Die Prüfungs- und Beratungsorganisation EY hat 123 Unternehmen in Österreich zu ihrer aktuellen Situation befragt. Die Mehrheit sieht sich gut gerüstet, drei von fünf sind aber bereits von Umsatzrückgängen betroffen. Welche Auswirkungen und Perspektiven sich ergeben und was die oberste Priorität ist.
Bereits seit einigen Wochen hat der Corona-Virus nicht nur das Privatleben vieler, sondern auch den Arbeitsalltag von Österreichs Wirtschaftstreibenden fest im Griff. Wenngleich die Intensität der Auswirkungen für die meisten unerwartet war, fühlt sich die Mehrheit der heimischen Unternehmen gut für Ausnahmesituationen wie diese gerüstet: Fast zwei von drei Unternehmen (65 %) geben an, auf Geschehnisse wie den Ausbruch von COVID-19 gut oder sogar ausgezeichnet vorbereitet zu sein, nur acht Prozent fühlen sich nicht gewappnet. Nach eigenen Angaben sind vor allem Industrie- und große Unternehmen mit über 200 Millionen Euro Umsatz gut gerüstet.
Jedes zweite Unternehmen (51 %) hat bereits vor der Pandemie Krisenpläne zur Bewältigung von Krisen eingesetzt, je 46 Prozent setzten bei Krisen auf Risiko-Evaluierung und Risk Management, 43 Prozent auf Krisenstäbe. Frühwarnsysteme waren hingegen nur bei etwa jedem neunten Unternehmen (11 %) etabliert. Auch Pandemien sind auf dem Krisenradar einiger Betriebe bereits aufgetaucht – 15 Prozent der Befragten verfügten schon vor Ausbruch der Corona-Krise über einen Maßnahmenplan im Falle einer Epidemie. Bei Finanzunternehmen hatten sich sogar 55 Prozent auf Pandemien vorbereitet.
„Neben Naturkatastrophen, wirtschaftlichen Abschwüngen und anderen Risikofaktoren hat sich jedes siebte Unternehmen Gedanken zu Maßnahmen im Falle des übergreifenden Ausbruchs einer Krankheit gemacht – bei den Finanzdienstleistern war es sogar gut jedes zweite. Spannend ist, dass lediglich acht Prozent der Handels- und Konsumgüterunternehmen über einen Pandemie-Krisenplan verfügen, diese Branchen derzeit jedoch am stärksten betroffen sind“, so Gunther Reimoser, Country Managing Partner von EY.
Das sind Ergebnisse einer Umfrage der Prüfungs- und Beratungsorganisation EY, für die 123 Unternehmen in Österreich mit mehr als 50 Mitarbeitern Anfang April zu Auswirkungen, Erkenntnissen und Perspektiven von COVID-19 befragt wurden.
Schließungen und Sparmaßnahmen, dennoch Optimismus
Während jedes zehnte der befragten Unternehmen stärkere Aktivitäten und vermehrte Nachfrage durch COVID-19 verzeichnet, musste jedes siebte (14 Prozent) temporär schließen. Besonders betroffen vom Stillstand durch vorübergehende Schließungen sind die Branchen Handel und Konsumgüter – jeder vierte Händler (24 %) muss zeitweilig zusperren – sowie kleinere Unternehmen mit bis zu 50 Millionen Umsatz.
„Kein einziges der befragten Unternehmen aus dem Finanzdienstleistungssektor ist von einer zwischenzeitlichen Schließung betroffen – das ist jene Branche, in der die meisten Unternehmen sich bereits vor der Corona-Krise Gedanken zu Maßnahmen im Falle einer Epidemie gemacht haben. Das zeigt, dass eine umfangreiche Evaluierung von möglichen Risikofaktoren und daraus abgeleitete Maßnahmen im Krisenfall viel wert sind – sie ermöglichen schnelleres und gezielteres Handeln. Getreu dem Motto ‚Vorsicht ist besser als Nachsicht‘“, erklärt Reimoser.
Knapp die Hälfte der Unternehmen (46 %) musste bereits erste interne Sparmaßnahmen und Kürzungen umsetzen. Besonders hoch ist der Anteil in der Industriebranche (52 %), bei Finanzdienstleistern (18 %) ist er am geringsten. Die gute Nachricht: Voraussichtlich wird kein einziges befragtes Unternehmen Insolvenz bzw. Konkurs anmelden müssen.
Umsatzeinbußen als größter Stolperstein
Gut drei von fünf heimischen Unternehmen (63 %) verzeichnen derzeit Umsatzrückgänge als Folge der COVID-19-Krise, insgesamt vier von fünf Unternehmen (80 %) rechnen mit Umsatzeinbußen für das gesamte Geschäftsjahr 2020. Der Umsatzeinbruch, der von den Befragten erwartet wird, ist massiv – im Durchschnitt erwarten die befragten Unternehmen Umsatzeinbußen von 18 Prozent. Überdurchschnittlich hoch ist der Anteil derer, die mit Umsatzverringerungen für heuer rechnen, in der Industrie (83 %) sowie bei Unternehmen mit Jahresumsätzen von weniger als 200 Millionen Euro.
Höchst problematisch ist die Rückläufigkeit von Anfragen und Bestellungen, mit der jedes zweite Unternehmen (54 %) konfrontiert ist. 37 Prozent konstatieren Probleme mit der Lieferkette bzw. Produktions- oder Auslieferungsstopps.
