Fachwissen und Verstand sind wichtig – aber nur wer auch seine emotionalen und sozialen Fähigkeiten einsetzt, kann eine erfolgreiche Teamkultur schaffen.
»Was nützt ein hoher IQ, wenn man ein emotionaler Trottel ist?« Mit dieser provokanten Aussage stellte der Psychologe und Wissenschaftsjournalist Daniel Goleman die Fähigkeit, eigene und fremde Gefühle zu erkennen und zu beeinflussen, 1995 auf eine populärwissenschaftliche Ebene. Sein Buch »Emotionale Intelligenz« wurde ebenso ein Bestseller wie die 2006 nachgereichte Fortsetzung »Soziale Intelligenz«, die zwischenmenschliches Verhalten in den Vordergrund rückt.
Die Diskrepanz Kopf vs. Bauchgefühl sorgte auch in Wissenschaftskreisen für Emotionen. Forscherkollegen warfen Goleman vor, in seinem Konzept erlernbare Fähigkeiten mit Persönlichkeitseigenschaften zu vermischen. Und überhaupt: Das alles sei ein alter Hut. Schon 1920 hatte der Psychologe Edward Lee Thorndike den Kerngedanken entworfen, dass ein fachlich versierter Mechaniker als Vorarbeiter scheitern würde, wenn es ihm an sozialer Intelligenz fehlte. Inzwischen haben sich die Wogen in der Wissenschaftsdebatte geglättet. Empirische Studien belegen hinlänglich, dass Menschen, die eigene und fremde Gefühle steuern können, privat und beruflich erfolgreicher sind, seltener unter psychischen Störungen leiden, gesünder und ausgeglichener leben und insgesamt zufriedener sind.
>> Kopf und Bauch <<
Auch in der Wirtschaft hat Golemans These Resonanz gefunden. Bei der Auswahl von Führungskräften zählen längst nicht nur fachliche Qualifikationen, sondern auch soziale Kompetenzen wie Empathie, Intuition und die Bereitschaft zu tätigem Mitgefühl. Schon aufgrund ihrer Position üben sie starken Einfluss auf die emotionale Haltung und Reaktion der Mitarbeiter und Kollegen und damit letztlich auch auf das Betriebsklima aus. Glaubwürdigkeit und Leidenschaft können Menschen mitreißen – ihr Fehlen lässt dagegen Vertrauen und Respekt für den Teamleader schwinden.
Die Frage, ob bei Entscheidungen Kopf oder Bauch die Oberhand gewinnt, stellt sich nicht. Um effektiv und erfolgreich handeln zu können, muss das Gehirn beide Ebenen zusammenführen. »Wir sind beides, Gefühls- und Verstandeswesen«, sagt der Göttinger Hirnforscher Gerald Hüther. Jede Erfahrung bestehe aus einem kognitiven Anteil (»Was habe ich erlebt?«) und einem emotionalen Anteil (»Wie ist es mir dabei ergangen?«). Die Summe der gesammelten Erfahrungen formt sich schließlich zu dem, was wir als »Haltung« eines Menschen bezeichnen. Auch das Wertesystem des Kulturkreises, in dem wir aufwachsen, spielt dabei eine Rolle. Jemanden »das Gesicht wahren zu lassen«, hat etwa in Asien große Bedeutung.
Schon Kleinkinder erlernen unbewusst diese Verhaltensmuster. Von der Qualität dieser frühen Erfahrungen und Bindungen hängt maßgeblich die spätere emotionale Kompetenz ab. Nach Ansicht der Forscher ist vor allem die rechte Gehirnhälfte ein Sensor für den unbewussten Empfang und Ausdruck von Gefühlen. Da man aber sein Leben lang emotionale Erfahrungen sammelt, wächst auch die damit verbundene Fähigkeit, Beziehungen zu knüpfen und zu pflegen. Experten unterscheiden deshalb zwischen angeborenen Fähigkeiten (Intelligenz) und erworbenen Fähigkeiten, die durch Lernen und Üben stetig erweitert und verbessert werden können (Kompetenz).
>> Mitarbeiter als Spiegel <<
Das Beratungsunternehmen Hay Group entwickelte in Zusammenarbeit mit Daniel Goleman und Richard Boyatzis zur Messung herausragender Leistungen das Online-Tool »Emotional and Social Intelligence Competency Inventory« (ESCI). »Ein Top-Performer in einer komplexen Rolle kann mehr als eineinhalb Mal so erfolgreich sein wie ein durchschnittlicher Mitarbeiter. Untersuchungen in über 200 Unternehmen weltweit zeigen, dass ein Drittel dieses Unterschieds auf fachlichen und kognitiven Fähigkeiten beruht und zwei Drittel auf emotionaler Intelligenz«, heißt es seitens der Hay Group.
Anhand von 72 Fragen filtert ESCI zwölf relevante Komponenten emotionaler und sozialer Intelligenz heraus. Die gute Nachricht: Auch wenn das Feedback schlecht ausfällt, muss man kein emotionaler Krüppel bleiben. Selbst Erwachsene können ihren EQ noch verbessern – Führungskräfte sollten es auf jeden Fall tun. Positive Ausstrahlung kann »ansteckend« wirken, negative Emotionen wie Stress oder Zorn werden von den Mitarbeitern aber ebenso widergespiegelt.
