Wenn Unternehmen in gesundheitsfördernde Maßnahmen investieren, steht nicht unbedingt das Wohlbefinden der Mitarbeiter und die Minderung der Arbeitsbelastung im Vordergrund. Erfolgreich sind besonders Programme, die von allen Führungskräften mitgetragen werden.
Die Zahl der Langzeiterkrankungen ist in den letzten Jahren stark angestiegen. Zunehmender Termin- und Leistungsdruck belasten die Arbeitnehmer psychisch und wurden zur Hauptursache krankheitsbedingter Fehlzeiten. Aber auch Muskel- und Skeletterkrankungen rücken immer mehr in den Fokus. Fast 90 % der Beschäftigten sind laut der aktuellen Mercer-Studie »Health Management Survey 2014« durch Stress auch in ihrer Arbeitsfähigkeit eingeschränkt. Schätzungen zufolge sind in Österreich rund 900.000 wegen psychischer Probleme in Behandlung. Nicht ohne Grund schreibt die seit Jänner 2013 geltende Novelle zum ArbeitnehmerInnensschutzgesetz (AschG) ausdrücklich eine Evaluierung psychischer Belastungen vor. Betriebe sind nunmehr gesetzlich verpflichtet, belastende Faktoren zu reduzieren und die psychischen Ressourcen der Mitarbeiter zu stärken. Betriebliches Gesundheitsmanagement (BGM) scheint unter diesen Aspekten unumgänglich. Nicht nur um Strafen zu entgehen, sondern vielmehr um die Arbeitsbedingungen langfristig zu verbessern und damit die Produktivität zu sichern, sollten die AschG-Bestimmungen zügig umgesetzt werden, empfiehlt Andrea Außerlechner, Leiterin des Health Managements bei Mercer Österreich.
Psychische Belastung
Das Bewusstsein dafür ist vorhanden – allerdings haben im Schnitt bisher weniger als die Hälfte der 250 Unternehmen, die an der Umfrage teilnahmen, entsprechende Maßnahmen ergriffen. Insbesondere Klein- und Mittelbetriebe beschäftigen sich mit diesem Thema noch kaum. Nur 23 % der KMU haben Angebote zur Gesundheitsförderung auf der Agenda. Bei Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern beträgt die Quote 92 %. Auf die ergonomische Arbeitsplatzgestaltung wird der größte Wert gelegt, auch Impfungen sind fix im Angebot vieler Betriebe. Ein Viertel hat für die Mitarbeiter eine Krankenzusatzversicherung abgeschlossen. Vorträge zur Burnout-Prävention und den Themen Bewegung und Ernährung gibt es immer häufiger.
Umfassende Programme, wie sie etwa das Familienunternehmen Würth, Marktführer im Segment Montage- und Befestigungstechnik, bietet, sind aber selten. Unter dem Titel »well@wuerth« finden zweimal jährlich mehrwöchige Gesundheitsaktivitäten mit spielerischem Wettkampfcharakter statt. Ein kostenloses Gymnastik- und Massageangebot, individuelle Gesundheitsberatung und Impfaktionen stehen laufend zur Verfügung. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema schließt auch die psychische Gesundheit der Beschäftigten ein: In einer umfangreichen Mitarbeiterbefragung wurde heuer erhoben, wie stark sich u.a. die Belastung durch Zeitdruck, hohe Verantwortung, Schichtarbeit oder Hitze und Lärm psychisch auswirkt. In 16 Workshops erarbeiteten die Mitarbeiter der Personalabteilung durch Rollenspiele nach der »Walt Disney-Methode« konkrete Vorschläge, die zu einem besseren Umgang mit Belastungsfaktoren führen können. »Die Gesundheit unserer Mitarbeiter ist der Grundstein für Motivation und Begeisterungsfähigkeit, die auch unsere Kunden spüren sollen. Das Wohlbefinden unserer Arbeitnehmer ist daher ein wichtiger Erfolgsfaktor unseres Unternehmens und nimmt einen sehr hohen Stellenwert ein«, unterstreicht Alfred Wurmbrand, Geschäftsführer von Würth Österreich, seine Beweggründe.
