Industrie 4.0 hält auch in der Mineralrohstoffindustrie Einzug. An der HTL Leoben schloss im Vorjahr der erste Jahrgang der Fachrichtung Rohstoff- und Energietechnik die Ausbildung ab – gut gerüstet für die Anforderungen einer Branche im Wandel.
Automatisierung und Digitalisierung spielen in vielen Branchen bereits eine wettbewerbsentscheidende Rolle. So auch in der Rohstoffbranche, wo die stetige Weiterentwicklung von Gewinnungs- und Produktionstechnologien, aber auch die Erforschung neuer Rohstoffquellen und Recyclingmethoden unerlässlich ist. »Als wichtiger Partner für die Industrie hat die HTL Leoben bis heute stets proaktive Antworten auf Fragen der Zukunft gefunden«, unterstreicht Alexandra Gmundtner, wirtschaftliche Leiterin der Schule.
Um diesen Anforderungen zu entsprechen, startete an der HTL Leoben im Schuljahr 2013/14 die in Österreich bisher einzigartige Fachrichtung Rohstoff- und Energietechnik, die neben den allgemeinen Fächern vor allem technische, wirtschaftliche und rechtliche Schwerpunkte abdeckt. Die technischen Bereiche umfassen den gesamten Wertschöpfungskreislauf – von der Gewinnung über die Aufbereitung und Verarbeitung von Rohstoffen sowie Recycling bis hin zum fertigen Produkt. Betriebswirtschaft und Projektmanagement sowie die relevanten rechtlichen Rahmenbedingungen, besonders auf Basis des Mineralrohstoffgesetzes, ergänzten die Ausbildung.
Sieben Schülerinnen und 21 Schüler aus mehreren Bundesländern absolvierten im Juni 2018 erfolgreich die Matura und konnten dabei ihr breit gefächertes Wissen unter Beweis stellen. Die Diplomarbeiten zeigen das vielschichtige Themenspektrum zwischen Rohstoffgewinnung und -verarbeitung und anderen zukunftsweisenden Bereichen auf. So beschäftigte sich ein Schülerteam mit der Brennstoffzellentechnologie in der Elektromobilität.
Drei Schüler wurden für ihr Projekt »Analyse des Wiedereinsatzes der Feinberge am Erzberg« sogar von »Jugend Innovativ« mit dem ersten Preis in der Kategorie Sustainability ausgezeichnet. Bereits mehrmals konnten sich Schüler als Teilnehmer für das EU-Projekt »Raw Material Ambassadors« bzw. die internationale Erdwissenschaftenolympiade IESO qualifizieren. Sebastian Fischer, inzwischen erfolgreicher Absolvent der Fachrichtung Rohstofftechnik, erhielt für ein Hochwasserschutz-Projekt, das er im Rahmen seiner Ferialpraxis erarbeitete, gemeinsam mit der Limberger Firma Hengl Mineral 2016 den Nachhaltigkeitspreis des Forums mineralische Rohstoffe.
Moderne Technologien
Was die für Industrie 4.0 erforderlichen Fähigkeiten betrifft, befinden sich die Schülerinnen und Schüler auf dem neuesten Stand der Technik. So werden im Automatisierungslabor die Steuerung der Förderanlagen der Modellfabrik über ein Touch-Panel sowie Betriebsdatenerfassung und -speicherung praxisnah unterrichtet. Elektrohydraulische Schaltungen, wie sie in automatisierten Aufbereitungsanlagen zum Einsatz kommen, werden mittels Hydraulikprüfstand geregelt. Auf Basis der aufgezeichneten Messwerte erfolgen diverse Auswertungen der Daten und realitätsnahe Aufgaben wie etwa die Simulation einer Brecheranlage.
Im Rohstofftechniklabor stehen unterschiedliche Aggregate zur Verfügung, anhand derer die Schülerinnen und Schüler Aufbereitungstechniken von der primären bis zur sekundären Gewinnung mineralischer Rohstoffe erlernen. Dabei kommen modernste Geräte, u.a. ein Backenbrecher und eine Kugelmühle, zur Anwendung. Durch eine enge Kooperation mit dem Institut für Aufbereitung finden ergänzend technische Übungen an der Montanuniversität Leoben statt.
