Wien funktionieren wird.
2. Sollen Geschäfte in Tourismuszonen oder Einkaufszentren auch am Sonntag geöffnet haben?
Walter Rijs: Souvenirshops und der Laden am Bahnhof für Zahnpasta, Haarshampoo und Milch haben ja ohnehin geöffnet. Hier wird etwas zum Thema gemacht, das nur dem Interesse einzelner Lobbys dient und nicht dem gesamten Wohlbefinden der Bevölkerung. Es würden in erster Linie Ketten und Konzerne auf Kosten der kleinen Wirtschaftsbetriebe profitieren. Der Tourismus hat sich seit dem Jahr 2004 in Wien verdoppelt. Das zeigt doch, dass Gäste nicht wegen des Einkaufens nach Wien kommen.
Renate Anderl: Nein. Wir haben in Österreich zu Recht viel Besseres und Schöneres anzubieten als hektisches Treiben in Einkaufszentren. Millionen Menschen kommen jedes Jahr nach Österreich wegen unserer Natur, der Kultur, dem Schivergnügen oder den vielen anderen Möglichkeiten, einen guten Urlaub zu verbringen. Und zu Recht wirbt die österreichische Tourismuswirtschaft mit diesenAngeboten und nicht damit, sich dem Rausch des Einkaufs hinzugeben.
Walter Ruck: Es geht uns mit der Frage nach der Errichtung von Tourismuszonen in stark frequentierten Stadtgebieten um ein Ermöglichen. Die Unternehmer sollen selbst entscheiden, ob und wann sie am Sonntag ihr Geschäft öffnen wollen.
3. Was erwarten Sie von einer Lockerung der Ladenöffnungszeiten?
Walter Rijs: Eine noch stärkere Ausweitung der Arbeitszeiten bringt kleine Gewerbetreibende und Familienbetriebe noch mehr unter Druck. Mehr Sonntagsarbeit brächte auch für die Angestellten im Verkauf eine empfindliche Störung ihres – ohnehin stark bedrängten – Familienlebens. Viele Angestellte leben im Umfeld von Wien. Diese können nicht zugleich im Ort bei einem Feuerwehr-, einem Kirchenfest oder bei der Musikkapelle sein. Damit ruiniert man auch die Kultur und den Zusammenhalt der Umlandgemeinden von Großstädten.
Renate Anderl: Auf keinen Fall einen höheren Umsatz. Es drohen zusätzliche Belastungen für die Beschäftigten und es wird auch zu Spannungen unter den Handelsbetrieben kommen. Vor allem der Druck auf kleinere Geschäfte im Wettbewerb mit den Großen wird steigen. Wenn die Umsätze durch die Sonntagsöffnung nicht wesentlich steigen, diese sich bei Mehrkosten nur auf sieben statt sechs Tage verteilen, wird es für die Kleineren eng. Das ist weder für die Beschäftigten noch für die KonsumentInnen, und damit wieder für die ArbeitnehmerInnen, wünschenswert. Und noch etwas sei angemerkt: Die derzeitigen gesetzlichen Möglichkeiten bei den Öffnungszeiten werden noch lange nicht voll ausgeschöpft.
Walter Ruck: Die KMU Forschung Austria hat erhoben, dass es um zumindest 140 Millionen Euro Mehrumsatz und 800 neue Jobs geht, sollte eine Tourismuszone in der Wiener Innenstadt errichtet werden. Das sind positive Aussichten, die wir in der derzeit wirtschaftlich schwierigen Lage unbedingt nutzen sollten.