Sicherheits- und Hygienekonzepte stellen den Arbeitsalltag vor neue Herausforderungen. Leitet Corona das Ende von Großraumbüros ein?
Am 27. Februar 2020 wurde der erste Coronavirus-Fall in Wien offiziell bestätigt. Bei einem 72-jährigen Anwalt, der bereits mehrere Tage mit klassischen Grippesymptomen in der Klinik Landstraße, der früheren Rudolfstiftung, lag, fiel ein routinemäßiger Covid-19-Test positiv aus. Seither bestimmt die täglich aktualisierte Statistik und davon abgeleitete Einschränkungen oder Lockerungen unser
Leben.
Das Epidemiologische Meldesystem (EMS) weist für Wien vergleichsweise hohe Infektionszahlen aus, was einerseits dem engeren Zusammenleben in Ballungsräumen geschuldet ist, andererseits auf die hohe Anzahl der Testungen zurückzuführen ist. Viele Fälle verlaufen ohne Symptome und wurden nicht zuletzt aufgrund der offensiven Teststrategie entdeckt: Alle Personen, die direkten Kontakt zu einem Infizierten hatten, werden getestet. Ohne diese Vorgehensweise wären tausende Fälle unentdeckt geblieben.
Seit dem Frühjahr hat sich die Struktur der Erkrankungen verändert: Waren anfangs vorwiegend ältere Menschen mit Vorerkrankungen betroffen, sind nun auch vermehrt jüngere Menschen infiziert – bei ihnen nimmt die Krankheit jedoch seltener einen schweren Verlauf. Zum Höhepunkt der Coronakrise standen in Wien mehr als 1.000 Intensivbetten bereit, die Messe Wien wurde zusätzlich zum Betreuungszentrum für leicht Erkrankte umfunktioniert. Im August und September wurde beim Ernst-Happel-Stadion eine Teststraße eingerichtet, bei der sich Reise-RückkehrerInnen ohne Symptome kostenlos auf Sars-CoV-2 testen lassen konnten. Die Zahl der Testungen wurde von durchschnittlich 1.900 pro Tag auf rund 4.400 pro Tag gesteigert. Mit 230 Tests pro 100.000 EinwohnerInnen testet Wien fast doppelt so viel wie andere Bundesländer.
Konsequente Maßnahmen
Mit diesen Erfahrungen sieht man sich in der Bundeshauptstadt für den Herbst und Winter, auch in Hinblick auf eine großangelegte Gratis-Influenza-Impfaktion, gut gerüstet. Für Unternehmen heißt es indessen, die Hygienekonzepte zum Schutz ihrer MitarbeiterInnen und KundInnen zu adaptieren. In produzierenden Betrieben, bei Dienstleistern und im Handel haben sich die Verhaltensregeln inzwischen gut eingespielt.
Für die betroffenen Unternehmen bedeutete das einen erheblichen organisatorischen Aufwand. »Wir haben zusätzliche Container und Sanitärsysteme zur Verfügung gestellt, Fiebermessschleusen eingerichtet und betreut, Desinfektionsspender an neuralgischen Punkten installiert und große Mengen an Mund-Nasen-Schutz geliefert«, sagt Dominik Müller, Geschäftsführer des Baulogistik-Spezialisten Zeppelin Rental Österreich. »Diese verstärkten Schutzmaßnahmen werden uns sicherlich noch einige Zeit begleiten.« An Schutzmasken und Desinfektionsmittel besteht kein Mangel mehr, allenfalls bei der Verwendung schleicht sich inzwischen da und dort eine gewisse Nachlässigkeit ein.
In viele Büros, die während mehrerer Monate beinahe verwaist waren, kehrten dagegen viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erst vor kurzem aus dem Homeoffice zurück. Hier braucht es, wie GesundheitsexpertInnen betonen, ähnlich konsequente Sicherheitsvorkehrungen wie in Schulen: Abstand, Maske, Belüftung und Handhygiene sind die geeignetsten Mittel, um das Risiko einer Infektion so gering wie möglich zu halten. Eine erkrankte Person kann innerhalb weniger Stunden unzählige KollegInnen oder KundInnen anstecken. Eine behördlich angeordnete Schließung kann die wirtschaftliche Existenz des Unternehmens bedrohen – vom Imageschaden eines Corona-Clusters einmal abgesehen.
Zentrales Element der österreichischen Corona-Strategie ist deshalb das sogenannte Contact-Tracing, also die Nachverfolgung der Infektionsketten. Eine Verbreitung über mögliche Hotspots mit hoher Personenfrequenz soll damit frühzeitig durchbrochen werden. Fällt ein PCR-Test positiv aus, wird die infizierte Person von einem Contact-Tracer – speziell geschulte MitarbeiterInnen der Gesundheitsbehörden sowie Amts- und SchulärztInnen – nach einem standardisierten Schema telefonisch befragt. Dabei werden alle Lebensbereiche einbezogen: privates Umfeld, Arbeitsplatz, Verkehrsmittel, Freizeit, Termine z.B. bei Arzt oder Friseur, Veranstaltungen, Shopping.
