Samstag, August 17, 2024
Die Versorgung sichern
Die Waren- und Rohstoffströme werden immer komplexer und damit anfälliger für Störungen. (Bild: iStock)

Unternehmen müssen ihre Lieferketten nachhaltiger und resilienter aufstellen – und begegnen diesen Anforderungen mit unterschiedlichen Strategien und Maßnahmen.


Als Russland infolge des Angriffskriegs auf die Ukraine mit Sanktionen belegt wurde, mussten viele Unternehmen innerhalb weniger Stunden neue Umschlagplätze für ihre Rohstoffe und Waren finden und Logistikströme umleiten. Rotterdam erlebte im Zuge dessen als Europas wichtigster Hafen innerhalb kurzer Zeit eine zusätzliche Aufwertung. Auch die Voestalpine musste alternative Routen für Kohle und Erz sondieren – und war durch eine automationsgestützte Auswertung klar im Vorteil. Auf Basis von Auslastungs- und Belegungsdaten der Handelsströme konnten unterschiedliche Szenarien per Schiene, See und Straße durchgeplant werden, was den entscheidenden Vorsprung in der Rohstoffversorgung sicherte. Künftig will der Linzer Stahlkonzern mithilfe einer vom Supply Chain Intelligence Institute Austria (ASCII) entwickelten Simulationslösung vorausschauend planen: Die Kanäle von Lieferanten werden so gesteuert, dass jederzeit abrufbar ist, welche Schrotte aus welcher Quelle zu welcher Zeit geliefert werden können.

In die Analyse fließen Variablen wie die Leistungsfähigkeit und Auslastung der jeweiligen Verkehrsmittel, Hoch- oder Niedrigwasser und gar Lawinenabgänge ein. Die Waren- und Rohstoffströme werden in den meisten Wirtschaftszweigen immer komplexer und damit steigt auch der Aufwand der Administrierbarkeit. Die grundlegende Herausforderung liege in der Kenntnis der eigenen Lieferkette, meint Christoph Obermair, Partner und Sustainability Lead bei Deloitte Österreich: »Neben den direkten Lieferanten sind auch die indirekten Beziehungen zu berücksichtigen. Diese sind vielen Unternehmen oft nicht bekannt, was einen intensiven Austausch mit den direkten Lieferanten notwendig macht.«

Gut vorbereitet
Am 24. April 2024 wurde das EU-Lieferkettengesetz mit dem sperrigen Namen »Corporate Sustainability Due Diligence Directive« (CSDDD) im Plenum des Europäischen Parlaments beschlossen. Ziel ist es, soziale und ökologische Standards entlang globaler Beschaffungsrouten zu verbessern. Künftig sollen große Unternehmen zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie außerhalb der EU etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit sowie der Abholzung von Wäldern profitieren. Die Sorgfaltspflicht betrifft somit nicht nur eigene Tätigkeiten von Unternehmen, sondern auch die ihrer Tochtergesellschaften und Geschäftspartner.

Herbert Schlossnikl, Geschäftsführer von Vöslauer, ist einer von 70 Unternehmensvertreter*innen, die das EU-Lieferkettengesetz schon während der Begutachtungsphase befürworteten: »Wir wissen, dass menschenrechtliche und ökologische Sorgfaltspflichten nicht im Betrieb und beim unmittelbaren Lieferanten enden. Demzufolge begrüßen wir ein ambitioniertes und klar definiertes Lieferkettengesetz. Nur so wird der Fokus auf die gesamte Lieferkette gelenkt und Verbesserungen für Mensch und Umwelt werden Wirklichkeit.«

Ab Inkrafttreten der EU-Richtlinie haben die Mitgliedsstaaten zwei Jahre Zeit, diese in nationales Recht umzusetzen. Um die neuen Anforderungen zu erfüllen, bedarf es eines umfassenden Risikomanagements. In Österreich müssen laut Statistik Austria nur 0,06 Prozent der Unternehmen – das sind exakt 1.044 Betriebe – die Sorgfaltspflicht erfüllen. Kleine und mittlere Betriebe könnten jedoch als Zulieferer betroffen sein. Große Unternehmen, die sofort in den Anwendungsbereich der CSDDD fallen, sieht Deloitte-Experte Obermair »im Wesentlichen ganz gut vorbereitet«: »Sie verfügen in der Regel über ein strukturiertes Lieferantenmanagement und interagieren regelmäßig mit ihren wichtigsten Lieferanten. Kleinere Unternehmen, die beispielsweise durch Lieferantenbeziehungen zu großen Unternehmen indirekt in den Anwendungsbereich fallen, haben oft noch mehr Aufholbedarf bei der Professionalisierung ihres Lieferantenmanagements.«

Der steirische Kernölproduzent Rudolf Lugitsch KG, ein Familienunternehmen aus Feldbach, kommuniziert mit seinem Großhandelspartner Metro in erster Linie via Elektronischem Datentausch (EDI). Diese IT-Lösung ist direkt im Warenwirtschaftssystem integriert, um den kompletten Warenbeschaffungsprozess mit Metro zu automatisieren und effizient abzubilden. »Von vielen großen Playern im Handel wird EDI mittlerweile vorausgesetzt, um in eine Lieferbeziehung zu treten. Deshalb modernisieren immer mehr mittlere und auch kleinere Hersteller ihre Geschäftsprozesse«, bestätigt EDITEL-Geschäftsführer Gerd Marlovits.

