Die Stadt Wien greift der Wiener Wirtschaft kräftig unter die Arme. Die Rücklagen, die im Vorjahr gebildet wurden, machen sich jetzt bezahlt. Wie die Bundeshauptstadt gestärkt aus der Krise hervorgehen kann und warum er die Wahl am 11. Oktober nicht als »g'mahde Wiesn« sieht, erklärt Bürgermeister Michael Ludwig im Report(+)PLUS-Interview.
(+) plus: 2020 ist ein außergewöhnliches Jahr, das auch unser demokratisches System auf die Probe stellt. Wird Corona unsere Gesellschaft verändern?
Michael Ludwig: Die Coronakrise hat uns allen schon viel abverlangt und ist noch nicht vorbei. Vieles war noch vor kurzer Zeit undenkbar. Aber erst im Rückblick wird sich zeigen, wie einschneidend die Veränderungen waren.
(+) plus: Halten Sie einen zweiten Lockdown für möglich? Ist Wien dafür gerüstet?
Ludwig: Dank unseres starken öffentlichen Gesundheitssystems ist Wien in dieser weltweiten Krise bis dato gut durchgekommen. Es sind genügend Kapazitäten vorhanden – eben weil unsere sozialdemokratische Politik Kürzungen und neoliberale Privatisierungen verhindert hat.
(+) plus: Die Pandemie verdeutlicht und verschärft soziale Probleme, wie z.B. Bildungsdefizite. Wie wirkt die Stadt Wien dem entgegen?
Ludwig: Wir haben von Beginn an sichergestellt, dass es ausreichend Betreuungsangebote für Kinder und Jugendliche gibt, finanzielle Entlastungen für Eltern in Millionenhöhe beschlossen und auch das Online-Lernangebot binnen weniger Wochen auf ein neues Niveau gehoben. Um die Wiener Schülerinnen und Schüler in dieser schwierigen Situation bestmöglich zu unterstützen, haben wir all jenen, die das brauchen, 5.000 neue Laptops als Leihgeräte zur Verfügung gestellt. Und die neue Gratis-Ganztagsschule wird das ihre dazu beitragen, dass Bildungschancen gerecht verteilt sind.
(+) plus: Die wirtschaftlichen Auswirkungen werden erst mit zeitlicher Verzögerung spürbar. Rechnen Sie mit einer Pleitewelle, wenn die Staatshilfen dann einmal auslaufen?
Ludwig: Um genau das zu verhindern, haben wir die »Stolz auf Wien« Beteiligungs-GmbH geschaffen. Damit stellen wir von der Coronakrise betroffenen Wiener Leitunternehmen mithilfe befristeter Beteiligungen dringend benötigtes Eigenkapital zu Verfügung. Auf diese Art helfen wir ihnen, diese schwierige Situation zu meistern. Ziel ist es, die Unternehmen zu stabilisieren und zu verhindern, dass Arbeitsplätze verloren gehen. Mitte September wurden in der ersten Beiratssitzung die ersten Unternehmen bestätigt, die sich Beteiligungen sichern: die beiden traditionsreichen Wiener Unternehmen Frey Wille und Adamol. Weitere Unternehmen sind bereits in der Pipeline, die Detailprüfung durch Wirtschaftsprüfkanzleien laufen.
(+) plus: Strenge Hygienestandards sollen Kongresse, Messen und andere Veranstaltungen ermöglichen. Ist das angesichts steigender Infektionszahlen realistisch?
Ludwig: Der Neustart ist angesichts der derzeitigen Corona-Situation schwierig. Wo wir helfen können, tun wir das – etwa mit einer Anschubfinanzierung für die Hotellerie von bis zu maximal 50.000 Euro pro Betriebsstätte. Gefördert werden Kosten für Buffet, Getränke, Marketing, Werbung und externe Dienstleistungen. So stellen wir sicher, dass so viele Arbeitsplätze wie möglich erhalten bleiben, bis die Branche wieder durchstarten kann.
(+) plus: Wiens Tourismus erwartet heuer einen Wertschöpfungsverlust von 1,9 Milliarden Euro. Wie können diese Einbußen ausgeglichen werden?
Ludwig: 22 Millionen Euro fließen derzeit in die Bereiche Tourismus und Hotellerie, wobei sieben Millionen davon direkt dem Wien-Tourismus für Werbemaßnahmen zugutekommen. Damit soll der Ausfall der Ortstaxe kompensiert werden. Der Rest geht in Form einer Anschubfinanzierung an Beherbergungsbetriebe. Ein wichtiges Ziel ist, auch jene Gäste anzusprechen, die noch nicht reisen können oder wollen. Wien bleibt so in den Köpfen der Menschen verankert. Diese Gäste werden wieder kommen, davon bin ich überzeugt!
(+) plus: Die Unterstützungsmaßnahmen beanspruchen einen großen Teil des Budgets – Geld, das für andere geplante Investitionen jetzt fehlt?
Ludwig: Wir haben die notwendigen Mittel, weil wir vor der Krise gut gewirtschaftet haben. 2019 hat es Wien geschafft, einen ausgeglichenen Haushalt zu erreichen und dabei über 758 Millionen Euro an Rücklagen aufzubauen. So können wir mit unserem Budget von 14,2 Milliarden Euro die Leistungen für die Wienerinnen und Wiener weiter verbessern! Ich bin überzeugt, dass Wien aus der Coronakrise letztlich gestärkt hervorgehen wird.
(+) plus: Die Stadt Wien schaffte das für 2020 angestrebte Nulldefizit bereits im Vorjahr. Ist es heuer noch zu halten?
Ludwig: Unterstützung für den Arbeitsmarkt und die Wirtschaft hat jetzt einfach Vorrang vor einer schwarzen Null. Deshalb investieren wir auch weiter konsequent in die Zukunftsbereiche Arbeit, Bildung, Gesundheit und Klimaschutz.
(+) plus: Die Ausschreibungen für den U2/U5-Ausbau wurde wegen zu hoher Angebote der Baufirmen wiederholt – noch ohne Ergebnis. Wie wirkt sich diese Verzögerung auf die Baukosten und die Bauzeiten aus?
Ludwig: Der Hauptgrund sind Verzögerungen bei den Ausschreibungen für diese Bauvorhaben, die den Zeitplan des U2/U5-Linienkreuzes nach hinten schieben. Verspätungen bei Baumaßnahmen dieser Größenordnung sind aber gerade in Zeiten der Coronavirus-Krise nichts Ungewöhnliches.
(+) plus: Bei einer Direktwahl wären Sie klarer Sieger – eine »g’mahde Wiesn«?
Ludwig: Im Gegenteil, diese Wahl ist noch lange nicht gelaufen, wie manche Kommentatoren behaupten. Es ist gut möglich, dass sich Konservative und Neoliberale zusammentun, nur um einen roten Bürgermeister zu verhindern. Wer Wien liebt und will, dass es genauso lebenswert bleibt, der muss mich und die SPÖ auch wählen!
(+) plus: Wer wäre Ihr liebster Koalitionspartner?
Ludwig: Diese Frage stellt sich erst nach der Wahl. Wir wollen klar stärkste Kraft werden. Niemand soll an der SPÖ vorbei den Bürgermeister stellen können. Deshalb werden wir bis zum Wahltag so viele Wienerinnen und Wiener wie möglich überzeugen!