Sport mit dem Chef
Wie Qualität und Quantität differieren auch die Motive für die Einführung gesundheitsfördernder Maßnahmen erheblich. Nicht vorrangig das Wohlbefinden der Mitarbeiter oder die Minderung der Arbeitsbelastung stehen im Vordergrund – diese Gründe wurden nur von 15 bzw. 28 % der rund 550 Befragten im Rahmen der »Trendstudie Betriebliches Gesundheitsmanagement« genannt. Vielmehr versprechen sich die Unternehmen eine höhere Attraktivität als Arbeitgeber und weniger Krankenstandstage. Möglicherweise liegt es an diesem Kalkül, dass auch Beschäftigte dem BGM oft recht skeptisch gegenüberstehen. Das Forscherteam war in den Interviews nicht selten mit Fragen wie »Warum kümmert man sich auf einmal um mich?« und »Warum soll ich mit meinem Chef Sport treiben?« konfrontiert. Aus dieser Skepsis spricht Unbehagen gegenüber von der Unternehmensleitung »verordneten« Maßnahmen, die aber nicht ehrlich von allen Führungsebenen mitgetragen und mitgelebt werden. »Das macht deutlich, dass die Implementierung eines BGM eine anspruchsvolle Aufgabe mit noch ungelösten Herausforderungen ist. Damit es erfolgreich ist, muss in das nötige Personal und die Kommunikation durch Führungskräfte investiert werden«, erklärt Studienautorin Janina Zinke von der Humboldt-Universität Berlin. Investitionen in den Arbeits- und Gesundheitsschutz sollten ohnehin nicht an den Kosten, sondern am Nutzen gemessen werden, meint Jochen Prümper, Professor für Wirtschafts- und Organisationspsychologie an der Berliner Hochschule für Technik und Wirtschaft, der in Kooperation mit der Humboldt-Universität die Trendstudie durchführte. Die Ausgaben lohnen sich jedoch in jedem Fall: Experten errechneten für Deutschland einen »Return on Prevention« in Höhe von 1,6 und für Österreich sogar von 3,6. Das bedeutet, für jeden in Gesundheitsmanagement investierten Euro kommen im Schnitt 3,6 Euro zurück. Prümper interessierte aber auch die unterschiedliche Ausrichtung betrieblicher Gesundheitsmaßnahmen im deutschsprachigen Raum. »Österreicher leben und sterben zwar ungesünder als die Deutschen, dafür geht es ihnen besser«, wundert sich der Psychologe. In Österreich trinkt man mehr Alkohol, raucht mehr und hat eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit, an Diabetes, Herzversagen, einem Arbeitsunfall oder durch die eigene Hand zu sterben – dafür konsultieren Österreicher seltener einen Arzt, weisen weniger Fehlzeiten auf und fühlen sich häufiger bei bester Gesundheit. »Offensichtlich unterscheiden sich Österreicher und Deutsche also nicht nur durch die gemeinsame Sprache, sondern auch durch ihr arbeitsbezogenes Gesundheitsverhalten«, analysiert Prümper in Anlehnung an Karl Farkas.