Nach Ansicht der Organisationsberater Gabriele und Toni Kofler, zwei der wenigen nach dem ESCI zertifizierten Berater in Österreich, stößt das Tool in der Praxis jedoch an Grenzen: »Ob der Wert bei der Fähigkeit »Emotionen ausdrücken« beispielsweise 4,7 oder 4,9 beträgt, ist nicht sehr aussagekräftig. Das Modell suggeriert eine Messbarkeit, die nicht in die Wirklichkeit übertragbar ist. Die individuelle Arbeit mit erfahrenen Coaches kann es keinesfalls ersetzen.« Die Psychotherapeutin Gabriele Kofler sieht zudem einen Widerspruch zwischen Methodik und Inhalt: »Manche Unternehmen brauchen diese rationale Ebene. Das Auswerten von Zahlen ist aber im Zusammenhang mit emotionalen Empfinden ein unnötiger Umweg. Man muss in den Moment hineinfühlen, wo sich jemand zum Team abwertend verhält. Diese Situationen gilt es zu bearbeiten, da hilft ein Test überhaupt nicht.«
Die gemeinsam mit Managementcoach Walter Bertolini entwickelte Seminarreihe »Essenz der Führung« setzt deshalb primär bei der körperlichen und sozialen Wahrnehmung an. »Eine der Aufgaben ist zum Beispiel, in der Firma die Beziehung zu Menschen zu vertiefen, die für die eigene Karriere total uninteressant sind. Ich suche mir drei Leute, die ich in den letzten Jahren kaum wahrgenommen habe, und überlege mir, wie ich mit ihnen in Kontakt komme. Das ist für viele Menschen sehr stressig«, erklärt Toni Kofler. »Wenn ich dann neben der Selbsterkenntnis auch noch das Feuer in mir entdecke, kann ich auch andere inspirieren.«
>> Der richtige Ton <<
Bis dahin ist es für manche ein weiter Weg – sofern sie ihre soziale Inkompetenz überhaupt erkennen. Galten früher Gefühle bei der Arbeit als verpönt, schlägt das Pendel nun mitunter in die Gegenrichtung aus. Unberechenbare Tyrannen, die ihrem Ärger freien Lauf lassen, unbeliebte Einzelgänger oder eitle Selbstdarsteller wanken zwischen emotionaler Taubheit und höchster Erregung, sind in diesem Gefühlschaos aber kaum in der Lage, im Umgang mit den Mitarbeitern den richtigen Ton zu treffen. »Ein bisschen nett zu sein, reicht nicht. Langfristig tragende Beziehungen und Interaktionen in Teams werden so nicht geschaffen«, sagt die Kölner Leadership-Expertin Eva B. Müller. Umgekehrt halten Beziehungen mit gutem Fundament auch stärkeren Belastungen durch negative Kritik und Misserfolge Stand.
Emotionale Intelligenz bedeutet nicht nur, die eigene Gefühlswelt und die der anderen zu verstehen, sondern auch, sich der Situation angemessen zu verhalten. Männer haben oft Hemmungen, sich diesbezüglich zu artikulieren. Vor allem die ältere Generation wurde noch dazu angehalten, Ängste, Zorn oder Enttäuschungen »wie Indianer« stoisch zu ertragen. Einfühlungsvermögen wird gerne Frauen zugeschrieben, schließlich sind sie von Kindheit an »trainiert«, Gefühle und Stimmungen anderer Menschen zu deuten und zu verstehen. Wissenschaftlich belegt ist diese geschlechtsspezifische Zuordnung jedoch nicht. Viel eher zeigt sie, dass soziale Kompetenzen durchaus erlernbar sind.
Die vier Dimensionen Emotionaler Intelligenz (nach Goleman)
PERSÖNLICHE KOMPETENZEN – Wie gut managen wir uns selbst?
1. Selbstwahrnehmung:
- sich der eigenen Emotionen und ihrer Wirkung bewusst sein
- sich bei Entscheidungen auch von Intuitionen leiten lassen
- die eigenen Stärken und Grenzen kennen
- Selbstvertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Werte
2. Selbstmanagement:
- negative Emotionen und Impulse unter Kontrolle halten
- Aufrichtigkeit, Integrität und Vertrauenswürdigkeit vermitteln
- flexibler Umgang mit Veränderungen
- die positiven Aspekte sehen
- aktiv handeln
- Bereitschaft, die eigene Leistung zu verbessern
SOZIALE KOMPETENZEN – Wie gut managen wir Beziehungen?
3. Soziales Bewusstsein:
- Empathie: die Gefühle anderer wahrnehmen, aktives Interesse für ihre Anliegen zeigen
- Organisationsbewusstsein: Gruppen, Netzwerke und ungeschriebene Regeln erkennen
- Service: Bedürfnisse von Mitarbeitern, Kollegen oder Kunden erkennen und erfüllen
4. Beziehungsmanagement:
- Inspiration: mit einer überzeugenden Vision lenken und motivieren
- Einfluss: andere überzeugen
- Förderung: Potenziale erkennen und wecken
- Katalysator: Veränderungen initiieren und steuern
- Konfliktmanagement: Meinungsverschiedenheiten klären
- Bindungen: ein Beziehungsnetz aufbauen und pflegen
- Kooperation: Zusammenarbeit definieren, Teamentwicklung