Gemeinsam mit der Altstoff Recycling Austria AG (ARA) veranstaltet der Report Verlag im Laufe des Jahres eine dreiteilige Diskussionsreihe zum Thema »Urban Mining«. Zum Auftakt diskutierte eine hochkarätige Expertenrunde im Gironcoli-Kristall im Strabag-Haus über »Baustoffe & Metalle«.
Urban Mining ist der nächste, notwendige Schritt zur umfassenden Recyclingwirtschaft. Ressourceneffizienz ist das neue CO2. Den Verbrauch an natürlichen Rohstoffen zu reduzieren und diese weitgehend durch Recyclingmaterialien zu ersetzen, ist eine der großen Herausforderungen der Zukunft – darüber sprachen Helmut Rechberger, Institut für Wassergüte, Ressourcenmanagement und Abfallwirtschaft an der TU Wien, Günter Gretzmacher, Österreichischer Baustoff-Recycling Verband, Gerhard Koch, Wienerberger, Manfred Födinger, Scholz Rohstoffhandel, und Robert Holnsteiner vom Wirtschaftsministerium. (Hier geht es zu den Fotos)
(+) plus: Urban Mining ist ein Modewort geworden, wird oft aber auch nicht richtig verwendet. Was bedeutet Urban Mining tatsächlich und auf welche Missverständnisse treffen Sie dazu mitunter?
Helmut Rechberger: Noch in den 90er-Jahren war Urban Mining ein so exotisches Thema, dass es abgesehen von wenigen Wissenschaftlern damals überhaupt niemanden interessierte. Wir konnten deshalb auch kaum Forschung betreiben, da es schwierig war, an Geld heranzukommen. Heute ist dies vollkommen anders, und es ist tatsächlich ein Modewort geworden, und das ist gut so. Momentum hat es einerseits durch eine aktuelle vermeintliche Rohstoffknappheit bekommen, andererseits über strategische Überlegungen in puncto Versorgungssicherheit in der europäischen Union. Was der Begriff nun bedeutet? Im Gegensatz zu zehn Einheiten an Materialien, die wir derzeit für die Produkten langlebiger Güter, Gebäude oder Infrastrukturbauten verbrauchen, produzieren wir nur etwa ein bis zwei Einheiten an Abfällen. Das heißt, wir bauen ein riesiges Lager an Materialien auf.
Statistisch gesehen besitzt jeder Österreicher etwa 250 kg Kupfer. Wenn man die derzeit bekannten, abbauwürdigen Kupfervorkommen in der Erdkruste zusammennimmt und durch die Zahl der Weltbevölkerung dividiert, würden wir aber lediglich auf 80 kg Kupfer pro Kopf kommen. Zwar sind noch längst nicht alle Vorkommen entdeckt worden, und dieses Metall wird uns auch nicht in Kürze ausgehen. Trotzdem sollten wir aber jenes Kupfer, das wir bereits besitzen, immer wieder in einen Kreislauf für die Wiederverwendung zurückführen. Nur jene Teile, die unweigerlich verloren gehen, sollten durch Primärkupfer ersetzt werden müssen. Urban Mining, das ist der Fokus auf langlebige Produkte und Güter sowie die entsprechende Charakterisierung von urbanen Lagerstätten, um überhaupt den gezielten, leistbaren Zugriff auf diese Materialien zu ermöglichen. Denn 250 kg Kupfer nützen uns nichts, wenn wir nicht wissen, in welchen Produkten und Bauteilen der Rohstoff verbaut ist, und mit welchen Technologien dieses Kupfer später wieder abbaubar ist. Diese Charakterisierung der Lagerstätten, wann und in welchen Mengen ein Rohstoff verfügbar ist, muss ebenso erfolgen, wie sie bereits bei natürlichen Lagerstätten gang und gäbe ist.
Urban Mining ist aber nicht mit Landfill Mining zu verwechseln. Dort geht es um das Graben und Heben von Schätzen aus alten Deponien. Wir wissen aber, dass wesentlich weniger verwertbare Rohstoffe in Deponien liegen, als noch in den Städten verbaut sind.
