Donnerstag, Dezember 26, 2024
Es ist vollbracht: Die EU-Lieferkettenrichtlinie ist in Kraft getreten
Bild: iStock

Über zwei Jahre lang hat die EU-Lieferkettenrichtlinie die Gemüter erhitzt. Nach heftigem Ringen wurde die Richtlinie schließlich doch verabschiedet und Anfang Juli im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. Für den Report analysiert Lisa Urbas, ESG-Expertin bei PHH Rechtsanwält*innen, wesentliche Kernpunkte der Richtlinie, die Ende Juli in Kraft getreten ist.


Hitzig und lange wurde die sogenannte EU Lieferketten-Richtlinie diskutiert. Im Dezember 2023 konnten der Rat und das Europäische Parlament schließlich eine vorläufige Einigung erzielen. Doch kurz vor der geplanten Abstimmung am 9. Februar kam es zur Vollbremsung, es folgte eine Verschiebung auf unbestimmte Zeit. Als wichtigster Treiber hinter dieser Entwicklung galt Deutschland, aber auch der österreichische Wirtschaftsminister Martin Kocher hatte damals angekündigt, sich enthalten zu wollen. Polemisiert wurde unter anderem gegen die Haftungsbestimmungen.

Unter Inkaufnahme beachtlicher Abstriche konnte im Frühling doch noch eine Einigung zwischen den Mitgliedstaaten erzielt werden, die nicht zuletzt dem Einlenken Italiens zu verdanken war. Österreich hatte sich gemeinsam mit einigen weiteren Staaten bei der Abstimmung im Ausschuss der stellvertretenden EU-Botschafter der Stimme enthalten. Im darauffolgenden Verfahren passierte die Richtlinie noch das Europäische Parlament und den Rat und wurde letztlich in ihrer finalen Fassung am 5. Juli im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlicht. 20 Tage ab diesem Zeitpunkt ist die Richtlinie in Kraft getreten. Den Mitgliedsstaaten bleiben sodann zwei Jahre Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Die Anwendung der jeweiligen nationalen Bestimmungen auf die Normadressaten erfolgt je nach Unternehmensgröße ab frühestens 26. Juli 2027 (bei mehr als 5000 Beschäftigten und einem Nettoumsatz von mehr als 1,5 Milliarden Euro) und in weiterer Folge zeitlich gestaffelt.

Die Details

Allgemeines Ziel der Richtlinie ist es, EU-weit einheitliche Standards für Sorgfaltspflichten von Unternehmen im Bereich der Nachhaltigkeit zu schaffen. »Im Fokus steht dabei die Verpflichtung sehr großer Unternehmen, Verantwortung für die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards zu übernehmen – und zwar nicht nur hinsichtlich der eigenen Geschäftstätigkeit, sondern auch mit Blick auf Tochterunternehmen und Geschäftspartner«, sagt Urbas. Für KMU, aber auch für größere Unternehmen, die die vorgegebenen Schwellenwerte nicht erfüllen, gilt die Richtlinie dezidiert nicht, aber natürlich wären die Auswirkungen zumindest mittelbar spürbar. »Es ist absehbar, dass nicht in den Anwendungsbereich fallende Unternehmen, die als Lieferanten von sehr großen Unternehmen tätig sind, künftig vertraglich zur Einhaltung von Sorgfaltsstandards verpflichtet werden«, so Urbas.

Besonders intensiv – und teils emotional – wurde in den Verhandlungen zum persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich der Richtlinie, zu Sanktions- und Haftungsbestimmungen, zu den Sorgfaltspflichten der Unternehmensleitung sowie zu den Klimaschutzbestimmungen diskutiert. Um das Zustandekommen der Richtlinie doch noch zu ermöglichen, wurden letztlich insbesondere zu diesen Themen Klarstellungen vorgenommen und Erleichterungen zugestanden. Einige zentrale Bestimmungen der Richtline und was davon zu halten ist, hat Lisa Urbas für das Wirtschaftsmagazin Report analysiert.

