Donnerstag, September 26, 2024
Umbau zu einer nachhaltigen Wirtschaft
Bild: iStock

Langfristiges Ziel, konkrete Umsetzung: Wie Unternehmen die Dekarbonisierung ihrer Produkte und Prozesse in Angriff nehmen können.


Es sind abstrakte Ziele, die sich Österreich in Nachhaltigkeitsfragen gesetzt hat: die Klimaneutralität unserer Wirtschaft und Gesellschaft bis zum Jahr 2040. Die Emissionen von Treibhausgasen und der Abbau durch Kohlenstoffsenken sollen spätestens bis Ende dieses Zeitraums ausgeglichen sein. Was bedeutet die Dekarbonisierung für Unternehmen nun konkret? In erster Linie Investitionen – in Effizienz, Energieerzeugung vor Ort und in die Vermeidung von vorgelagerten Umweltauswirkungen in den Wertschöpfungsketten. Die Energiewende ist eine Finanzierungswende. Geld ist genug da, es müsse nur in die richtige Richtung gelenkt werden, heißt es. Der Druck des Gesetzgebers mit Berichtspflichten für zunächst die Großen und Lenkungsmaßnahmen wie etwa eine CO2-Bepreisung bringt nun Bewegung in Unternehmen, vor allem jenen mit hohem Energieverbrauch. Ihre Prozesse sollen nun noch effizienter oder überhaupt neu aufgestellt werden. In dieser Ausgabe des Report werden Vorreiter einer neuen, nachhaltigeren Wirtschaft gezeigt und ihre unterschiedlichen Wege dorthin.

KTM mit Hauptsitz in Mattighofen baut Motorräder. Am Standort Munderfingen werden in der »Engine Factory« mit rund 96 Mitarbeitern vor allem Motorengehäuse und Zylinderköpfe gefertigt. Aufgrund der hohen Verkaufszahlen und Auslastung war eine Steigerung der Produktionskapazität das Ziel. Dabei dürfen die Kosten pro Teil nicht erhöht werden und die Umsetzung soll mit möglichst geringem Aufwand erfolgen. Gemeinsam mit dem Technologiepartner Siemens konnte der Hersteller eine Lösung dazu umsetzen. Basierend auf Echtzeitdaten aus der Sinumerik-Steuerung von Siemens wird der Vorschub an die tatsächliche Bearbeitungssituation angepasst. Nach einem erfolgreichen »Proof of Concept« führt dies derzeit auf fünf Heller-Maschinen zu reduzierten Bearbeitungszeiten. »Die Reduktion der Bearbeitungszeit um mehr als zehn Prozent war entscheidend und hat uns aus dem Kapazitätsengpass herausgeführt«, berichtet Helmut Hansel, Head of Parts Manufacturing Operations bei KTM. Eine Erweiterung auf zusätzliche Maschinen ist geplant – es ist die Verknüpfung von Maßnahmen in eine ökonomische aber auch ökologische Effizienz in dem Werk.

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Bild: KTM AG Austria, Engine Factory Munderfing: Höhere Produktionskapazität durch reduzierte Bearbeitungszeit.

Vielerorts ist der PV-Boom, der in der Vorjahresperiode die Ausbauziele in Österreich sogar übererfüllt hat auch im Gewerbebereich zu spüren: So hat auch die Energie AG mit einer neuen 260 kWp starken PV-Anlage auf den Dächern der Produktionshallen am Entsorgungsstandort in Timelkam auf Nachhaltigkeit und Energieeffizienz gesetzt. Der jährliche Strombedarf der Kühlgeräte-Recycling-Anlage am Standort wird damit zu rund 30 Prozent gedeckt. Dazu wurden 633 PV-Module auf einer Fläche von 1.236 m² errichtet. Rund 115 Tonnen CO2 werden pro Jahr eingespart, eine Belastung des Stromnetzes mit den bei PV üblichen schwankenden Erzeugungsspitzen fällt weg. Der produzierte Strom wird direkt vor Ort verbraucht und nicht ins öffentliche Netz eingespeist.

Ein Sonnenstromkraftwerk auf den Dächern der Produktionshallen von Vetropack, einem Hersteller von Glasverpackungen, erzeugt am Standort Kremsmünster in Oberösterreich Sonnenenergie im großen Stil. In mehreren Ausbaustufen werden bis ins Jahr 2026 PV-Anlagen installiert. Eine zweite Ausbaustufe wurde gerade fertiggestellt und zusammen erzeugen die PV-Anlagen auf Vetropacks Dächern mit einer Größe von 4,18 MWp gesamt 4.469 MWh Sonnenstrom. Der Strom wird zu 100 Prozent direkt im Werk Kremsmünster für eine nachhaltigere Glasproduktion eingesetzt. Der Projektpartner Verbund finanziert, plant, errichtet, betreibt und wartet die verbrauchsoptimierten PV-Anlagen.

