Samstag, Mai 04, 2024
"Wir könnten sofort jede Mülltonne vernetzen"

Technisch sind viele Lösungen für die Smart City längst ausgereift. Die Umsetzung wird jedoch teilweise von Entscheidungsträgern gebremst. Gerald Haidl, CEO des Wiener Softwareunternehmens NEWCON, über sichere Systeme, Versäumnisse in der Infrastruktur und staatliche Überwachung im Report(+)PLUS-Interview.

(+) plus: Die Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen ist ein wesentlicher Bestandteil in Smart-City-Konzepten. Welche Expertise können Sie beisteuern?

Gerald Haidl: Neben der Prozessoptimierung sollte eigentlich die Entschlackung der Systeme eines der Hauptziele sein. Der wesentliche Ausgangspunkt ist dabei ein Data Integration Layer. Wo der Ursprung der Daten liegt, ist dabei völlig egal. Ob es das Smartphone ist, ein IoT-Sensor auf einer Mülltonne oder ein Smart-Lightening-Sensor – es macht keinen Sinn, diese als abgeschottete Silo-Systeme zu sehen. Mit einem zentralen Datenmanagement, das Daten der verschiedenen Quellen wie beispielsweise Devices in einem Data Hub verwaltet, hat man schon das Wesentliche in der Digitalisierung geschafft, nämlich eine einheitliche Sichtweise auf traditionelle, teilweise noch manuell ausgeführte Prozesse.

Daraus folgt eine bessere Steuerung von Einheiten, den Kunden können wesentlich transparentere Services angeboten werden. Aktuell scheitert es meist daran – und da könnte ich viele Beispiele aufzählen –, dass sich viele Unternehmen Digitalisierung zwar ganz oben auf die Agenda schreiben, aber die bestehenden Prozesse aus den Köpfen zu bringen und die etablierten »Legacy IT-Abteilungen« zu einem Umdenken zu bewegen, ist eine große Herausforderung.

(+) plus: Newcon ist seit Jahren mit einer eigenen Billing- und Transaktions-Plattform erfolgreich. Ihr CTO, Christoph Mazakarini, bezeichnet diese als »bessere Blockchain«. Was kann sie besser und wo wird sie eingesetzt?

Haidl: Eine Blockchain vernetzt mit großem Aufwand im Grunde virtuelle IP-Adressen, um beispielsweise Geld auszutauschen und diesen Vorgang end-to-end zu dokumentieren. Unsere Technologie ist für jede Transaktion anwendbar. Eine IoT-Device, z.B. eine Ladestation, sendet Informationen über die Ladung eines E-Autos, diese Daten kommen auf unsere Plattform und werden dort mit einer Transaktionsnummer bestückt. In einer strukturierten Open-Source-
Datenbank können diese Daten so lange aufgehoben werden, wie der Kunde möchte. Man weiß immer, wie sich die Transaktion zusammensetzt.

Meist kommen ja noch zusätzliche Informationen dazu, etwa ein Name, eine Kundennummer, eine Rating-ID, Angaben zu den Kosten oder zur Verrechnung. Alles wird so transparent dargestellt, dass die Transaktionen für Wirtschaftsprüfer, Audits und die Buchhaltung nachvollziehbar und sicher sind. Noch heute buchen viele Unternehmen händisch in Excel-Tabellen – mit unserer Software werden alle Vorgänge digital dokumentiert.

(+) plus: Die Verknüpfung großer Datenmengen bereitet vielen Menschen Unbehagen. Kann es überhaupt hundertprozentige Datensicherheit geben?

Haidl: Wenn man von 100 Prozent spricht, würde man sich weit hinauslehnen. Was uns betrifft – und wir betreuen nur Konzerne, u.a. sehr große Telkos –, hatten wir in all den Jahren nie Datenschutzprobleme oder sonstige Pannen. Wir legen großen Wert darauf, dass sich alle unsere Systeme in einem hohen Verschlüsselungsmodus befinden, das heißt, es könnte niemand auf unserer Plattform etwas auslesen.

(+) plus: NEWCON hat den deutschen Glasfaser-Netzbetreiber GasLINE mit einem strategischen Plan in Stellung gebracht. Was waren dabei die Herausforderungen?

Haidl: GasLINE ist ein Konsortium, hinter dem alle großen Energieversorger Deutschlands stehen. Gasleitungen haben einen großen Vorteil: Sie sind hochgradig abgesichert – gegen Umwelteinflüsse, Vandalismus, Terrorismus. Wenn man über diese langen Leitungen Glasfaser legt und mit kleinzelligen Narrow-Bend-IoT-Netzen verknüpft, hat man praktisch die Basis für eine digitale Infrastruktur. Hier beginnt die Smart City. Wir könnten auch in Wien sofort damit anfangen, die Netze sind vorhanden. Wir könnten sofort jede Mülltonne IoT-mäßig verbauen. Oder der Lkw-Fahrer sieht via Geodaten-Erfassung, auf welchen Baustellen auf der Strecke eine Mulde abzuholen ist.

