Die drei Verbände Lobby der Mitte, Gewerbeverein (ÖGV) und Senat der Wirtschaft haben Anfang April den „Mittelstandsbarometer“ präsentiert. Mit den Erkenntnissen wollen sie gemeinsam die Parteien, Interessenvertretungen und Lobbys bezüglich Mittelstand und Mittelschicht im Wahljahr 2024 zu einem Umdenken bewegen.
Laut Umfrage sieht die Bevölkerung die Konzerne mit 74 %, die Politik mit 66 % und die Finanzwirtschaft mit 41 % als die drei großen Profiteure des Lobbying an. Ihr Einfluss wird seit der ersten Ausgabe der Umfrage im Jahr 2008 ungebrochen hoch eingeschätzt, während der Mittelstand nur mehr 4 % auf diesem Gebiet erreicht - den tiefste Wert bisher, 2020 waren es noch 27 %. Auch die Klein- und Mittelbetriebe erreichten mit nur 11 % ein Drittel des Niveaus von 2020 und ihren tiefsten Wert. Auch bei den Beamten, Non-Profit- und Sozialorganisationen halbierte sich der Lobby-Einfluss.
Konträr zu diesen Einschätzungen traut man den KMU mit 47 % und dem Mittelstand mit 45 % am ehesten zu, Österreich "voranzubringen". An dritter Stelle liegen die stark gestiegenen Bürgerinitiativen (29 %). Politik und Regierung erreichen 28 % und verlieren an vierter Stelle liegend 14 Prozentpunkte seit 2020. Auch Konzerne brechen als Voranbringer um 11 Prozentpunkten ein, die Finanzwirtschaft muss minus 8 Prozentpunkte verzeichnen.
69 % der Umfrageteilnehmer halten den Mittelstand heute für "sehr" und 21 % für "eher wichtig". 36 % der Bevölkerung bekennen sich zu den Werte Leistung, Eigentum, Nachhaltigkeit und Fairness. Die Bevölkerung wurde auch nach der „für den Mittelstand wählbaren“ Partei gefragt: Die ÖVP fällt dabei als Partei, die traditionell die Interessen des Mittelstandes vertritt von 31 % auf 17 % um 14 Prozentpunkte zurück und liegt gleich auf mit der FPÖ. Die SPÖ erfährt keinen Zuwachs und liegt mit 19 % knapp an erster Stelle. Die NEOS legen bei jeder Befragung geringfügig zu, liegen jetzt auf 9 %. Fast verdoppelt hat sich seit 2020 jedoch der Anteil der Wähler, die in "keine der Parteien" eine Mittelstandspartei sieht, und zwar auf 20 %. Außerdem gibt es noch 14 % „weiß nicht“-Wähler.
Weniger staatliche Lenkung
Weitere Ergebnisse: Die Österreicher tendieren 2024 im Gegensatz zur Umfrage in 2020 bezüglich staatlicher Lenkung als möglichen Weg aus der Krise mehrheitlich zu „weniger staatlicher Lenkung und mehr Orientierung auf den Mittelstand“. Nur ein Viertel hat dafür Verständnis, eher von Sozialleistungen zu leben als von einer Anstellung, 48 % lehnen dies vehement ab. Die Österreicher wollen auch mehr Transparenz bei der Verwendung von Steuern: Insbesondere werden frei einsehbare Ausgaben der öffentlichen Hand sowie eine Transparenzdatenbank von Förderungen an Unternehmen befürwortet. Auf dem Weg zum Wohneigentum sieht die Bevölkerung Kostenexplosion, verfügbares Eigenkapital und Kreditkosten als größte Barrieren. Nicht von explodierenden Mieten betroffen zu sein und das Gefühl von Eigentum werden klar als Hauptmotive für das Anstreben von Wohneigentum gesehen, knapp gefolgt vom Motiv der Wertanlage.
Drittel der Österreicher sieht „keine Mittelstandspartei“
Lobby der Mitte-Obmann Wolfgang Lusak: „Die Kluft zwischen dem als Hauptleistungsträger anerkannten Mittelstand und der als Lobbying-Profiteure angesehenen Welt der Konzerne und Politik wird immer größer. Mit diesen Umfrageergebnissen emanzipiert sich die Mitte vom systemerhaltenden aber steuerlich benachteiligten „nützlichen Idioten“ zum politisch bewussten Gestalter. Er will nicht mehr unbelohnt mit Konsumieren, Sparen, Investieren und Innovieren den Standort erhalten. Er erkennt die historische Fehlentwicklung einer Umverteilung von sich zu Arm und Reich und ist kaum mehr in der Lage, selbst Eigentum aufzubauen. Wenn mehr als ein Drittel der Menschen in Österreich heute in keiner der Nationalratsparteien eine Mittelstandspartei sehen, dann muss die Politik aufwachen!“
Politische Ignoranz bedroht Wirtschaftsstandort
Senat der Wirtschaft Vorstandsvorsitzender Hans Harrer: „Die Politik ist in ihrer Ignoranz gegenüber dem Mittelstand eine Gefahr für unseren gesamten Wirtschaftsstandort. Insbesondere die Medien tragen zum Unternehmer-Bashing bei und verbreiten mit ihrer Propaganda gefährliche Illusionen, indem sie Trends wie die Vier-Tage-Woche oder die 32-Stunden-Woche glorifizieren. Doch wie soll das funktionieren? Wer wird den Mittelstand erhalten, wenn unsere Gesellschaft von utopischen Idealen geblendet wird?“
„Wenn der Mittelstand aus der Mitte verdrängt wird und keinen Platz mehr im politischen Entscheidungsprozess findet, verlieren alle an Wohlstand und die Wirtschaft ihr Rückgrat“, fasst ÖGV-Präsident Peter Lieber die erhobenen Zahlen zusammen, „die Bürgerinnen und Bürger wollen genauso wie die Unternehmen wissen, was mit ihrem hart verdienten Geld passiert und ob das für sie, für alle, gerecht ist. Wir stehen im internationalen Wettbewerb und dürfen den Anschluss an die wohlhabende Welt nicht verlieren, nur weil die bekannten Seilschaften von der Reformresistenz profitieren. Es ist wichtig, die vielen Fehlallokationen sichtbar zu machen. Unsere Volksvertreter brauchen diese Fakten, wenn der Staat als Ganzes den Herausforderungen unserer Zeit gewachsen sein soll. Wir versprechen, unseren Kindern und Enkeln die gleichen Chancen zu bieten, wie wir sie hatten. Um dieses Versprechen einlösen zu können, ist es höchste Zeit, die Republik auf den Prüfstand zu stellen“.