Montag, Dezember 23, 2024

Homeoffice und Wohlfühlen im Job war gestern: Mitarbeitern weht wieder ein rauerer Wind entgegen. Yahoo führt eine Anwesenheitspflicht ein, Facebook senkt die Raumtemperatur, um die Produktivität zu fördern. Steht die offene Unternehmenskultur vor einem Rückschritt?

 

Der Keulenschlag kam von einer, der man es nicht zugetraut hätte. Marissa Mayer, erst im Juli 2012 von Google zu Yahoo gewechselt, verordnet ihren Mitarbeitern ab Juni eine Anwesenheitspflicht im Büro. »Um der absolut beste Ort zum Arbeiten zu werden, sind Kommunikation und Zusammenarbeit wichtig, also müssen wir Seite an Seite arbeiten. Wir müssen ein Yahoo sein, und das beginnt damit, dass wir physisch zusammen sind«, beschwor Mayer die Einigkeit der Yahoo-Familie in einem Rundschreiben an alle Mitarbeiter: »Einige der besten Entscheidungen und Erkenntnisse erwachsen aus Gesprächen auf dem Flur oder in der Cafeteria.« Tatsächlich stecken aber handfestere Gründe hinter der Entscheidung. Die Yahoo-Chefin ist angetreten, um in dem zuletzt von der Konkurrenz ausgebremsten Unternehmen gründlich aufzuräumen. Dass Mitarbeiter kommen und gehen, wann es ihnen passt, dass man von vielen nicht einmal weiß, ob und woran sie arbeiten, ist der resoluten Managerin ein Dorn im Auge.

Für einen Konzern der Internetbranche, die immer als Vorreiterin für innovative, flexible Arbeitsgestaltung galt, ist eine derartig strikte Regelung ein Tabubruch. Mobile Endgeräte und Cloud Communication machen zwar Arbeiten unabhängig von Zeit und Ort möglich – ausgerechnet bei Yahoo ist damit aber Schluss, bevor das mobile Zeitalter noch so richtig begonnen hat. Es wirkt geradezu paradox, dass Mayer, die bei Google eine der offensten Unternehmenskulturen miterschaffen hat, nun scheinbar die völlige Abkehr davon predigt. Bei genauer Analyse ist die Logik dahinter jedoch schlüssig: Mit einem Schlaraffenland inklusive Tischfußball, Sonnenterrasse und Beachvolleyballplatz versucht Google seit jeher die Mitarbeiter so intensiv bei Laune zu halten, dass sie freiwillig weit mehr Zeit im Unternehmen verbringen, als sie laut Arbeitsvertrag müssten. Die Grenzen zwischen Privatleben und Job verschwimmen. Diese Cocooning-Strategie sorgt bei Google für Urlaubsfeeling und Zusammenhalt – ob die Produktivität auch davon profitiert, ist eine andere Frage.

>> Kein Vertrauen <<

Mayers Kehrtwende kratzt erheblich am Selbstbild der modernen, coolen Internet­szene, die Freiheit im Denken und Arbeiten für sich als Lebensmaxime auserkoren hat. Entsprechend kritisch fielen die Reaktionen, nicht nur unter den 11.500 Mitarbeitern, aus. Von »Armutszeugnis für ein Technologieunternehmen« bis zu »Rückschritt in die industrielle Arbeitslogik des 19. Jahrhunderts« reichten die Kommentare in den US-Wirtschaftsmedien. Richard Branson, Gründer des Virgin-Konzerns, richtete über sein Blog aus: »Um erfolgreich zusammenzuarbeiten, muss man einander vertrauen. Dazu gehört in besonderer Weise, dass man Mitarbeitern zutraut, ihre Aufgaben zu erledigen, ohne Überwachung, egal wo sie sich gerade befinden.« Marissa Mayer, die sich zunächst mit Gratis-Kantinenessen beliebt gemacht hatte, dürfte die Sympathien recht schnell wieder verspielt haben. Das könnte sich auch auf die Motivation niederschlagen – zumal die bloße Anwesenheit am Arbeitsplatz noch nichts über die Leistung aussagt.

Eine ganze Reihe von Studien widerlegt zudem die Mär vom faulen Heimarbeiter. Forscher der Stanford University nahmen neun Monate lang ein Reiseunternehmen mit 16.000 Arbeitnehmern unter die Lupe. Jene Mitarbeiter, die im Homeoffice arbeiteten, waren um 13 % produktiver als ihre Kollegen, die täglich ins Büro fuhren. Sie nahmen mehr Anrufe entgegen, legten weniger Pausen ein und waren seltener krank. Im Grunde überwogen sogar ihre persönlichen Nachteile: Ihre Chancen auf eine Beförderung standen bei gleichwertiger Eignung nur halb so gut.