(+) plus: Ein verwertungsorientierter Rückbau von Gebäuden ist ja nichts Neues – wie ist der Status quo von Urban Mining in diesem Bereich? Welche Baustoffe werden bereits recycelt?
Günter Gretzmacher: Wir verfügen über mehr als 3.800 Millionen Tonnen an Baumaterial in Bauwerken, die auf österreichischem Grund stehen. Diese Menge ist eigentlich das Bergwerk, von dem wir leben. Sie wird jährlich um acht bis zehn Millionen Tonnen erhöht. Gleichzeitig fallen bei Abbruch, bei Sanierungen und auf Baustellen selbst Abfälle an. Von sieben Millionen Tonnen mineralischer Abfälle werden bereits 5,5 Millionen Tonnen recycelt. Bei dieser Quote von rund 78 % könnten wir uns eigentlich zurücklehnen, da die EU bis zum Jahr 2020 lediglich eine Quote von 70 Prozent verlangt. So einfach ist es aber nicht, wenn man den verwertungsorientierten Rückbau in der geplanten Recycling-Baustoff-Verordnung betrachtet. Die Wirtschaft benötigt eine Norm, um ein Abfall-Ende für Recycling-Baustoffe zu bekommen. Da wird vorgeschrieben, dass wir in den Gebäuden möglichst alles getrennt entfernen und sammeln sollen, um sortenreine Materialien zu bekommen. Derzeit werden hauptsächlich Gründerzeitgebäude abgebrochen, die vor allem aus Ziegeln und Beton bestehen – was das Ganze vereinfacht. Dies im Hintergrund, ist die Norm noch einigermaßen vertretbar. Bei jüngeren Gebäuden mit einer komplexeren Zusammensetzung der verwendeten Baustoffe wird es allerdings bereits schwierig. Auch hier müssen Gesetze eingehalten werden, die bereits bei den teilweise schwierig zu bekommenden Genehmigungen für Abfallbehandlungsanlagen greifen. Dann gibt es auch die Richtlinie des Baustoff-Recycling Verbandes für die Produktion und den Einbau der Recycling-Baustoffe. Nach diesen Richtlinien kann dann Material entsprechend nach unterschiedlichen Fraktionen und Qualitäten produziert werden.
Zu den Produkten: Aus Beton wird Betongranulat und Betonsplitt erzeugt. Das ist ein problemloser Kreislauf, da auch der Sekundärrohstoff wie Naturstein aussieht, und hauptsächlich im Straßenbau eingesetzt wird. Höchstwertig konnte der gebrochene Beton auch als Betonzusatzstoff Verwendung finden, was in Österreich im Vergleich zur Schweiz und zunehmend auch Deutschland leider noch stiefmütterlich behandelt wird.
Als weiteres Material brechen wir Ziegel. Kann dies sauber erfolgen, wird das höchstwertige, teuerste Granulat am Markt überhaupt hergestellt – für Dachbegrünungen, Tennisplätze oder Wohnbeton. Problematisch wiederum sind mobile Recyclinganlagen für das Brechen von Ziegelschutt, die bei Bedarf von Kunden angefordert werden. Hier entstehen oft unsaubere Mischungen mit niedriger Qualität, die wir eigentlich nicht loswerden. Sie können nicht weiter verarbeitet oder eingebaut werden.
Natürlich holen wir aus den Gebäuden auch Holz heraus, das aber meist imprägniert ist. Das meiste davon geht in die Spanplattenindustrie, mit der jüngsten Holzrecyclingverordnung ist aber auch das sehr schwierig geworden. Und bei den Metallen ist die Lage klar: Da bleibt nichts über, nichts ungenutzt.
(+) plus: Baustoffverwertung heißt bei Wienerberger, das Beste aus Ziegelbruch zu machen. Wie ist der Stand der Dinge in der Verwertung und dem Recycling von Ziegeln?