Ein zentraler Fachbereich der jungen Rohstofftechnikerinnen und -techniker ist Natur und Umwelt. Die Wiederansiedlung bedrohter Tierarten, die Wiederaufforstung von Wäldern oder die Konzeptionierung eines Grundwassermodells sensibilisieren die Jugendlichen für einen schonenden Umgang mit Ressourcen. Gleichzeitig trainieren sie den Umgang mit digitalen Anwendungen und Simulationssoftware, die in vielen Berufsfeldern bereits gelebte Praxis sind.
Im Rahmen des Übungsunterrichts der zweiten Klasse werden im Zuge der geologischen Erkundung eines Leobener Bergs die Kenntnisse über Mineralogie und Petralogie gefestigt und praktische Fertigkeiten, wie etwa die systematische Arbeitsweise bei der Aufnahme von Rohdaten, geübt. In einem weiteren Projekt auf der Gleinalpe werden diese Kompetenzen in Form eines Kartierkurses perfektioniert. In der fünften Klasse steht schließlich die Planung einer Reaktivierung eines aufgelassenen Tagebaus auf dem Lehrplan. Nach der geotechnischen Vermessung wird der gesamte Bergbau auf Basis der erhobenen Daten dreidimensional modelliert und mittels 3D-Drucker als digitaler Zwilling im Labormaßstab veranschaulicht.
Unterstützung durch Paten
Der Entwicklung und Förderung praktischer Fähigkeiten kommt während der gesamten Ausbildung ein wichtiger Stellenwert zu. Mit zahlreichen Betrieben bestehen enge Kooperationen. Die beiden Partnerunternehmen RHI Magnesita und Rohrdorfer Gruppe, vormals Cemex, begleiteten die Pionierklasse als Paten über alle fünf Jahre hinweg und lieferten wertvolle Unterstützung. Fachexkursionen und Ferialpraktika ermöglichten den Jugendlichen interessante Einblicke in die unterschiedlichen Tätigkeitsfelder der Mineralrohstoffindustrie. Zahlreiche SchülerInnen absolvierten in Zusammenarbeit mit der Montanuniversität die Ausbildung zur/zum Sprengbefugten.
Mit der inzwischen etablierten Fachrichtung Rohstofftechnik offenbarte sich zunehmender Platzbedarf, der mit einem Zubau in einer Bauzeit von nur acht Monaten gelöst wurde. Auf weiteren rund 1.000 m² bieten sich in sechs Klassenzimmern, drei Laboratorien und einer Terrasse beste Voraussetzungen für ein positives Lernklima. Alle Räume sind mit modernen Medien ausgestattet. Die Baukosten in Höhe von rund 1,5 Millionen Euro wurden vom Forum Rohstoffe, Fachverband Steine-Keramik, Fachverband Bergwerke-Stahl, Land Steiermark, Wirtschaftskammer Steiermark und der Stadtgemeinde Leoben übernommen. Die Mitgliedsunternehmen der Fachverbände steuerten zudem Materialspenden bei.
Erfreulich entwickelt sich auch das Interesse der Mädchen. Aktuell besuchen rund 410 Jugendliche die HTL Leoben, der Frauenanteil liegt bei 15 Prozent, teilweise sogar höher. »Mit 20 Prozent ist der Anteil an Frauen in der Rohstofftechnik am höchsten«, berichtet der pädagogische Leiter Christian Hofer stolz. Um ihre Zukunft müssen sich die Absolventinnen und Absolventen der Abteilung Rohstoff- und Energietechnik ohnehin keine Sorgen machen: Die Berufsaussichten sind vielfältig und reichen von der Bergbau- und Aufbereitungstechnik über Analytik und Umweltmanagement bis zur Qualitätssicherung in der Roh- und Baustoffindustrie sowie in nachgelagerten Branchen wie etwa der pharmazeutischen oder glasverarbeitenden Industrie.