Logistikpartner gefordert
Wie die Covid-Pandemie und der Ukraine-Krieg gezeigt haben, waren Unternehmen schon bisher gut beraten, ihre Lieferketten einem effizienten Monitoring zu unterziehen, um auf mögliche Krisenfaktoren frühzeitig reagieren zu können. RHI Magnesita, Weltmarktführer in der Feuerfestindustrie, hat gemeinsam mit SAP eine mehrstufige IT-Infrastruktur aufgesetzt, die künftig eine durchgängige Interaktion weltweit über alle 47 Hauptproduktionsstandorte, Märkte und Produktlinien hinweg ermöglicht. »Mit SAP S/4HANA Cloud können wir Echtzeiteinblicke gewinnen, Prozesse verschlanken und die Entscheidungsfindung in unserem globalen Netzwerk verbessern«, sagt Ticiana Kobel, Executive Vice President Legal & Transformation bei RHI Magnesita. Durch die neue digitale Landschaft hat das Unternehmen eine einheitliche Sicht auf das operative Geschäft und die gesamte Lieferkette.

Das Logistikunternehmen Gebrüder Weiss investierte in die Digitalisierung der Lieferkettensteuerung, um Transparenz entlang der gesamten Lieferkette zu gewährleisten. So wurde das webbasierte Kundenportal myGW um Analysefunktionen für Lagerbestände erweitert. Über eine zentrale Informationsplattform können Kunden alle Trackingdaten über ihre Versendungen weltweit in Echtzeit abrufen. Zudem verdichtete das Unternehmen sein Netzwerk in Deutschland, Südosteuropa und den USA mit einem Rekordvolumen von 187 Millionen Euro, um auf diesen Märkten künftig besser aufgestellt zu sein. »Geopolitische Konflikte und eine global gedämpfte Wirtschaftsleistung wirkten sich negativ auf Umsatz und die transportierten Mengen aus. Aufgrund unserer stabilen Finanzsituation konnten wir 2023 trotzdem ein umfassendes Investitionsprogramm für den Standort- und Serviceausbau umsetzen«, erklärt Wolfram Senger-Weiss, Vorsitzender der Geschäftsleitung von Gebrüder Weiss.

Auch andere Distributoren wie cargo-partner oder DB Schenker haben ihr Lagernetzwerk in Zentral- und Osteuropa signifikant erweitert, um Kundenwünschen besser entsprechen zu können: Stichwort Nearshoring. DB Schenker legte in Oberösterreich ein neues Pharma-Lager an und eröffnete in Premstätten in der Steiermark einen Standort mit einer Kapazität für 2.000 Lithium-Ionen-Antriebsbatterien, um die Versorgung der Automotive-Industrie zu sichern. Der Logistiker cargo-partner investierte in den Ausbau der Lager in Kroatien, Bosnien-Herzegowina und in der Slowakei, in Istanbul wurde ein neues Logistikzentrum mit 20.000 m² Lagerfläche errichtet. Insbesondere Industriebetriebe schätzen die rasche und verlässliche Verfügbarkeit von Ersatzteilen und Hightech-Komponenten. Die Unternehmen fahren dabei unterschiedliche Strategien: Während manche die Produktion zur Gänze nach Europa verlegen oder Pufferlager in Zielmärkten anlegen, setzen andere auf eine Diversifizierung ihrer Lieferanten.

Vorteil bei Ausschreibungen
Richtig umgesetzt, können nachhaltige Lieferketten sogar Wettbewerbsvorteile bringen, meint Miroslav Ardan, Senior Vice President Global Purchasing bei Zumtobel: »So ist beispielsweise die Erfüllung bestimmter Nachhaltigkeitskriterien in der Lieferkette mehr und mehr Grundbedingung zur Teilnahme an Ausschreibungen und somit Voraussetzung für ein erfolgreiches Agieren am Markt.«

Die Zumtobel Group hat umfangreiche Maßnahmen zur Einhaltung und Überwachung der ESG-Risiken in den Lieferketten eingerichtet. »Die Nutzung von externen ESG-Management-Plattformen wie z. B. Integrity Next bietet hier digitale Unterstützung«, erklärt Ardan. »Zudem werden regelmäßig eigene Nachhaltigkeits-Audits bei den Lieferanten durchgeführt bzw. die Hauptlieferanten extern auf ihre Nachhaltigkeitsleistung zertifiziert.« Auch er sieht als eine der größeren Herausforderungen des EU-Lieferkettengesetzes die Komplexität der Lieferketten mit einer großen Anzahl an Lieferanten auf verschiedenen Ebenen, »da eine Transparenz nicht nur bei den unmittelbaren, sondern zusätzlich auch bei den mittelbaren Lieferanten gegeben sein muss«.

