Donnerstag, Dezember 26, 2024
»Gegenseitige Abhängigkeiten helfen«
Komplexitätsforscher Peter Klimek analysiert Wertschöpfungsnetzwerke. (Bild: CSH/Eugenie Sophie)

Geopolitische Ereignisse und andere Risiken bringen Lieferketten unter Druck. Peter Klimek, Leiter des Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII), erforscht mit seinem Team, wie sich die Wirtschaft resilienter und nachhaltiger aufstellen kann.

 

Inwieweit lassen sich Lieferengpässe vorhersagen?
Peter Klimek: Engpässe sind häufig durch externe Ereignisse getrieben, etwa die Pandemie oder die Blockade des Suezkanals – das wird sich nicht vorhersagen lassen. Wir haben aber einen Situationsindikator entwickelt, der mögliche Schwachstellen aufzeigt: Wo gibt es »Flaschenhälse« in der Versorgung und wer ist am ehesten Risiken ausgesetzt? Was können wir tun, um weniger vulnerabel zu sein?

Welche Branchen haben Sie im Fokus?
Klimek: Es sind nicht nur kritische Bereiche, sondern auch strategisch wichtige. Die Automobilbranche ist wegen der vielen Zuliefererbetriebe für den Wirtschaftsstandort Österreich eine sehr wichtige Branche, die gerade in einem Transformationsprozess steckt. Wie sich Unternehmen in Österreich für die Zukunft aufstellen könnten, erforschen wir aktuell an unterschiedlichen Anwendungsfällen. In der Halbleiterindustrie ist das Szenario zusätzlich verschärft, weil sie in einen weltweiten Subventionswettlauf und den Handelskonflikt zwischen USA und China eingebettet ist. Gleichzeitig ist Mikroelektronik eine Schlüsselbranche für die grüne Wende, egal ob es um Energieeffizienz oder Elektromobilität geht. Dazu kommt das Bestreben der EU, Abhängigkeiten zu reduzieren. In den genannten Industrien kommen all diese Themen zusammen und das macht es sehr spannend.

Welche besondere Sichtweise bringen Sie als Komplexitätsforscher ein?
Klimek: Unser Ansinnen ist es nicht, Vorhersagen zu treffen, wie sich bestimmte Märkte entwickeln. Wir konzentrieren uns darauf, wie Entwicklungen in einzelnen Sektoren zusammenhängen, welche konkreten Transformationspfade und neue Abhängigkeiten sich daraus ergeben und welche sozioökonomischen Auswirkungen das haben könnte. Erstmals gibt es größere Datensätze, die wirtschaftliche Aktivitäten auf Firmenebene abbilden. Wir bauen eine Evidenzbasis auf, die wir mit regionalen und sektorspezifischen Datensätzen ergänzen, um das untersuchen zu können.

Sind die österreichischen Unternehmen resilient genug aufgestellt?
Klimek: Die Unternehmen können das gar nicht genau wissen. Resilienz bezieht sich immer auf ein gravierendes Ereignis: Wie gut das abgefedert werden kann, ergibt sich aus dem Zusammenspiel vieler unterschiedlicher Faktoren und Unternehmen, die davon betroffen sind. Genau deshalb ist diese Systemperspektive so notwendig. Österreich ist ein Land der Spezialisten. Unsere Unternehmen besetzen häufig hochspezialisierte Nischen, in denen wir dann auch einige Weltmarktführer haben. Diese Stärken müssen wir erhalten und weiter ausbauen. In Holland ist ASML beispielsweise das einzige Unternehmen weltweit, das Photolithographiemaschinen für die Halbleiterindustrie baut. Nur weitere drei Unternehmen verfügen über das nötige Wissen, um mit diesen Maschinen umzugehen. Die gegenseitige Abhängigkeit hilft dabei, sich in geopolitischen Spannungen besser behaupten zu können.

Stellt das EU-Lieferkettengesetz zu hohe Anforderungen?
Klimek: Es stellt die falschen Anforderungen. Das Ansinnen dahinter ist natürlich löblich und steht außer Frage. Wenn aber zehn europäische Unternehmen beim selben Zulieferer in China einkaufen, müssen alle zehn unabhängig voneinander diesen Zulieferer prüfen. Wir haben den Vorschlag für ein Listensystem eingebracht: Unternehmen, die auf einer »weißen« Liste stehen, sind unbedenklich. Unternehmen, bei denen wiederholt Menschenrechtsverletzungen dokumentiert wurden und die diese Praktiken trotzdem nicht abstellen, landen hingegen auf einer »schwarzen« Liste. Eine einfache Möglichkeit wäre, die Lieferkettensorgfaltspflicht zusammen mit der Steuererklärung zu erledigen. Einige Länder erfassen schon jetzt die Steuerdaten mit der Rechnungslegung, Österreich leider nicht. Anhand der Steuernummer könnten die Lieferanten ganz einfach mit der Liste abgeglichen werden – das wäre eine unbürokratische Lösung ohne zusätzlichen Aufwand.

Zur Person
Peter Klimek leitet das im Frühjahr 2023 gegründete Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII). Der studierte Physiker wurde während der Pandemie durch seine Analysen als Komplexitätsforscher bekannt. Das ASCII wurde vom Complexity Science Hub, dem WIFO, dem Logistikum der
FH Oberösterreich und dem Verein Netzwerk Logistik gegründet. Bis 2027 stellen das Bundesministerium für Arbeit und Wirtschaft sowie das Land Oberösterreich insgesamt zehn Millionen Euro zur Verfügung.


 

Hintergrund: Gegen Ausfälle schützen

Wie sichern österreichische Leitbetriebe ihr Business ab, um bei Beschaffungskrisen und Lieferproblemen handlungsfähig zu bleiben?

»Die Minimierung der Beschaffungsrisiken erfolgt über mehrdimensionale strategiegeführte Initiativen wie der Sicherstellung einer Dual Sourcing Strategie, der Stärkung langfristiger Partnerschaften, regulärer Lieferanten-Audits, ESG-Bewertungen sowie der aktiven Förderung und Entwicklung von Lieferanten inklusive globalem News Feed Monitoring über digitale Plattformen. Außerdem sind wir bestrebt, wo immer es möglich ist, den Aufbau lokaler Zulieferer zu fördern.«
Miroslav Ardan, Senior Vice President Global Purchasing, Zumtobel Group

»Die globalen Supply-Chain-Probleme der letzten Jahre haben die Bedeutung einer fortschrittlichen und technologiegestützten Lieferverfolgung hervorgehoben. Unser System zur Echtzeit-Lieferverfolgung von Containern steht ganz im Einklang mit unserer Unternehmensstrategie ›Better Growth‹ und untermauert unser Bestreben, die Lieferkette der Textil- und Vliesstoffindustrie digital zu transformieren und transparenter zu machen.«
Thomas Panholzer, Vice President Global Supply Chain, Lenzing AG

»Infineon treibt aktuell große Investitionen in der Produktion voran und stärkt Europa als Halbleiter-Hub. Ein wichtiger Beitrag ist die Chipfabrik für Leistungselektronik in Villach sowie der laufende Ausbau von Produktionsbereichen für neue, noch energieeffizientere Halbleitermaterialien. Wir können uns auf ein breites Lieferantennetzwerk verlassen. Selbstverständlich beobachten wir alle internationalen Entwicklungen genau und treffen erforderliche Maßnahmen.«
Sabine Herlitschka, Chief Executive Officer, Infineon Technologies Austria

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