Zustandekommen der Richtlinie als Chance

Lange war unsicher, ob die Richtlinie die erforderlichen Mehrheiten erlangen und letztlich zustande kommen würde. Ein Scheitern der Richtlinie wäre aus mehreren Gesichtspunkten problematisch gewesen. »Viele Unternehmen haben bereits erheblichen Aufwand getätigt, um sich auf die Umsetzung der zu erwartenden Sorgfaltspflichten vorzubereiten«, ist Urbas überzeugt. Es sei im Sinne aller Unternehmen, Klarheit darüber zu erlangen, welche Regeln für sie ab wann gelten sollen. Dies gilt insbesondere für international agierende Unternehmen. Diese sehen sich ohne eine Vereinheitlichung mit regional unterschiedlichen Vorgaben und damit einem Splitterwerk an unterschiedlichen Sorgfaltsmaßstäben konfrontiert. Allen voran zu nennen sind hier das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, welches mit 1. Jänner 2023 in Kraft getreten ist, sowie das französische Loi relative au devoir de vigilance. Nicht zu missachten sind auch diverse weitere nationalstaatliche Gesetzesinitiativen, die in den einzelnen Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Reifegrad vorliegen. Die Richtlinie soll eine Harmonisierung in die schwierige Gemengelage und mehr Rechtssicherheit bringen.

»Eine langfristige Verzögerung oder überhaupt Verhinderung der Schaffung einer EU-weiten Regelung von nachhaltigkeitsbezogenen Sorgfaltspflichten würde einem facettenreichen Konglomerat nationalstaatlicher Gesetze den Boden bereiten«, argumentiert Urbas, die auch wirtschaftliche Vorteile in der Richtlinie sieht. Mit der Darstellung und Evaluierung der eigenen Geschäftsbeziehungen und der Bewusstwerdung gegebener Risiken könne letztlich eine Stabilisierung von Lieferketten und eine gesteigerte Resilienz von Unternehmen einhergehen. Ihr Fazit: »Das Zustandekommen der Lieferketten-Richtlinie kann sich durchaus als Chance für die europäische Wirtschaft entpuppen.«

 

Lieferketten-Richtlinie: Die Kernpunkte und ihre Bedeutung

1. Anwendungsbereich

Regelung

Die Sorgfaltspflichten gelten für »sehr große Unternehmen«. Umfasst sind EU-Unternehmen mit mehr als 1000 Beschäftigten und einem weltweiten Nettoumsatz von über 450 Millionen Euro. Unternehmen aus Drittstaaten sind einbezogen, wenn sie in der EU einen Nettoumsatz von über 450 Millionen Euro erwirtschaften. Über die betroffenen Drittstaatsunternehmen wird eine öffentliche Liste geführt. Bei Konzernen ist (mit gewissen Ausnahmen für reine Holdinggesellschaften) zur Berechnung der Schwellenwerte für die oberste Muttergesellschaft jeweils auf die gesamte Gruppe abzustellen. Sonderregelungen gibt es zudem bei Franchise- oder Lizenzvereinbarungen die Unternehmen innerhalb der EU mit anderen Unternehmen haben. Auch der Finanzsektor ist unter gewissen Einschränkungen nunmehr vom Anwendungsbereich der Richtlinie umfasst.

Kommentar PHH

Der ursprüngliche Richtlinienentwurf der EU-Kommission sah Schwellenwerte von 500 Beschäftigten und 150 Millionen Nettoumsatz vor. Zudem waren vormals noch herabgesetzte Schwellenwerte für Unternehmen aus bestimmten Risikosektoren (z. B. Textilwirtschaft, Landwirtschaft und letztlich auch Bauwesen) enthalten. Der nunmehr vorgesehene Anwendungsbereich ist deutlich enger gefasst und differenziert nicht zwischen besonders risikogeneigten und anderen Sektoren.

Stark umkämpft war die Frage, ob und inwieweit die Finanzbranche in den Kreis der Verpflichteten einbezogen werden soll. Während der im Dezember erzielte Kompromiss diesen Sektor zumindest vorerst noch aussparte, wurde er im finalen Richtlinientext doch wieder aufgenommen.