Pflicht zum Bericht
Eine gesetzliche Anforderung zunächst für große Unternehmen sorgt seit spätestens diesem Jahr für Sorgenfalten in den Führungsetagen. Die »Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)« gibt einheitliche verpflichtende europäische Berichtsstandards vor. Nach dem Prinzip der doppelten Wesentlichkeit müssen betroffene Unternehmen nachhaltigkeitsbezogene Risiken und Chancen für ihre unternehmerische Tätigkeit aufzeigen. Zudem müssen die Auswirkungen des Unternehmens auf Mensch und Umwelt dargelegt werden. Doch verfügen die Unternehmen überhaupt über das Datenmaterial fürs vorgeschriebene Reporting? Jein, heißt es bei vielen Betroffenen. Die Zahlen wären großteils vorhanden, diese sind allerdings gerade bei Firmen mit mehreren Standorten weiter verstreut – sowohl örtlich als auch organisatorisch. Mit hunderten Datenquellen müssen Unternehmen bei der Konsolidierung eines zentralen Berichts rechnen, sagen Experten. In der Regel können die Partner in der Lieferkette diese gar nicht liefern – je weiter in Richtung Asien, desto schwieriger. Doch hier schaffen statistisch gestützte Schätzung Abhilfe: Kann der Schraubenlieferant den CO2-Ausstoß der Produktion und Lieferung nicht bereitstellen, werden Branchenwerte herangezogen.

Paul Bilcsik begleitet als Partnermanager für den Bereich Microsoft beim IT-Dienstleister Eviden Unternehmenskunden bei Projekten. Ein Schwerpunkt liegt in der Microsoft Power Platform – eine Sammlung von »Low Code«-Entwicklungstools für Anwendungen, für die Automatisierung von Arbeitsabläufe und Datenanalysen. Der »Microsoft Sustainability Manager (MSM)« ist eines dieser Werkzeuge. Welche Auswirkungen auf die Umwelt hat meine Produktion? Mit welchen sozialen Risiken muss ich in meinen Lieferketten rechnen? Bilcsik schafft in Zusammenarbeit mit Beratern und Wirtschaftsprüfern die technische Basis, um aus Unternehmensdaten aussagekräftige Berichte etwa für die Anforderungen der europäischen »Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)« zu formen.

Eine große Herausforderung dabei sind die oft stark verteilten Datenstrukturen in Unternehmen. Auch er sagt: ESG-relevante Daten (»Environment, Social und Governance«) sind in der Regel nicht an einem Punkt, sondern an hunderten gespeichert. »Das ist völlig normal, denn die IT-Systeme in den Unternehmen sind historisch gewachsen«, weiß Bilcsik. Selbst überrascht hat ihn die Themenbereite, die die Arbeit an dem Fundament fürs Reporting einnehmen kann. Involvierte Rollen sind ESG-Beauftragte, die Rechtsabteilung und dort auch Datenschutzbeauftragte, Compliance-Manager, Fachbereiche und IT-Administratoren. »Wir sitzen teilweise mit 20 Leuten an einem Tisch und versuchen auf einen grünen Zweig zu kommen«, so der Experte (siehe Interview). Ein Reporting endet auch nicht am Zaun des Firmengeländes. »Die Unternehmen sind in der gesamtem Wertschöpfungskette aufeinander angewiesen, um ein Reporting vollständig und sauber hinzubekommen.« Fazit: Es ist möglich, sollte aber besser früher als zu spät in Angriff genommen werden.

Unterstützung
Ganz alleine sind die Unternehmen bei dem Riesenvorhaben der Dekarbonisierung nicht. Die öffentliche Hand hat 2023 so viel in die Energieforschung investiert wie noch nie: 310,8 Millionen Euro betrugen die Ausgaben für Forschungs-, Entwicklungs- und Demonstrationsprojekte. Den größten Bereich unter den Forschungsausgaben stellt die Energieeffizienz dar. Ein Übersicht über derzeit verfügbare Förderungen der Themenbereiche Energie, Mobilität und Forschung auf Bundes- und Landesebene bietet die Förderdatenbank der Österreichischen Energieagentur (Link).