Gerhard Koch: Hier sollte einmal die Frage beantwortet werden, warum wir überhaupt Ziegelbruch recyceln. Die politische Zielsetzung, 70 % der anfallenden Restmassen einer geordneten Verwertung zuzuführen, ist eigentlich nicht primär von der Baustoffindustrie zu lösen, sondern eigentlich von der Bauindustrie. Natürlich verstehen wir uns als enger Partner der Bauwirtschaft und sehen das daher auch für uns als Aufgabe, hier Lösungsansätze zu finden. Dann kommt dieses Thema aus der Diskussion zur Nachhaltigkeit von Baustoffen auf uns zu. Grundsätzlich haben wir zwei Stoffströme in unserer Industrie. Der eine, Ziegelbruch in der Produktion, ist mengenmäßig eher gering und als sortenreine Keramik einfach behandelbar. Der größere, problematischere Abfallstrom entsteht bei Abbruchhäusern. Wenn es nicht gerade ein Ziegeldach betrifft, sondern Mauerwerk, haben wir es mit Mischungen aus Keramik, Mörtel, Beton, Gipsputz und anderen Stoffen zu tun. Diese zu verwerten ist schon wesentlich schwieriger. Sortenreinen, hochwertigen Ziegelbruch haben wir leider in den seltensten Fällen. Nichtsdestotrotz gibt es heute eine Vielzahl an Anwendungsmöglichkeiten auch für dieses Material. Ein wichtiger Partner ist hier die Zementindustrie, die dieses Ziegelgemischgranulat in der Produktion nutzt. Der keramische Anteil kann die Tonkomponente bei der Erzeugung von Zementklinker ersetzen. Das findet bereits in einem sehr großen Stil im Zementwerk Mannersdorf statt. Andere Anwendungen dieses Ziegelgranulats sind die Produktion von Betonfertigteilen oder, sehr charmant, auch in neueren Entwicklungen in der Landschaftsgestaltung wie etwa bei Begrünungen, Parkflächen, wo die Fähigkeit, Feuchtigkeit zu speichern, hochgeschätzt wird.
(+) plus: Wie ist die Entwicklung von Rohstoffströmen aus der Sicht eines Metallrecyclers? Welche Bereiche und Metalle sind in der Verwertung für Sie relevant?
Manfred Födinger: Metallrecycling gibt es schon sehr, sehr lange. Es gibt bei uns das geflügelte Wort, dass, seit der Begriff »Urban Mining« etabliert ist, die Schrotthändler Krawatten tragen dürfen. Damit ist unser Geschäft ein bisschen nobler geworden. Aber wir tun das, was wir immer gemacht haben. Und durch den positiven Warenwert von Recycling-Metallen können wir unser Geschäft erfolgreich ausüben. Ob wir das auch in Zukunft tun können, liegt auch an der nationalen und europäischen Gesetzgebung. Die Politik muss die realen Wettbewerbsverhältnisse berücksichtigen. Die enden nicht an den Grenzen der EU. Es gibt hierzulande die Diskussion, dass Stahlschlacke nicht mehr im Straßenbau eingesetzt werden darf, was jahrzehntelang üblich und kein Problem war. Das ist eine gefährliche Entwicklung, an deren Ende wir für Schrott keine Verwendung mehr haben. Denn Spuren von Chrom finden sich nicht nur in Schlacke, sondern in fast jeder Form von Schrott. Das bedeutet nicht nur, dass wir unseren Schrott nicht mehr verkaufen können, das wäre wahrscheinlich noch verkraftbar, sondern dass auch der heimische Baustahlproduzent gegenüber Stahlimporten von außerhalb der EU nicht mehr wettbewerbsfähig ist, weil er die Schlacke nicht mehr verwerten kann. Dazu darf es nicht kommen.
An die Politik gibt es von unserer Seite deshalb auch einige Wünsche in Sachen Lenkungsmaßnahmen. Einen Aspekt möchte ich anhand des Beispiels Altfahrzeuge aufzeigen. Pro Jahr fallen in Österreich rund 260.000 Altfahrzeuge an. Rund 60.000 Stück kommen in unsere Verwertungsanlagen, was mit den anderen 200.000 passiert, wissen wir nicht. Viele davon gehen in den Export, damit gehen uns sehr viele Rohstoffe verloren, von wiederverwertbaren Metallen bis zur thermischen Energie. Wenn man an den Grenzen etwas genauer kontrollieren würde, hätten wir deutlich mehr Arbeit und die wertvollen Rohstoffe würden im Land bleiben.