„Der Ausbruch der COVID-19-Krise hat viele Verlierer und einige wenige Gewinner in Österreich hervorgebracht. Ein kleiner Teil der Unternehmen macht mehr Umsatz als je zuvor und wird gestärkt aus dieser Situation hervorgehen, während viele in wirtschaftlichem Treibsand stecken. Lediglich jedes sechste Unternehmen geht derzeit davon aus, angesichts der COVID-19-Krise das Umsatzniveau des Vorjahres halten zu können. Selbst wenn in der zweiten Jahreshälfte erfreuliche Zahlen geschrieben werden, wird es äußert schwierig, bereits eingefahrene Verluste wieder auszugleichen. Denn neben internen und organisatorischen Schwierigkeiten gibt es auch zunehmende Risiken von außen, zum Beispiel Cyberattacken, die zusätzlich Probleme bereiten. Für Cyber-Kriminelle sind Unternehmen in Ausnahme- oder Krisensituationen äußerst verlockend“, erläutert Erich Lehner, Managing Partner Markets bei EY Österreich.
Doch nicht alle heimische Unternehmen haben derzeit mit Umsatzrückgängen zu kämpfen: Sieben Prozent schreiben seit Ausbruch der Corona-Pandemie ein Umsatzplus – vier Prozent richten sich verstärkt nach der momentanen Nachfrage und produzieren neue bzw. abgeänderte Produkte, die derzeit besonders gefragt sind. Der Optimismus ist demnach nicht bei allen Unternehmen eingetrübt: Jedes fünfte (20 %) ist weitgehend positiv gestimmt und rechnet nicht mit Umsatzeinbußen durch COVID-19.
Mitarbeiter als Asset für Nach-Corona-Zeit
Bei weniger als drei von zehn Unternehmen (28 %) läuft derzeit alles seinen gewohnten Gang und auch der Mitarbeiterstand bleibt beim Alten. Die Mehrheit, 59 Prozent, hat seit Beginn der Corona-Pandemie in Österreich alle Mitarbeiter behalten und nimmt COVID-19-Kurzarbeit in Anspruch. „Wegen momentaner wirtschaftlicher Schwierigkeiten nehmen viele Unternehmen diese Möglichkeit der vorübergehenden Herabsetzung der Normalarbeitszeit und des Arbeitsentgelts wahr, um ihren Mitarbeiterstand zu halten. Dennoch plant gut jedes fünfte Unternehmen (21 %) Stellenstreichungen in den kommenden zwölf Monaten. Selbst dann, wenn die Geschäfte wieder aufsperren und Firmen regulär produzieren dürfen, sind die ökonomischen Hindernisse noch nicht überstanden“, sagt Lehner.
„Es ist zu hoffen, dass ein zukünftiger wirtschaftlicher Aufschwung und kluge Förderungen auch weiterhin möglichst viele Arbeitsplätze erhalten. Gute, verlässliche Mitarbeiter sind ein wichtiges Kapital, um nach der Corona-Krise auf gewohntem Niveau durchstarten zu können.“ Der Stellenabbau dürfte vor allem den Industriesektor betreffen: Hier will fast jedes vierte Unternehmen Mitarbeiter entlassen und nur jedes 50. neue Arbeitskräfte einstellen.
Für fast sieben von zehn Unternehmen (68 %) hat die Sicherung der Liquidität momentan höchste Priorität, gut jedes zweite Unternehmen (55 %) bezeichnet die Sicherung der Arbeitsplätze derzeit als essenziell, um den erfolgreichen Fortbestand des Unternehmens zu sichern. Das Halten der Mitarbeiter rückt auf Platz Eins, wenn es um das erneute Hochfahren des Betriebs geht – der Weiterbestand der Arbeitskraft ist für 59 Prozent der Unternehmen der Schlüssel zum Erfolg des zukünftigen Vollbetriebs. Immerhin jedes vierte Unternehmen (40 %) plant die Intensivierung der Vertriebsaktivitäten, acht Prozent wollen sogar gezielt auf dem M&A-Markt aktiv werden.
Lessons learned: Digitalisierung und Flexibilität künftig nahezu unumgänglich
Um auch in Zukunft für eine Krise dieses Ausmaßes gerüstet zu sein, sehen zwei Drittel der Unternehmen (66 %) das Vorantreiben von Digitalisierungsprojekten als wichtig bzw. ganz besonders wichtig. Auch der Investition in flexible Arbeitsstrukturen, z. B. Teleworking, wird große Bedeutung zugeschrieben (für 62 % wichtig bzw. ganz besonders wichtig). Nachdem Cyber-Angriffe in den letzten Wochen in aller Munde waren, sind auch hohe Cyber-Security-Standards künftig für jedes zweite Unternehmen (52 %) wichtig bzw. ganz besonders wichtig.
„Bereits jetzt sollten sich Unternehmen nicht nur intensiv darüber Gedanken machen, wie sie ihr Unternehmen möglichst unbeschadet aus der Krise lenken, sondern auch, was sie künftig an ihren Prozessen verbessern und wie sie die Resilienz steigern können. Aus Fehlern lernt man – aber ebenso aus erfolgreich überwundenen Hürden. Erneut in alte Muster zu verfallen ist kontraproduktiv, manche Unternehmen haben zwischenzeitlich neue Work Flows, Home-Office-Möglichkeiten, Lieferketten oder Vertriebsschienen etabliert, die auch künftig durchaus Vorteile mit sich bringen. COVID-19 hat schon jetzt zu einem starken Digitalisierungsschub geführt. Unternehmen, die auf eine Verknüpfung von analogen und digitalen Kanälen – Stichwort Omnichannel – setzen und damit Kundennähe schaffen, sind bereits jetzt erfolgreicher und besser für Ausnahmensituationen gerüstet“, so Reimoser abschließend.