Gar nie in Frage stand, dass KMU nicht direkte Normadressaten der Lieferketten-Richtlinie sind. Mit der Anhebung der Schwellenwerte werden nun auch große Unternehmen, die diese nicht erreichen, vom Anwendungsbereich ausgenommen. Nichtsdestotrotz bleiben auch die der Richtlinie nicht direkt unterworfenen Unternehmen, nicht unberührt von den neuen Pflichten: Sehr große Unternehmen haben im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten auch nachteilige Auswirkungen auf Umwelt und Menschenrechte zu beachten, die sich im Zusammenhang mit den Tätigkeiten ihrer Geschäftspartner tatsächlich oder auch nur potenziell ergeben. Insbesondere über vertragliche Kaskadierungen und die Bindung an Verhaltenskodizes wird so in der Praxis auch Unternehmen, die nicht direkt vom Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind, eine gewisse Eingliederung in das Regime der neuen Sorgfaltspflichten nicht gänzlich erspart bleiben.

 

2. Schutzbereich der Sorgfaltspflichten

Regelung

Zentraler Kern der Sorgfaltspflichten ist die Verpflichtung von Unternehmen, tatsächliche sowie potenzielle negative Auswirkungen auf die Umwelt und die Menschenrechte zu ermitteln, zu bewerten, zu verhindern, zu mindern und abzustellen. Dabei legt die Richtlinie nun explizit fest, dass Unternehmen identifizierte negative Auswirkungen nach Priorität aufgreifen sollen. Die schwerwiegendsten und wahrscheinlichsten negativen Auswirkungen sollen demnach zuerst in Angriff genommen werden, während weniger gravierende Auswirkungen nachgereiht werden dürfen.

Diese Sorgfaltspflichten erstrecken sich auch auf Auswirkungen der Geschäftstätigkeit von Tochterunternehmen und Geschäftspartnern in der Aktivitätskette.

Gewissermaßen flankierend sind Unternehmen angehalten, die Sorgfaltspflichten in ihre Unternehmenspolitik und Risikomanagementsysteme zu integrieren, Strategien und Maßnahmen zur Erfüllung der Sorgfaltspflichten zu setzen und deren Einhaltung zu überwachen sowie darüber zu berichten. Zudem haben Unternehmen jeweils einen Meldemechanismus und ein Beschwerdeverfahren einzurichten, die es betroffenen Personen und bestimmten Stellen wie Gewerkschaften und Organisationen der Zivilgesellschaft ermöglichen, bei berechtigten Bedenken hinsichtlich tatsächlicher oder potenzieller negativer Auswirkungen Beschwerden an das Unternehmen heranzutragen.

Die Richtlinie verweist zur Definition von »negativen Auswirkungen auf die Menschenrechte« und »negativen Auswirkungen auf die Umwelt« jeweils auf bestimmte im Anhang aufgelistete Pflichten, Verbote und Rechte. Darüber hinaus sollen unter bestimmten Voraussetzungen nun auch solche Menschenrechte geschützt sein, die zwar nicht explizit im Anhang aufgezählt, aber in den dort genannten internationalen Instrumenten verankert sind. Auch die spätere Ergänzung durch delegierte Rechtsakte wird durch Aufnahme einer Öffnungsklausel ermöglicht.

Kommentar PHH

Unternehmen müssen nicht nur direkte Geschäftspartner in ihre Sorgfaltspflichten einbeziehen. Umfasst sind vielmehr auch weiter vorgelagerte Geschäftspartner. Das würde etwa nicht nur den eigenen Lieferanten eines konkreten Produkts einschließen, sondern auch die Produzenten der für das jeweilige Produkt verwendeten Rohstoffe und Einzelteile. Aber auch die Tätigkeiten bestimmter nachgelagerter Geschäftspartner, etwa in den Bereichen Vertrieb, Beförderung oder Lagerung, sind im Rahmen der Sorgfaltspflichten von Unternehmen zu berücksichtigen.

Die Aktivitätsketten von Unternehmen sind in aller Regel sehr vielfältig und komplex. Es wird unumgänglich für Unternehmen sein, ihre mittelbaren und unmittelbaren Geschäftsbeziehungen zu überblicken, um Risiken überhaupt ermitteln zu können. Hierfür sind die notwendigen unternehmensinternen Strukturen zu schaffen und allenfalls notwendige externe Hilfestellungen in Anspruch zu nehmen (sei es durch konkrete Softwaretools, Handreichungen von Interessenvertretungen und anderen Einrichtungen oder Beiziehung professioneller Berater). Auch ein funktionierender Austausch mit diversen Stakeholdern wird ganz maßgeblich sein, um den Sorgfaltspflichten letztlich gerecht werden zu können. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang unter anderem das laut der Richtlinie von Unternehmen einzurichtende Beschwerdeverfahren.