Vorbildwirkung
Ein wirkliches Schwerpunktthema ist BGM allerdings in beiden Ländern nicht unbedingt. Vorrangig KMU liegt dabei wirklich die Zufriedenheit der Mitarbeiter am Herzen, Großbetriebe sehen sich oft eher aufgrund des demografischen Wandels zur Beschäftigung mit diesem Thema getrieben. Kein Feigenblatt ist BGM auch für den Tiroler Holzwerkstoffproduzenten Fritz Egger GmbH. »Bei Egger ist betriebliche Gesundheitsförderung fest im Leitbild des Unternehmens verankert«, bestätigt Personalchef Wolfgang Loinger. »Das Ziel ist, allen Mitarbeitern eine sichere und gesunde Arbeitsumgebung zu bieten, sie mit verschiedensten Angeboten für Fitness und Gesundheit zu unterstützen und durch gezielte Maßnahmen Arbeitsunfälle und krankheitsbedingte Ausfälle zu minimieren.« Das Programm umfasst jährlich mehr als 40 Veranstaltungen, darunter auch viele fortlaufende Aktionen wie Obst- und Joghurttage, Bike-Kurse oder Beratung durch eine Physiotherapeutin. Da mehr als die Hälfte der Belegschaft Schichtarbeit leistet, werden Termine und Kurse speziell auf diese Gruppe abgestimmt. An den Familien- und Gesundheitstagen können auch die Angehörigen Herz-Kreislauf-Tests, Körperfettmessungen und andere Untersuchungen durchführen. Vorbildwirkung wird groß geschrieben: Die Führungskräfte werden regelmäßig in gesundem Führen geschult. Besonderer Beliebtheit erfreut sich die Initiative »Egger läuft« – für jeden Kilometer, den Mitarbeiter bei Laufevents absolvieren, überweist das Unternehmen fünf Euro an eine soziale Einrichtung. Die Erfolge spornen zusätzlich an. Beim heurigen Ironman in St. Pölten nahmen gleich 60 Mitarbeiter teil, belegten die ersten drei Plätze in der Männer-Staffel und holten den Sieg in der Mixed-Staffel.
Best Practice
Internorm International GmbH
1.650 Mitarbeiter, Traun
Um das Gesundheitsbewusstsein und die Eigenverantwortung zu fördern, bietet Internorm den MitarbeiterInnen Gesundheitstage und qualifizierte Fachberatungen zu den Themen Ernährung, Bewegung und Mentaltraining sowie Begleitung in ein rauchfreies Leben an. Eigene Vorträge für Schichtarbeiter, »Richtiges Heben und Tragen« und eine »Anleitung zum psychischen Wohlbefinden« komplettieren das Portfolio. Die Pausenräume wurden neu gestaltet und das Angebot gesunder Mahlzeiten in der Kantine erweitert. Für Führungskräfte gibt es Schulungen hinsichtlich Lob, Anerkennung und konstruktiver Kritik. Das große Engagement der MitarbeiterInnen bei den Teamaktivitäten zeigt, wie stark sich die »Internormler« mit den Unternehmenswerten identifizieren.
Flextime GmbH
11 Mitarbeiter, Weiz
Das Kleinunternehmen ist im Bereich Personalbereitstellung tätig. Neben der Stärkung der mentalen und physischen Fähigkeiten steht das gesundheitsförderliche Verhalten im Alltag im Mittelpunkt. Gemeinsam mit der Arbeiterkammer Steiermark wurde ein Gesundheitscheck angeboten, außerdem gibt es Zuschüsse für ein frisch gekochtes Mittagessen und sportliche Aktivitäten. Da die meisten MitarbeiterInnen Eltern von kleinen Kindern sind, wurde das Home-Office-Angebot stark ausgebaut und sehr flexible Arbeitszeiten ermöglicht. In den Büroräumen in Ludersdorf gibt es ein eigenes Kinderzimmer, um die Betreuung zu erleichtern.
BMW Motoren GmbH
3.700 Mitarbeiter, Steyr
Als einer der größten Industriebetriebe Österreichs sieht das BMW-Werk Steyr die Gesundheit und Arbeitssicherheit als essentielle Verantwortung. Das Ziel ist, die MitarbeiterInnen für einen gesunden Lebensstil zu begeistern. Die Tipps orientieren sich an bekannten Problemen aus dem Arbeitsalltag und sind in der Praxis leicht umsetzbar. »Oberfläche schützen« heißt beispielsweise eine Aktion, mit der über Schutz und Gesundheit der Haut informiert wird. Ein eigenes Fitnesscenter mit Trainingsmöglichkeiten und Physiotherapie steht in unmittelbarer Nähe zur Verfügung. Das Programm »Heute für morgen« richtet sich bewusst an alle Altersgruppen und setzt auf persönliche Kommunikation: Der Dialog wirkt zur Sensibilisierung des Gesundheitsverhaltens besonders nachhaltig.