Da könnten viel Zeit, unnötige Kilometer und damit CO2 eingespart werden. Stattdessen fahren täglich unzählige Müllwagen ihre fixen Routen, obwohl die meisten Tonnen nicht einmal zur Hälfte voll sind. Abgesehen vom Umweltgedanken hätten die Konsumentinnen und Konsumenten auch einen zusätzlichen Anreiz, Müll zu vermeiden, indem nach tatsächlichem Aufwand abgerechnet wird.

(+) plus: Viele digitale Lösungen gibt es bereits. Warum werden sie nicht besser genutzt?

Haidl: Den großen Willen zur Veränderung sehe ich bei den Entscheidungsträgern noch nicht. Smart Meter werden aktuell lediglich rudimentär verwendet. Wir haben für einen großen Energieversorger ein Konzept erstellt, das auf einer Plattform Strom, Gas, E-Mobilität, Charging in allen Varianten sowie die Einspeisung von Photovoltaikanlagen zusammenführt. Diese Lösung erfordert deutlich weniger Aufwand für den laufenden Betrieb, da über Digitalisierungsprozesse skaliert wird. Der Personal- und IT-Rechneraufwand würde dramatisch reduziert. Leider stoßen sich derart radikale Veränderungen meist mit arbeitsrechtlichen Gegebenheiten. Im Energiebereich leben wir aus IT-Sicht in Österreich leider noch in den frühen 90er-Jahren.

(+) plus: Die Qualität von IT-Services hängt stark von den Netzen ab. Ist in Österreich eine 5G-taugliche Infrastruktur gegeben?

Haidl: Die Mobilfunker muss man wirklich loben, A1 und Magenta investieren wirklich viel in die 5G-Strategie. Was mir Sorge bereitet, ist die fehlende Transparenz bei der Aufteilung der Breitband-Milliarde. Niemand weiß, was eigentlich mit dem Geld passiert. Ich glaube, Bauinfrastruktur wurde gut gefördert, aber der eigentliche Glasfasernetz-Aufbau wurde dabei vergessen. 5G funktioniert nur mit einem vernünftigen Glasfaser-Backbone, um die Luftschnittstelle zu nutzen – da ist in Österreich nichts weitergegangen.

(+) plus: Bei der Umsetzung von Modernisierungsprojekten stehen zunächst meist die technischen und wirtschaftlichen Faktoren im Mittelpunkt. Wird die soziale Seite, die Akzeptanz durch die Menschen, zu wenig berücksichtigt?

Haidl: Das ist ein Generationenproblem. Junge Menschen verwenden ihre digitalen Tools ganz selbstverständlich. In der Pandemie hat man aber gesehen, wie viel plötzlich in Bewegung kommt. Ich kenne 80-Jährige, die sich im Internet selbstständig einen Impftermin gebucht haben. Digitalisierung bedeutet Veränderung, damit kann der Mensch grundsätzlich nicht so gut umgehen. Die Präsenz der Unternehmen im Internet wurde viel stärker – am Beispiel Click & Collect sieht man, dass es kaum noch Vorbehalte gegenüber Online-Einkauf gibt. Digitalisierung funktioniert nur dann, wenn auch der Konsument etwas davon hat.

Dafür braucht es Use-Cases. Ein Beispiel wäre unser »Digital Car«: Mit unserer Lösung kann man E-Tanken, das elektronische Fuhrparkmanagement und andere Autodaten digital verwalten. Versicherungen könnten auf Basis dieser Daten individuelle Tarife anbieten, etwa wenn jemand nur in der Stadt oder besonders schonend fährt. Jedes neue Auto ist bereits digital, nur bemerken wir das nicht. Der Mensch ist schon längst gläsern.

(+) plus: Oft wird ein sehr dystopisches Bild von der Stadt der Zukunft gezeichnet. Wie werden wir Ihrer Meinung nach leben?

Haidl: Was unsere täglichen Abläufe betrifft, werden wir im Wesentlichen so leben wie heute. Aber wir werden eine veränderte Infrastruktur um uns sehen. In großen Städten wird es nur noch Flagship-Stores von bekannten Marken geben, Einzelhändler werden verschwinden. Tägliche Prozesse werden sich stark digitalisieren, z.B. die Wahl der Fortbewegung – je nach Verkehrslage entscheide ich, ob es Sinn macht, mit dem Auto, den Öffis oder einem anderen Verkehrsmittel zu fahren. Das wird alles automatisch über eine App laufen.

(+) plus: Wird diese Entwicklung auch mit mehr Überwachung der Bürger*innen einhergehen, wie man sie aus asiatischen Ländern kennt?

Haidl: Ja, so ehrlich muss man sein. Da wir aber andere demokratische Grundprinzipien haben, ist es umso wichtiger, die Einhaltung der Verfassung im Auge zu behalten. 

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