 

3. Haftung

Regelung

Kommen Unternehmen ihrer Pflicht zur Verhinderung potenzieller und zur Behebung tatsächlicher negativer Auswirkungen nicht nach, so haften sie für dadurch verursachte Schäden natürlicher oder juristischer Personen. Diese Haftung ist verschuldensabhängig und gilt somit nur, wenn dem Unternehmen Vorsatz oder Fahrlässigkeit vorzuwerfen ist. Außerdem besteht die Haftung lediglich, soweit der jeweilige Schaden an einem nach nationalem Recht geschützten rechtlichen Interesse der geschädigten Person eingetreten ist. Betroffene Personen, können dagegen innerhalb von fünf Jahren zivilrechtlich vorgehen und eine Haftung des zur Sorgfalt verpflichteten Unternehmens beanspruchen. Darüber hinaus soll es betroffenen Personen ermöglicht werden, Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen zur Erhebung von Klagen zu ermächtigen.

Weitere Bestimmungen wurden in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Grenzen für die Offenlegung von Beweismitteln, Unterlassungsmaßnahmen und Verfahrenskosten für Klägerinnen und Kläger aufgenommen.

Kommentar PHH

Zur konkreten Ausgestaltung und zum Umfang der zivilrechtlichen Haftung wurde in den Verhandlungen besonders heftig diskutiert. Im Raum standen dabei insbesondere Bedenken einer völlig ausufernden Haftung für sämtliche Schäden entlang der Aktivitätskette. Die nun gefundene Regelung bemüht sich um eine gewisse Entschärfung und mehr Klarheit. So wurde etwa das Verschuldensprinzip betont. Zudem wurde ausdrücklich hervorgehoben, dass Unternehmen nicht für Schäden haften, die ausschließlich von Geschäftspartnern in der Aktivitätskette verursacht wurden.

 

4. Sanktionen

Regelung

Die Richtlinie sieht verschiedene Sanktionen vor, die im Fall eines Verstoßes von der Aufsichtsbehörde verhängt werden können. Dazu gehören auch Geldstrafen, die sich am erzielten Umsatz des jeweiligen Unternehmens orientieren und deren Höchstmaß zumindest fünf Prozent des weltweiten Nettoumsatzes betragen soll. Explizit vorgesehen ist auch die Möglichkeit, die Vergabe öffentlicher Aufträge und Konzessionen an die Einhaltung der Lieferketten-Richtlinie zu knüpfen. Letztlich hat auch dieses Mittel gewissermaßen Sanktionscharakter.

Kommentar PHH

Die Sanktionen werden so ausgestaltet, dass sie für Unternehmen ein durchaus empfindliches Ausmaß annehmen können. Unternehmen, die nicht vom persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie erfasst sind, sind auch den genannten Sanktionen nicht unterworfen.

Auch diese Unternehmen können aber insofern faktisch »sanktioniert « werden, als sehr große Unternehmen die Geschäftsbeziehung zu ihnen beenden müssen, wenn sie negative Auswirkungen auf Umwelt oder Menschenrechte ermitteln und keinen anderen Weg finden, Abhilfe zu schaffen. Die Beendigung der Geschäftsbeziehung ist allerdings Ultima Ratio.

 

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Bild: Lisa Urbas ist ESG-Expertin bei PHH Rechtsanwält:innen

Über PHH Rechtsanwält:innen
PHH Rechtsanwält:innen ist eine der führenden Anwaltskanzleien für Wirtschaftsrecht in Österreich. Seit ihrer Gründung 2001 ist die Kanzlei stetig gewachsen und wurde international mehrfach ausgezeichnet. Die sechs PHH-Partner und rund 50 Mitarbeiter*innen arbeiten in Experten-Clustern, die von M&A über Prozessführung, Bank- und Finanzrecht, Steuerplanung bis hin zu Wirtschaftsstrafrecht reichen. PHH steht für persönliche und kompetente Beratung, Loyalität gegenüber Kunden und kreative Lösungsansätze.

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