»Es gibt noch ein beträchtliches ungenütztes Einsparpotenzial, das es für Unternehmen zu heben gilt. Die Voraussetzung dafür sind die Daten rund um den eigenen Energieverbrauch sowie der entsprechende bestehende Grad an Digitalisierung«, heißt es auch bei der Österreichischen Energieagentur.


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Einblick: IT-Experte Paul Bilcsik baut mit dem »Microsoft Sustainability Manager« an einer Datenbasis in Unternehmen für gesetzliche Berichtspflichten.

Stufenweise werden in den kommenden Jahren große Unternehmen zu Nachhaltigkeitsfragen berichtspflichtig. Welche Herausforderungen sehen Sie hier?

Paul Bilcsik: Zunächst gilt es, Risiken und Auswirkungen des eigenen Geschäfts auf Umwelt und Menschen festzustellen – diese Analyse kann dann auch die Grundlage für eine Nachhaltigkeitsstrategie werden. Doch ist ein Reporting nur so gut wie die Qualität der Daten dahinter. Als große Herausforderung sehe ich das Datenvolumen, das in den verteilten Systemen in Unternehmen liegt. Wo sind diese Daten gespeichert? In der eigenen IT vor Ort oder in der Cloud? Das alles in ein einheitliches System zu bekommen, ist für viele Firmen nicht so einfach – vor allem wenn die IT-Expertise fehlt.

Welche Softwaretools unterstützen bei den neuen Berichtspflichten?

Bilcsik: Hier gibt es ein breites Angebot im Markt – allen voran der »Microsoft Sustainability Manager« oder der »SAP Sustainability Control Tower«. Ein Vorteil des Microsoft-Tools ist sicherlich der Umgang mit Systemen und Daten »on premises«. Beiden Werkzeugen sind hilfreiche Vorlagenkataloge und eine einfache, standardisierte Stammdatenpflege gemein. Sie dokumentieren auch nicht nur, sondern unterstützen die Unternehmen bei Zielsetzungen und laufenden Maßnahmen.

Wie gehen Sie beim Aufsetzen des Tools vor?

Bilcsik: Der Wissensstand ist von Unternehmen zu Unternehmen verschieden. Manche haben bereits eine für CSRD notwendige doppelte Wesentlichkeitsanalyse gemacht, wenn wir ins Spiel kommen – andere kennen die berichtspflichtigen Bereiche noch nicht im Detail. Bei Eviden erarbeiten wir gemeinsam bei Kunden mit Beratern in einem Workshop jene Themen, die berichtet werden müssen.

Die meiste Zeit beansprucht dabei tatsächlich die Frage, wo die Daten dafür liegen. Man hat die romantische Vorstellung, dass der ESG-Beauftrage im Unternehmen diese Übersicht hat. Das ist mitunter aber nicht gegeben, allein aufgrund der Themenvielfalt von Abfallwirtschaft bis zum Wasserverbrauch, der Emissionsreduktion oder der Lieferkette.

Wir schauen uns dann gemeinsam mit den unterschiedlichen Ansprechpersonen im Unternehmen an, wo es bereits Schnittstellen fürs Abgreifen dieser Daten gibt oder wo sie gebaut werden müssen. Wir konsolidieren die Daten in einem sogenannten »Dataverse«, einer zentralen Datenbank. Mit dem Microsoft Sustainability Manager können auch Daten aus SAP und anderer Business-Software eingebunden werden. Ebenso gibt es Templates fürs Einlesen von Daten aus Excel- und Word-Dokumenten.


Hintergrund: Berichtspflicht in Stufen

Diese EU-Richtline »Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD)« gilt seit dem Geschäftsjahr 2024 für Großunternehmen von »öffentlichem Interesse«. Ab dem 1. Jänner 2025 sind alle anderen großen Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen inbegriffen. Ab dem Geschäftsjahr 2026 sind auch börsennotierte KMU davon betroffen. Sie müssen Informationen zu den Aspekten Umwelt, Soziales und Menschenrechte sowie Governance offenlegen, darunter auch damit verbundene Risiken.

1. Umweltrisiken
Sie reichen von CO2-Emissionen über Energie- und Wasserverbrauch bis zu Umweltgefährdung und Biodiversität und Kreislaufwirtschaft und Klimawandel.

2. soziale Risiken
Diese umfassen gesellschaftliches Engagement, Menschenrechte sowie Mitarbeiter*innen und Kundenbeziehungen auch in der Wertschöpfungskette.

3. Governance-Risiken
Risiken aus Unternehmensführung berühren ethische Fragen, aber auch Fragen der Strategie und des Risikomanagements sowie der Inklusion, ­Anti-Diskriminierung, Korruptionsbekämpfung und Transparenz

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