Die Kontaktpersonen werden in zwei Kategorien – »enger« und »loser« Kontakt – eingeteilt und mittels behördlicher Bescheide eine »Absonderung« oder eine »Verkehrsbeschränkung« angeordnet, also zur Selbstisolation aufgefordert. In der Regel sind das alle Menschen, die sich mindestens 20 Minuten mit weniger als einem Meter Abstand zum Infizierten aufgehalten haben. Weitere Verdachts- oder Erkrankungsfälle unter den Kontaktpersonen werden im EMS erfasst. Die Nachverfolgung ist extrem aufwendig. Alle Landesregierungen haben ihr Personal bereits aufgestockt. Eine flächendeckende Schließung von Kindergärten, Schulen, Restaurants, Geschäften und anderen Unternehmen will man unbedingt vermeiden. Der Bevölkerung und der Wirtschaft wäre ein zweiter Shutdown wohl nicht zumutbar, meinen ExpertInnen.
Tisch an Tisch
Großraumbüros stehen indessen wegen vermeintlich größerer Infektionsgefahr wieder verstärkt in der Kritik. Für Umweltmediziner Hans-Peter Hutter ist das aber mehr eine Frage der Abstände und der Belüftung – beides kann in großen wie in kleinen Räumen problematisch sein. »Früher hat man sich über die Luftqualität wenig Gedanken gemacht, das Thema wurde immer etwas belächelt«, verweist Hutter auf die Win-win-Situation für Unternehmen: Schlechte Luft senkt die Leistungsfähigkeit der MitarbeiterInnen und macht krank. Häufige und längere Krankenstände sind die Folge. Mechanische Anlagen, in modernen Bürokomplexen meist Standard, liefern, wenn sie gut gewartet sind, verlässlich Frischluft. Müssen die Fenster selbst geöffnet werden, ist die Luftqualität oft schlechter: Man vergisst gerne darauf oder die KollegInnen sind sich uneinig über die Häufigkeit und Dauer der Stoßlüftungen.
2010 wurden in Österreich 140.000 m² Bürofläche bezogen, fast 80 % davon waren Großraumbüros. Aktuell befinden sich 155.000 m² Bürofläche in Fertigstellung, rund 130.000 (85 %) davon sind Großraumbüros. Aus der nun notwendigen Umgestaltung der Flächen entwickelt sich bereits ein eigener Geschäftszweig. Das Bregenzer Unternehmen Offezio bietet unter dem Motto »Corona ready« die Adaptierung bestehender Büros an. Zum Einsatz kommen flexible Trennwände, Sensoren zur Messung der Raumluftqualität sowie kontaktlose Möglichkeiten, um Türen zu öffnen oder die Hände zu desinfizieren. Leitsysteme regeln häufig genutzte Wege und markieren Ausweichzonen in engen Bereichen. Sollte ein Impfstoff entwickelt werden und ein Normalbetrieb in den Unternehmen wieder möglich sein, sind die Umbauten – falls gewünscht – großteils abbaubar oder anderweitig verwendbar.
Offenes Layout
Doch auch Architekten wie Oliver Oszwald, Partner bei HNP architects, sieht die Zeit klassischer Großraumbüros ohnehin abgelaufen und »eine Tendenz zu mehr Besprechungsräumen und Projektbereichen« mit offenem Layout. Das Raumangebot wird vielfältiger, mit flexiblen Workspaces, die das traditionelle Setting – Tisch an Tisch, Arbeitskoje an Arbeitskoje – zunehmend verdrängen.
Die vehemente Ablehnung von Remote Work hat sich in vielen Unternehmen durch Corona plötzlich in Wohlgefallen aufgelöst. Das Pendel schlägt nun in die andere Richtung aus: Braucht man diese riesigen Büroflächen überhaupt noch? »Das Ergebnis wird eine neue Arbeitswelt mit intelligenter und mehrfach programmierbarer Zonierung sein«, meint Oszwald. »Wir stehen vor einem Wechsel von der Präsenzkultur hin zum mobilen Arbeiten.«
Aufgrund der positiven Erfahrungen wollen 60 % der Unternehmen auch zumindest teilweise am Homeoffice festhalten. Was in bestehenden Abteilungen hervorragend funktioniert, stößt in wechselnden Teams oder beim Onboarding neuer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jedoch an die Grenzen. Die Firmengebäude werden deshalb nicht aussterben. Das Büro der Zukunft könnte sich aber zu einem Ort des persönlichen Austauschs wandeln, in dem Unternehmenskultur gelebt wird.