Die Spekulationen bei Mais, Reis und Weizen sollen gestoppt werden . Doch Restriktionen allein werden die Nahrungsmittelknappheit nicht aufhalten können.
Binnen eines Jahres kletterten die globalen Preise für Grundnahrungsmittel im Schnitt um ein Drittel in die Höhe. Sie liegen bereits über dem Niveau von 2008, als die Preisexplosion blutige Hungerrevolten und Unruhen in einer Reihe von Ländern, u.a. in Kamerun, Haiti und Ägypten, auslöste. Die Preise für Weizen, Mais und Reis stiegen in den vergangenen acht Monaten um 73 bis 123 Prozent an. Soja wurde um 45 Prozent teurer, Zucker um 30 Prozent. Auch bei Kakao und Kaffee gab es eine Preisrallye. Die jüngsten Protestbewegungen in Ägypten und Tunesien fanden durch die extreme Verteuerung der Lebensmittel zusätzlichen Antrieb.
Analog zum Ölpreis
Auf den Finanzmärkten brodelt es. Die Nervosität ist deutlich spürbar, wie bei Gold stiegen 2010 auch die Preise für Lebensmittel um 24 Prozent. Getreide wird als ähnlich lukrative Anlageform gesehen wie Edelmetall. Die durch unwägbare Ereignisse wie Missernten erzeugte Volatilität erhöht den Reiz des Zockens offenbar noch zusätzlich. Mit dem Nebeneffekt, dass die extremen Preisschwankungen die Welternährungskrise weiter verschärfen: Die Zahl der Hungernden erhöht sich von Jahr zu Jahr. Weltweit können sich bereits zwei Milliarden Menschen keine gesunde Ernährung leisten. Die Preise von Agrarrohstoffen, die an Warenterminbörsen gehandelt werden, steigen im Gleichschritt mit dem Ölpreis. An diesen Finanzplätzen kursieren enorme Summen, die den Wert der real verfügbaren Waren um ein Vielfaches übersteigen. Die Spekulationen lohnen sich vor allem deshalb, da das Angebot an Grundnahrungsmitteln bei weitem nicht mehr ausreicht, um den Bedarf der wachsenden Weltbevölkerung zu decken. Laut UN-Prognose müsste die Nahrungsmittelproduktion bis zum Jahr 2030 um die Hälfte erhöht werden, um alle Menschen ernähren zu können. Die bewusste Verknappung des Angebots durch Spekulationsgeschäfte beeinflusst den Markt zusätzlich. 2010 kaufte etwa ein britischer Hedgefonds fast den gesamten in Europa vorrätigen Kakao auf. Ob die Ware jemals zum Endverbraucher gelangt, ist für das Geschäft unerheblich, wie Heiner Flassbeck, Chefvolkswirt der UN-Konferenz für Handel und Entwicklung (UNCTAD), meint: „Das große Geld wird am Finanzmarkt verdient.“
Steigende Nachfrage
Nach Ansicht der Welternährungsorganisation FAO blieben größere Hungersnöte bisher nur deshalb aus, da die Ernten in vielen afrikanischen Ländern vergleichsweise gut ausfielen. Solange die Vorräte ausreichen, schlagen sich die Weltmarktpreise noch nicht auf die lokalen Märkte nieder. Die Lage ist dennoch prekär, denn wichtige Exportländer wie Kanada und Australien verzeichneten schlechte Ernten. Russland, die Ukraine und Kasachstan erlebten eine außergewöhnliche Dürre. Russland, ehemals drittgrößter Getreideexporteur der Welt, hatte nach der desaströsen Missernte Mitte August 2010 einen vorerst bis 30. Juni 2011 befristeten Exportstopp verhängt. Die russische Landwirtschaftsministerin Jelena Skrynnik stellte aber eine Aufhebung des Ausfuhrverbots zuletzt für frühestens Ende September in Aussicht, wenn die Ernteergebnisse 2011 absehbar wären. Das International Grains Council (IGC) erwartet für 2011, dass die weltweiten Getreidevorräte um 15 Prozent geringer ausfallen werden als im Vorjahr. Bei Mais wird ein Rückgang der Lagerbestände um 34 auf 118 Millionen Tonnen erwartet. Damit erreichen die Maisvorräte das niedrige Niveau des Vermarktungsjahres 2006/07, allerdings lag der Verbrauch damals mit 725 Millionen Tonnen um 117 Millionen Tonnen niedriger als heute. Gleichzeitig steigt die Nachfrage nach Mais rasant. Die zunehmende Verwendung für Biosprit führt zu einer immer engeren Verflechtung der Lebensmittelmärkte mit dem Energiemarkt. Nach Einschätzung des IGC „wird 2011/12 eine signifikante Steigerung der Produktion notwendig sein, um einen weiteren Abbau der Endbestände zu verhindern“. Im kommenden Wirtschaftsjahr wird die Welt insgesamt um drei Millionen Tonnen mehr Getreide verbrauchen als ernten. Die Endlagerbestände schrumpfen damit auf 18,7 Prozent des Verbrauchs. Ein Verhältnis unter 20 Prozent gilt als Signal für steigende Marktpreise. In China stiegen die Lebensmittelpreise heuer bereits innerhalb weniger Wochen um elf Prozent, doppelt so hoch wie die allgemeine Inflationsrate. In Indien beträgt die Inflation bei Lebensmitteln neun Prozent. Das bedeutet, dass Haushalte mit niedrigem Einkommen den Großteil des Geldes für Nahrung ausgeben müssen. Aber auch in Afrika, beispielsweise in Mosambik, ist Mais schon doppelt so teuer als zuvor.
