Nichts ist mehr, wie es war und doch kommt alles wieder, oder: Den Geduldigen gehört die Welt.
»Das Leben verstehen wir nur im Blick zurück, aber leben müssen wir es im Blick voraus,« sagt der dänische Philosoph Sören Kierkegaard. Was wäre, wenn man das Prinzip auf den Kopf stellen könnte? Mit dem Wissen von heute alles noch einmal machen zu können, das wäre doch was, oder? Aber: Was würde man anders anlegen?
Das Timing vielleicht. 1996 war das Jahr, indem das Internet gerade einmal das Licht der Welt erblickte. Natürlich wurde es viel früher erfunden, aber erste bescheidene Relevanz gewann es zu dieser Zeit. Hand aufs Herz: Wer hatte 1996 schon eine E-Mail-Adresse, eine eigene Webseite?
Mobiltelefone waren etwas für die Elite, für besonders wichtige Geschäftsleute; ein privates Handy zu besitzen – eine Idee aus einem anderen Universum. Die zweite Mobilfunklizenz war gerade erst vergeben, die dritte in der Ausschreibung. Die heutige A1-Telekom firmierte noch unter Post- und Telegraphenverwaltung und die STRABAG war ein deutscher Baukonzern, Hans Peter Haselsteiner Chef der Bauholding.
Ablöse des materiell Begreifbaren
Oder würde man mit dem Wissen von heute die Idee insgesamt verwerfen? Wer würde mitten in einem Zeitenumbruch einen Verlag gründen? Ein Unternehmen also, dass davon lebt, Inhalte auf Papier zu drucken. In gewisser Weise ist ein Verlag Teil der Papierveredelungsindustrie. Mehr oder weniger billiges Papier wird durch das Bedrucken entweder völlig wertlos, oder es wird veredelt.
Das Modell hat seit Gutenberg wunderbar funktioniert, aber 1996 begann die Ablöse des materiellen Begreifbaren durch das immaterielle Digitale. Würde man mit dem heutigen Wissen genau zu diesem Zeitpunkt einen Verlag gründen? In den letzten 25 Jahren hat sich eines nicht verändert: Ich bin ein notorischer Optimist und meine Antwort lautet: Ja, ich würde den Verlag wieder gründen, genau zu diesem Zeitpunkt. Das hat zwar ein bisschen mit Sturheit zu tun, die wird ein Tiroler nie in Abrede stellen können, aber viel mehr hat es zu tun mit der einfachen Einsicht, dass es keinen richtigen Zeitpunkt gibt, ein Unternehmen zu gründen.
Entwicklungen sind nicht linear, sondern Fortschritt ist eine Wellenbewegung und ganz selten kommt es vor, dass eine Innovation das bisher Dagewesene verdrängt. Fernsehen hat das Kino nicht verdrängt, genauso wenig wie Netflix heute das Fernsehen verdrängen wird. Das Biotop wird bunter, vielfältiger und wer sich für das eine interessiert, findet auch am anderen Gefallen. Das ist auch die neueste Erkenntnis der Leseforschung: Wer liest, liest heute mehr, auf allen Plattformen und – ach ja – auch auf Papier.
Österreich aufkaufen
Fast so in Stein gemeißelt wie der zweite Hauptsatz der Thermodynamik ist die Regel der Unternehmensgründung: Die konkreten Umstände sind immer falsch.
Es war die Zeit, in der die deutschen Giganten gerade dazu ansetzten, Österreichs Medienwelt zu kaufen. Gerd Schulte-Hillen, der langjährige Vorstandsvorsitzende von Gruner+Jahr hatte bis dahin auf die Frage nach einem Einstieg in Wien immer erklärt: Der österreichische Markt ist zu klein und das Risiko zu groß. Dann legte er sich ausgerechnet mit den Gebrüdern Fellner ins Bett.
Wenige Jahre nach der Gründung des Report Verlag beehrte mich ein Vorstandsmitglied des Süddeutschen Fachverlags Hüthig und es entwickelte sich ein Gespräch hart an der Grenze zur Kabarettnummer. »Wir kaufen jetzt Österreich«, sagte der Münchner. »Zuerst kaufen wir den größten Fachverlag« (den Wirtschaftsverlag, direkt vom ÖVP Wirtschaftsbund), »dann schlagen wir alle kleinen Verlage zu. Wollen Sie gleich verkaufen?«
Ich hatte nicht die leiseste Absicht, was mein sensibler Gesprächspartner sofort erkannte und nachlegte: »Wir machen das so: Wir werben Ihnen die fünf besten Mitarbeiter ab, zahlen ihnen das Doppelte, für ein Jahr, dann brauchen wir sie nicht mehr. Glauben Sie ernsthaft, dass einer der Mitarbeiter bleiben wird? Soviel Loyalität gibt es nicht. Wollen Sie wirklich nicht gleich verkaufen?«
Ich wollte nicht und dachte: »Das schau ich mir an. Dazu braucht man Geduld, es kann lange dauern bis das Erwartete eintritt.«
In München und Hamburg weiß man inzwischen: Wien ist anders. Gruner+Jahr und auch die Süddeutsche haben sich zurückgezogen und die Zeit, da Verleger große Töne spuckten, ist vorbei. Das ist gut so. Es kehrt so etwas wie alpenrepublikanische Normalität ein, und irgendwie habe ich das Gefühl, auch in der digitalen Welt werden die heutigen Oberherren bald auf ein bescheideneres Maß reduziert werden.
Die deutschen Medienkonzerne sind jetzt abgelöst durch die amerikanischen Internet-Giganten, die von bescheidenen Anfängen quasi zu Monopolisten des Digitalen aufgestiegen sind. Ihr Algorithmus entscheidet, wer was sagen darf und wer welche Öffentlichkeit erfährt. Aber die Bruchlinien sind deutlich sichtbar und das offen zur Schau getragene Machtgehabe bereitet Unmut. Die Entwicklung erfolgt in Wellen. Wer heute oben auf schwimmt, landet im Wellental, vielleicht, irgendwann. Nichts ist linear…
Wer möchte darauf wetten, dass Google, Facebook und Co in der heutigen Form in fünf Jahren noch bestehen? Ich nicht!