Schon 2005 hatte der Schweizer Wirtschaftswissenschafter Urs Füglistaller nachgewiesen, dass der weitaus größte Teil der Ideen, nämlich 76 %, außerhalb der Firmengebäude entsteht. Zudem werden Arbeitsplätze in traditionellen Büros im Laufe eines Arbeitstages im Durchschnitt zu weniger als 50 % genutzt. Innovative Gestaltungsvarianten wie Desk-Sharing oder Begegnungszonen konnten sich bislang nicht wirklich durchsetzen. In Österreich halten 90 % der Unternehmen an fixen Schreibtischen für die Mitarbeiter fest, obwohl viele Betriebe durch variable Modelle Kosten einsparen könnten.

>> Kontrolle per Stechuhr <<

E-Mails in der U-Bahn lesen, im Warteraum Berichte am Tablet durcharbeiten und telefonische Erreichbarkeit rund um die Uhr – mobiles und flexibles Arbeiten ist bereits Realität. Allerdings schöpfen viele Arbeitgeber dieses Potenzial nur begrenzt aus, wie die Untersuchung »Flexible Working 2012« des Beratungsunternehmens Deloitte Human Capital zeigt. Befragt wurden 137 Personen aus 130 Unternehmen in Österreich. So arbeiten in 40 % der Betriebe Mitarbeiter regelmäßig unterwegs, in etwas über 20 % sind sie auch von zu Hause aus tätig. Auf feste Kernzeiten wollen dennoch nur 23 % der Arbeitgeber verzichten. »Angst vor Kontrollverlust und fehlendes Vertrauen in die Mitarbeiter« orten die Studienautoren Jan Krims und Barbara Keller als Ursachen. Das Modell Vertrauensarbeitszeit setzt eine eben durch Vertrauen gekennzeichnete Unternehmenskultur, ein ergebnisorientiertes Leistungsverständnis und die Entwicklung relevanter Führungskompetenzen voraus. Insbesondere muss den Mitarbeitern ein hohes Maß an Eigenverantwortung zugestanden werden. Die fehlende Bereitschaft dazu verrät diesbezüglich eine geringe Reife der Unternehmen.

Produktives Arbeiten lebt auch von Kommunikation und sozialen Beziehungen. Doch wie die Praxis zeigt, müssen informelle Kontakte durch Homeoffice nicht zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Angepasste Meeting- und Entscheidungsstrukturen – etwa durch regelmäßige Teambesprechungen – wirken der befürchteten Isolation entgegen. Sind die nötigen Voraussetzungen aber nicht gegeben, können sich Defizite in der Führungs- und Kommunikationskultur verschärfen.

Die Kontrolle per Stechuhr scheint deshalb vielen Arbeitgebern unverzichtbar. Flexibilität beginnt zwar mit ständiger Erreichbarkeit und wird von den Mitarbeitern auch erwartet – beim Arbeiten im Lieblings­café stößt die große Freiheit meist recht schnell an ihre Grenzen. »Ich beobachte seit etwa zehn Jahren eine dramatische Verschärfung der Bedingungen an den meisten Arbeitsplätzen, u.a. durch enormen Zeitdruck, Kontrolle, Flexibilisierung und ständige Verfügbarkeit sowie die Reduktion der sozialen Verstärker«, sagt Wirtschaftscoach und Psychotherapeutin Christine Bauer-Jelinek. »Das Wissen veraltet immer rascher, die Reaktionszeiten, in denen man Mails beantworten und Informationen liefern soll, haben sich drastisch verkürzt. Die neuen Medien verlangen eine ständige Aufmerksamkeit und Kontrolle des Verhaltens.«

>> Arbeit macht krank <<

Für die allseits gepriesene Anerkennung und Wertschätzung bleibt angesichts des hohen Erfolgsdrucks keine Zeit. »Die offene Unternehmenskultur wird oft nur noch in Weihnachtsreden lebendig – in der Praxis fühlen sich viele Menschen wie in einem Bergwerk der vorindustriellen Zeit«, erklärt Bauer-Jelinek. »Es bedarf einer grundlegenden Systemänderung, wenn Arbeit nicht immer mehr krank machen soll.«