Stora Enso
246 Mitarbeiter, Bad St. Leonhard
Das Unternehmen aus der Holzindustrie nutzte ungewöhnliche Wege, um die MitarbeiterInnen zur Beteiligung am Gesundheits- und Bewegungsprojekt zu motivieren. Es wurde fotografiert, gepostet, interviewt, gefilmt, Comics entwickelt und vieles mehr. Die große Beteiligung ist auch den Führungskräften zu verdanken, die sich selbst intensiv einbrachten und so viele MitarbeiterInnen »mitrissen«.
Fossek OG
13 Mitarbeiter, Retz
Das Gebäudereinigungsunternehmen setzt, initiiert durch die Geschäftsführerin Ilse Fossek, seit 2011 intensive Maßnahmen, um die Arbeitsbedingungen und den Zusammenhalt des Teams zu verbessern. Betriebliche Gesundheitsförderung ist ein fixer Bestandteil von Teambesprechungen und Mitarbeitergesprächen. Ein firmeninternes Abnehmprogramm wurde mit einem erweiterten Getränkeangebot und Obst unterstützt. Jede Mitarbeiterin, die eine Vorsorgeuntersuchung durchführen lässt, bekommt als Anreiz drei Urlaubstage geschenkt. Das morgendliche »Frischluft-Programm« kommt auch der Gesellschaft zugute: Noch vor Arbeitsbeginn helfen abwechselnd alle MitarbeiterInnen als freiwillige Lotsen den Schulkindern über die Straße.
B. Kern BaugesmbH
65 Mitarbeiter, Unterweißenbach
Das Bauunternehmen von Philipp Kern zählt zu den Vorreitern der Betrieblichen Gesundheitsförderung. Bereits seit 1999 ist sie fixer Bestandteil der Unternehmenspolitik. Zum Betreuungsteam zählt u.a. ein Masseur, der sich um das bei Bauarbeitern latente Problem der Rückenschmerzen und Haltungsschäden kümmert, sowie ein Coach, der bei beruflichen oder privaten Sorgen kostenlos zur Verfügung steht. Auch auf eine freundliche und ergonomische Gestaltung der Büroarbeitsplätze wurde geachtet. Der Erfolg und die Nachhaltigkeit der Maßnahmen werden laufend überprüft und für Verbesserungen genutzt – für die Branche überraschend geringe Fehlzeiten und hohe Leistungsbereitschaft bestätigen diesen Weg.
Brau Union AG
652 Mitarbeiter, Linz
Bereits 2005 startete die Brau Union die ersten Gesundheitsprojekte. Der Schwerpunkt lag in den folgenden Jahren in der Verbesserung der Arbeitsbedingungen. Jene ArbeiterInnen, die größeren körperlichen Belastungen ausgesetzt waren, wurden besonders berücksichtigt. Die Aktivitäten reichten von Rückengymnastikprogrammen bis hin zur Einführung von Krankenstandsrückkehrgesprächen, auch Probleme mit Alkohol, Rauchen und Stress wurden thematisiert. »Gesundheitsstammtische« machen Lust auf gemeinsame Sportaktivitäten. Seit 2012 trägt das Unternehmen 50 % der Kosten für eine Therapie oder Beratung bei psychischen Belastungen. MitarbeiterInnen können diese Leistung anonym in Anspruch nehmen, auf Wunsch werden gemeinsam mit Arbeitsmedizinern Stressoren analysiert und mit den Vorgesetzten ein Maßnahmenplan erarbeitet.