Ivica Vastic war einer der erfolgreichsten Fußballspieler Österreichs und ist heute als Trainer tätig. Über Geld und Konkurrenz, ungerechte Entscheidungen und warum Fußball so viele Menschen bewegt und vereint, erzählt der gebürtige Kroate im Report(+)PLUS-Interview.
(+) plus: Sie kamen 1991 nach Österreich und sind seit 1996 österreichischer Staatsbürger. Als Sie bei der WM 1998 gegen Chile ein Tor schossen, titelte die Kronen Zeitung »Ivo, jetzt bist Du ein echter Österreicher«. Was dachten Sie sich damals?
Ivica Vastic: Ich war damals schon längst Österreicher, aber das muss man sich anscheinend verdienen. Erst wenn man Leistung bringt, wird man akzeptiert. Die Schlagzeile ist in der Euphorie der Weltmeisterschaft passiert. Ich habe das gar nicht so beachtet.
(+) plus: Sie wurden mit Sturm Graz unter Trainer Ivica Osim zweimal Meister. Haben Sie sich von ihm etwas abgeschaut?
Vastic: Mir hat immer seine Art imponiert, wie er mit den Spielern umgegangen ist. Seine Menschlichkeit und Fairness und natürlich seine sensationellen Fußballkenntnisse – ich habe ihm immer voll vertraut. Ich versuche auch, in diese Richtung zu denken und meinen Spielern eine klare Linie vorzugeben. Das ist nicht immer leicht, heute ist der Trainerjob viel schnelllebiger. Wenn es nicht nach Wunsch läuft, muss der Trainer sofort gehen. Die Strukturen im Verein bleiben aber gleich.
(+) plus: Welche Eigenschaften und Fähigkeiten sollte ein guter Trainer mitbringen?
Vastic: Der Trainer sollte authentisch auftreten und natürlich gute Fußballkenntnisse haben: eine eigene Idee, einen eigenen Stil und die Gabe, aus den vorhandenen Spielern das Beste herauszuholen. Das ist immer ein schmaler Grat. Man muss mit den Spielern kommunizieren können. Es ist ein Mannschaftssport – die Maßnahmen müssen in der Gruppe funktionieren. Jeder Spieler schaut jedoch in erster Linie auf sich selbst. Es wird immer schwerer, Charaktere zu finden, die mannschaftsdienlich denken. Wie in der Gesellschaft wird alles egoistischer. In den Fußball fließt sehr viel Geld; viele Spieler haben Sorge, nicht gut genug abzuschneiden. Unter der Woche sind sie Konkurrenten, aber am Wochenende beim Match sollen sie gemeinsam als Mannschaft auftreten.
(+) plus: Gehen Sie mit den Spielern eher freundschaftlich um?
Vastic: Ich gehe menschlich mit ihnen um. Man muss eine klare Linie haben. Meine Entscheidungen sind nicht immer populär. Es gibt nur elf Plätze, aber 20 Spieler. Nicht jeder hat die gleiche Ansicht wie ich, alle wollen spielen. Aber ich versuche, zu erklären, warum einer spielt und der andere nicht. Ob er das als gerecht empfindet oder als Motivation nimmt, muss er selbst wissen.
(+) plus: Haben Sie sich als Spieler auch manchmal ungerecht behandelt gefühlt?
Vastic: In Deutschland herrschte in der Mannschaft ein riesiger Konkurrenzkampf. Ein Spieler war ein bisschen angeschlagen, er wollte es trotzdem probieren. Ich habe mich vor dem Spiel aufgewärmt. Sollte er nicht spielen können, hätte ich statt ihm begonnen. Schließlich saß ich aber nicht einmal als Wechselspieler auf der Bank, sondern musste sogar auf die Tribüne. Mit solchen Situationen muss man umgehen und am nächsten Tag trotzdem wieder Leistung bringen. Man muss mental stark sein.
(+) plus: Bleiben die Erfolge aus, wird als erste Reaktion oft der Trainer ausgewechselt. Ist das gerechtfertigt?
Vastic: Manche Vereine wechseln Trainer wie am Fließband und der Erfolg bleibt trotzdem aus. Da sollte man schon überlegen, ob es nicht an etwas anderem liegt. Es braucht Zeit, bis man sein Konzept umgesetzt hat. Aber diese Zeit bekommt man nicht als Trainer. Für langfristige Erfolge fehlt die Konstanz. Sobald ein Spieler in Österreich gute Leistungen erbringt, ist er schon im Ausland. Als Trainer musst du dann neue Spieler finden und die Mannschaft wieder aufbauen. Das geht nicht so einfach wie bei der Playstation, es sind Menschen.
(+) plus: Sie haben als Trainer von Mattersburg alle Höhen und Tiefen erlebt. Wie motivieren Sie eine Mannschaft, wenn die
Situation aussichtslos erscheint?
Vastic: Man muss selbstkritisch sein und erkennen, warum es nicht gut läuft. Erfolgserlebnisse sind wichtig, aber daran muss man zielstrebig arbeiten. Über den Einzelnen erreicht man die ganze Mannschaft. Es sind viele Rädchen. Jeder Spieler ist anders, hat seine eigene Geschichte, trägt seine Persönlichkeit auch im Training mit.
(+) plus: Wissen Sie über jeden Spieler so genau Bescheid?