Der Zug fährt jedoch bereits wieder in die Gegenrichtung. Für heftige Diskussionen in der Öffentlichkeit sorgte etwa kürzlich ein Interview der Facebook-Managerin Sheryl Sandberg mit dem Time Magazine. Angesprochen auf die im sonnigen Kalifornien stets mit dicken Jacken und Pullovern bekleideten Facebook-Mitarbeiter bestätigte sie eine interne Anordnung von Marc Zuckerberg, die Raumtemperatur auf 15 Grad in den Büros zu senken. In der kühlen Umgebung würden die Angestellten »wach« bleiben und produktiver arbeiten, ein gut geheizter Raum verleite dagegen zum Dämmern. Zum Vergleich: In Europa gilt eine Raumtemperatur von 20 Grad als Richtwert. In Österreich muss die Temperatur in Büroräumen laut Arbeitsinspektorat zwischen 19 und 25 Grad liegen. Das Zentrum für Arbeitsmedizin hält die Annahme, dass sich niedrige Temperaturen positiv auf die Produktivität auswirken, für »reine Theorie«. Die Helsinki University of Technology ermittelte eine Temperatur von 22 Grad als ideales Arbeitsklima, die Cornell University in New York empfiehlt gar 25 Grad. Generell gilt unter Arbeitsmedizinern der Konsens, dass sich Wohlgefühl positiv auf die Leistung auswirkt. Wohlfühlen sollen sich, so Sandberg, aber auch allfällige Besucher nicht.

Geschäftsabschlüsse fallen erfahrungsgemäß zugunsten von Facebook aus, da zu leicht bekleidete Verhandlungspartner bei langwierigen Gesprächen zu frieren beginnen und dann schneller zustimmen.
Besonders auffallend: Die betroffenen Mitarbeiter halten still. Facebook wurde 2012 zum beliebtesten Arbeitgeber in den USA gewählt. Dabei setzt das Unternehmen selbst vorgeblich soziale Maßnahmen aus betriebswirtschaftlichem Kalkül: Snacks und Getränke gibt es jederzeit gratis – damit niemand das Gebäude verlassen muss, um Essen zu holen. Neuerdings ist auch das Sitzen verpönt. Zuckerberg findet an einem Faible des schrulligen Apple-Gründers Steve Jobs Gefallen, wie aus Silicon Valley kolportiert wird: Besprechungen finden als »Walk and Talk«-Meetings nur noch im Gehen statt, denn in Bewegung kommen angeblich die besseren Ideen. »Sitzen ist das neue Rauchen«, berichtete das Fachmagazin Wired von der TED-Konferenz im Februar.

 

Produktiv oder nicht?

Auch in Österreich kam die geringe Produktivität der Arbeitnehmer im Zuge der Diskussion um eine sechste Urlaubswoche wieder einmal aufs Tapet. Während die Lohnnebenkosten davongaloppieren, moniert die WK Oberösterreich, rangiere Österreich bei der Netto-Arbeitszeit nicht gerade im Spitzenfeld. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IMAS unter unselbstständig Beschäftigten verbringen Arbeitnehmer im Schnitt 29 Minuten pro Arbeitstag mit privaten Tätigkeiten – vom Plaudern mit Kollegen angefangen übers Surfen im Internet bis zur zusätzlichen Zigarettenpause.

Auf durchschnittlich 37 Minuten kommt das Beratungsunternehmen Czipin Consulting in einer eigenen Erhebung: Jede Arbeitsstunde mit voller Leistung zu absolvieren, sei illusorisch. 51 Minuten wären das Maximum. Auf ein Arbeitsjahr mit 220 Tagen hochgerechnet, werden somit fast 85 Arbeitstage im Leerlauf verbracht, Krankenstände noch nicht eingerechnet. Die Probleme sind jedoch hausgemacht: »Produktivitätsverluste, wie wir sie nach wie vor in Österreichs Unternehmen beobachten, entstehen aus einer Bandbreite von Ursachen. Auffällig ist allerdings der gleichbleibend hohe Anteil von Managementfehlern. Ganz oben auf der Liste stehen mangelnde Planung und Steuerung. Fehlende Arbeitsmoral und mangelnde Mitarbeiterqualifikation spielen hingegen eine weit geringere Rolle«, betont Berater Alois Czipin.

Die Arbeiterkammer kontert der Wirtschaftskammer mit den Daten des EU-Statistikamtes Eurostat. Demnach habe sich die Produktivität der Österreicher in den vergangenen 20 Jahren um mehr als 36 % erhöht. Im EU-Vergleich belegt Österreich gemeinsam mit Frankreich Platz vier.

Pikantes Detail am Rande: Die Arbeit mit privaten Tätigkeiten zu unterbrechen, halten 70 % der – im Auftrag der Wirtschaftskammer – Befragten für durchaus legitim. Sie sehen sich im beruflichen Alltag starkem Stress ausgesetzt.

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