Algorithmus für Risiken
Tatsächlich stellt das Lieferkettengesetz viele Unternehmen vor Herausforderungen. Für das Wiener Scale-up Prewave bedeutet es hingegen die Chance, von einer kleinen europäischen Firma zu einem global agierenden Unternehmen zu wachsen. »Wir wollen Lieferketten transparenter, resilienter und nachhaltiger machen«, sagt Lisa Smith, die 2017 mit ihrer Doktorarbeit in Informatik den Grundstein für Prewave gelegt hat. Im Mai 2024 hat das Unternehmen weitere 63 Millionen Euro Kapital bei Investoren eingesammelt. Ein KI-Algorithmus analysiert täglich rund um die Uhr Datenquellen in rund 140 Kategorien und mehr als 50 Sprachen, um mögliche Risiken frühzeitig zu identifizieren.

Die Plattform überwacht weltweit über 600.000 Lieferanten und unterstützt damit bereits mehr als 170 Unternehmen bei der Erfüllung des deutschen Lieferkettensorgfaltspflichtgesetzes (LkSG). »Dabei hat sich gezeigt, dass die KI nicht nur für die Einhaltung des Gesetzes sorgt, sondern die europäischen Unternehmen in der Widerstandsfähigkeit ihrer Lieferketten unterstützt«, sagt Harald Nitschinger, Mitgründer und Managing Director von Prewave. Es brauche dabei keine Totalüberwachung aller Lieferanten, vielmehr sei ein risikobasierter Ansatz zielführender. Auf Basis der technologischen Monitoring-Lösung könnten Unternehmen in Echtzeit proaktiv gegen Störungen, Gesetzesverletzungen und Nachhaltigkeitsprobleme in der Lieferkette vorgehen. Durch die automatisierte Berichterstattung entfällt das Ausfüllen von Fragebögen – und damit zusätzlicher bürokratischer Aufwand.

Bild: Lisa Smith und Harald Nitschinger gründeten das Wiener Start-up Prewave. Mittels Algorithmen werden Risiken in den Lieferketten frühzeitig erkannt.

 

Expertenmeinung: Zurück nach Europa

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Unternehmen aus Europa und den USA verlagern ihre Produktion aus Angst vor Lieferengpässen wieder zunehmend zurück in die Heimat, wie aus einer Studie des Beratungsunternehmens Capgemini hervorgeht. 47 % der befragten Großunternehmen haben demnach bereits mit der Verlegung begonnen, 72 % entwickeln entsprechende Strategien. Deutsche Unternehmen sind besonders aktiv: 53 % holen ihre Produktionsanlagen nach Deutschland oder ins nähere Ausland, um besser gegen Störungen oder Verzögerungen in der Lieferkette gewappnet zu sein. Neben wirtschaftlichen und operativen Vorteilen ergeben sich dadurch auch bessere Möglichkeiten, die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, betont Christian Michalak, Supply Chain Experte von Capgemini Invent: »Unternehmen benötigen jetzt eine Strategie und einen Umsetzungsfahrplan, wie sie die Vorteile der Reindustrialisierung nutzen können, um die eigene Marktposition zu stärken.«

 

So optimieren Sie Ihre Logistikkette

1. Abhängigkeit verringern
80 % der Unterbrechungen in der Lieferkette gehen auf Lieferanten niedrigerer Ebene zurück. Cloudbasierte Logistik-Tools sind in der Lage, ein Netzwerk von Lieferanten in Echtzeit zu verbinden. Sie sind nicht nur transparenter, sondern bieten somit auch die Möglichkeit, ein vielfältigeres Netzwerk aufzubauen. Fällt ein Lieferant aus, kann auf andere zugegriffen werden.

2. Bestandsführung
In der Vergangenheit war der Ausgleich von Über- und Unterdeckung weitgehend Resultat eines in die Vergangenheit gerichteten Blicks. Durch Zugriff auf Echtzeitdaten und KI-gestützte Analysen der Markt- und Kundenaktivitäten lassen sich deutlich präzisere Prognosen erstellen, um eine optimale Bestandsbilanz zu erzielen.

3. Regionale Produktion
Damit sich Nearshoring rechnet, müssen Unternehmen ihre Kostenmargen so gering wie möglich halten. Durch den Einsatz intelligenter Logistiklösungen kann der Fertigungsbedarf präziser eingeschätzt und Maschinen effizienter genutzt werden. Flexibles Produktdesign ermöglicht die Herstellung »on demand« und reduziert gleichzeitig Abfälle.

4. Elastische Logistik
Transportmanagement ist kostspielig und sein Spielraum begrenzt, da es meist aus einer Firmenflotte und festen Verträgen mit einem Dienstleister besteht. Unter »Elastic Logistics« versteht man ein Netzwerk, in dem mehrere Versand- und Logistikressourcen verfügbar sind, die erst Kosten verursachen, wenn sie tatsächlich genutzt werden.

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