Veränderte Ernährungsgewohnheiten verschärfen die Situation zusätzlich: In den Schwellenländern wächst der Appetit auf Fleisch, dessen Produktion extrem viele Ressourcen bindet. Um ein Kilo Fleisch zu erzeugen, ist ein Vielfaches an Getreide als Futtermittel erforderlich. Die Getreidemenge, die man für die Fütterung von 100 Kühen benötigt, würde 2.000 Menschen Nahrung bieten. Zugleich sind die Agrarflächen begrenzt. Brasilien präsentiert sich dabei als eine der aufstrebenden Wirtschaftsnationen von einer negativen Seite: Für die Gewinnung von Bioethanol wird bereits auf neun Millionen Hektar Zuckerrohr in riesigen Plantagen angebaut. Die Fläche für den Anbau von Bohnen und Reis – den Hauptnahrungsmitteln Brasiliens – verringert sich dagegen jährlich um zehn Prozent. Seit bekannt ist, dass für den „nachwachsenden“ Rohstoff auch Regenwald gerodet wird, ist Biosprit in Europa zunehmend in Misskredit geraten.
Handelsbeschränkungen
Ende März machten Gerüchte über angebliche Käufe riesiger Maismengen durch China die Runde. Das US-Landwirtschaftsministerium USDA hatte Käufe in Höhe von 1,25 Millionen Tonnen – der sechstgrößte jemals an einem einzelnen Tag vereinbarte
Deal – durch einen nicht näher genannten Abnehmer gemeldet. Eine Million Tonnen ist davon noch im laufenden Wirtschaftsjahr bis Ende August zu liefern – Marktbeobachter tippen deshalb auf China.
Die staatliche chinesische Getreidereserveverwaltung Sinograin dementierte zwar umgehend, die Gerüchte entstanden aber nicht ohne Grund: China muss verstärkt Mais importieren, um die Nachfrage nach Futtermitteln und Bioenergie befriedigen zu können. In China lagern derzeit ein Drittel der weltweiten Weizenvorräte und 50 Prozent aller Maisvorräte. „China hält an seinem Ziel, sich bei Getreide zu mindestens 95 Prozent selbst versorgen zu können, fest“, meint Eugen Weinberg, Analyst der deutschen Commerzbank AG, „dennoch dürfte sich die bisherige Schätzung des USDA für die Importe Chinas an Mais im laufenden Wirtschaftsjahr 2010/11 in Höhe von einer Million Tonnen als zu niedrig erweisen“. Weinberg hält es aber auch nicht für ausgeschlossen, dass Japan hinter den mysteriösen Käufen steht. Japan ist mit 24 Millionen Tonnen der größte Getreideimporteur der Welt. Durch die Erdbeben und die Tsunami-Katastrophe wurden viele Lagerbestände vernichtet und einige Mischfutterwerke beschädigt. Der Kapazitätsausfall ist mit 3,5 bis vier Millionen Tonnen beträchtlich. Um Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln künftig Einhalt zu gebieten, fordert die FAO in einer aktuellen Studie eine Regulierung der Märkte für Agrartermingeschäfte. 98 Prozent aller Futureskontrakte seien reine Spekulationsobjekte, die die realen Agrarpreise beeinflussen, so die Welternährungsorganisation.
Bereits im Jänner hatten die USA ein Maßnahmenpaket präsentiert, das den Handel mit Futures und Optionen auf Rohstoffe regulieren soll. Erwogen wird beispielsweise, die Zahl der spekulativen Positionen zu beschränken – ein Händler wird dann etwa nicht mehr als 25 Prozent einer Soja-Lieferung kaufen können. Auch die EU überlegt Limits, allerdings gibt es in Europa im Gegensatz zu den USA noch keine verpflichtende Erfassung von Derivatpositionen.
Während Europa erst über die Einführung eines Meldesystems diskutierte, nahm eine Studie der University of Illinois im Oktober 2010 den Kritikern der Spekulationsgeschäfte kurzfristig den Wind aus den Segeln. Die Wissenschafter sahen demnach keinen Zusammenhang zwischen der erhöhten Aktivität von Fonds und der Preisvolatilität auf den Agrarmärkten. In ähnlicher Weise hatte früher auch die FAO argumentiert – angesichts der jüngsten Enwicklungen sprechen alle Experten aber inzwischen nicht von der unmittelbaren Ursache, wohl aber von einer Verstärkung der Markttrends durch Investoren. Unbestritten ist, dass Warenterminbörsen zur Absicherung des Risikos grundsätzlich notwendig sind. Auch Hilfsorganisationen bedienen sich dieses Instruments, um Terminkontrakte über künftige Ernten zu passablen Preisen abzuschließen. Mehr Transparenz, wie sie auf anderen Finanzmärkten durchaus üblich ist, könnte einer künstlichen Verknappung des Angebots aber den Riegel vorschieben.