Ein weiteres Problem betrifft den Transport. Unser Rohstoff hat den Nachteil, dass er nicht sehr dicht und damit schwer zu transportieren ist. Gleichzeitig werden unsere Anlagen aber immer weiter aus dem urbanen Raum gedrängt. Das erhöht den Transportbedarf enorm.
(+) plus: Herr Holnsteiner, als Leiter für Rohstoffpolitik im Wirtschaftsministerium haben Sie auch ein größeres Bild der Verfügbarkeit von Rohstoffen in Österreich. Wie sieht der Status quo dazu aus? Wann wird es überhaupt zu Ressourcenknappheiten kommen, und bei welchen Stoffen zuerst?
Robert Holnsteiner: Es gibt kaum etwas, was nicht aus mineralischen Rohstoffen besteht oder mithilfe von mineralischen Rohstoffen hergestellt wurde. Wir brauchen Rohstoffe für das Funktionieren unserer Gesellschaft und das Funktionieren unserer Wirtschaft. Die angesprochenen internationalen Faktoren haben die Bedeutung des Themas Rohstoffe noch einmal verschärft. Denken Sie nur an das Beispiel China, das mit Exportrestriktionen den Markt für bestimmte Rohstoffe stark eingeschränkt hat. Damit werden Rohstoffe auch in Österreich und Europa zunehmend zum Standort- und Wettbewerbsfaktor für die heimische Industrie werden. Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass sich unsere Industrie auch in Zukunft mit kostengünstigen Rohstoffen versorgen kann, entweder national oder auf international funktionierenden Märkten. Aber da gibt es derzeit eben die angesprochenen Einschränkungen. Die werden aber auf nationaler und europäischer Ebene auch wahrgenommen.
Man muss in diesem Zusammenhang auch einmal festhalten, dass es mit Ausnahme der Kohlenwasserstoffe derzeit keinen Rohstoff gibt, der geologisch verknappt ist. Zwar sind Rohstoffe endlich, aber die angegebenen Reserven sind eine Funktion der Rohstoffpreise. Am Beispiel Kupfer sieht man, dass sich die Reservensituation in den letzten 30, 40 Jahren konstant entwickelt hat. Das heißt, wir schieben Reserven von 30, 40 Jahren vor uns her. An der Reservenbasis hat sich nichts geändert. Aber im geopolitischen Umfeld kommt es immer wieder zu Veränderungen, die zu Verknappungen geführt haben. Das Paradebeispiel sind die Seltenen Erden. China sitzt zwar nur auf 30 Prozent der weltweiten Reserven, baut aber 95 Prozent dieser Seltenen Erden ab und hat damit eine Monopolstellung am Markt. Das betrifft neben den Seltenen Erden 25 weitere Rohstoffe, die in der europäischen Industrie gebraucht werden. Um dieser Situation zu begegnen, braucht es internationale Strategien. Aber natürlich müssen auch die nationalen und europäischen Rahmenbedingungen für die Industrie stimmen. Dass die Voest jetzt nach Texas geht, liegt unter anderem an den deutlich geringeren Energiekosten. Die EU ist deshalb gut beraten, die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen, damit nicht aus der geplanten Re-Industrialisierung eine De-Industrialisierung Europas wird. Dazu zählt die Rohstoffsicherung ebenso wie die Ressourceneffizienz. Das sind harte Wirtschaftsthemen mit angenehmen Umweltbegleiterscheinungen.
Was wir brauchen, ist eine gute Urban-Mining-Politik. Und da sehe ich eine große Schlagzeile: „Fördern“. Wir müssen vier Bereiche fördern. Wir müssen Innovation fördern, wie es etwa mit dem Christian Doppler Labor an der TU Wien gemacht wird. Wir müssen Märkte fördern, indem wir die richtigen Rahmenbedingungen schaffen und für Rechtssicherheit sorgen. Wir müssen Qualität fördern im Sinne von „Design for Recycling“. Und wir müssen die Akzeptanz gegenüber Recyclingprodukten fördern. Dann sind wir auf einem guten Weg.