Vastic: Über den Großteil schon. Man kann in Einzelgesprächen vieles steuern. Nicht jeder will seine Probleme mit dem Trainer teilen, dafür braucht es schon eine Vertrauensbasis. Das ist bei 20 Leuten schwierig. Das Trainergeschäft ist sehr komplex geworden.
(+) plus: Taktik und Strategie haben heute einen höheren Stellenwert. Vertrauen Sie dennoch auf Ihr Bauchgefühl?
Vastic: Die sachliche Ebene ist nur die eine Seite. 40 Jahre Erfahrung im Fußball sind aber nicht unwesentlich. Vieles muss analysiert und reflektiert werden. Man versucht, Informationen einzuholen und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Jeder Gegner ist anders, auch bei der eigenen Mannschaft kann man wegen Verletzungen oder Sperren nicht immer aus dem Vollen schöpfen. Man braucht Gespür und ein gutes Händchen. Für den Erfolg muss alles passen.
(+) plus: Wird mit den Analysetechniken übertrieben?
Vastic: Auch die Emotionen machen sehr viel aus, manchmal mehr als wissenschaftliche Theorien. Der Wille, unbedingt zu gewinnen, kann alles widerlegen. Im Musikgeschäft gibt es einige Sänger, die nicht unbedingt perfekt sind, aber trotzdem eine hervorragende Performance bringen: Sie können die Menschen begeistern und sind deshalb erfolgreich. Im Fußball gibt es Spieler, die stets über ihre Grenzen gehen, und andere, die technisch mehr draufhaben, aber nicht immer alles geben – sie werden es möglicherweise nicht so weit bringen.
(+) plus: Spieler verdienen heute viel mehr als früher, teilweise werden astronomische Transfersummen gezahlt. Schadet diese Entwicklung dem Fußball?
Vastic: Solange es Leute gibt, die so viel zahlen, ist es legitim, würde ich sagen. Gesellschaftliche und wirtschaftliche Interessen gehen oft Hand in Hand – alle wollen immer schneller und immer mehr. Das Interesse der Zuschauer ist auf jeden Fall da. Fußball ist der populärste und am meisten verbreitete Sport. Da stecken Emotionen drin, Fußball bewegt und vereint Menschen auf der ganzen Welt. Ich war während der letzten Weltmeisterschaft in Kroatien. Es war schön zu sehen, wie die Leistung der Nationalmannschaft die Menschen wieder zusammengebracht hat. Das Land war im Ausnahmezustand. Jeder hatte Freude und vergaß auf seine Probleme. Es waren unvergessliche Wochen. Ich glaube, das kann nur Fußball schaffen.
(+) plus: Sie selbst waren kurze Zeit in Deutschland und in Japan engagiert. Hätten Sie gerne mehr im Ausland gespielt?
Vastic: Ich hatte mehrere Angebote aus dem Ausland, auch von Top-Vereinen. Aber ich habe mich entschieden, in Österreich zu bleiben. Das Leben besteht nicht nur aus Fußball und Karriere. Manchmal muss man auch ein, zwei Schritte zurückgehen, um mit der Familie alles unter einen Hut zu bekommen. Die Zeit in Japan war sehr positiv, auch für meine Frau und meine Kinder. Für die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit ist es wichtig, den Horizont zu erweitern und etwas Neues kennenzulernen. Ich habe mir selbst bewiesen, überall auf der Welt bestehen zu können.
Bild: Ehefrau Anni und die drei Kinder stehen für Ivica Vastic an erster Stelle: »Das Leben besteht nicht nur aus Fußball und Karriere.«
(+) plus: Sie trainieren derzeit Nachwuchsspieler. Alle träumen vermutlich von der großen Karriere. Wie viele werden es tatsächlich schaffen?
Vastic: Es ist wie beim Wein – es gibt bessere und schlechtere Jahrgänge. In der österreichischen Bundesliga werden vielleicht einige Fuß fassen, aber auf Top-Niveau schaffen es nur wenige. Von den Erfolgen leben, können nicht viele. Man spielt Fußball bis 30, vielleicht 33 Jahre. Ich war mit 40 eine große Ausnahme. Wenn man nicht plant, wie es danach weitergehen soll, fällt man in ein Loch. Man ist einen höheren Lebensstandard gewöhnt, der Wechsel in einen normalen Job fällt nicht leicht. Ich habe zwar einen Beruf gelernt, aber nach 20 Jahren hat sich da so viel geändert. Ich könnte in diesen Beruf gar nicht mehr zurückkehren.
(+) plus: Was versuchen Sie den Jugendlichen mitzugeben?
Vastic: Die Spieler müssen den richtigen Leuten vertrauen und dürfen sich nicht ausnutzen lassen. Bist du erfolgreich, wollen plötzlich alle etwas von dir, die Medien sind ständig da. Mir ging es so, als ich mit Sturm in der Champions League gespielt habe: In dieser Zeit konnte ich nicht einmal in Ruhe essen, ohne dass jemand anrief. Mit Social Media ist es noch schlimmer. Sie heben dich hoch und warten nur, dass du noch schneller abstürzt, und machen dich dann nieder. Wie es dir als Mensch dabei geht, interessiert niemanden.
Zur Person
Ivica Vastic, geboren 1969, wuchs in Split auf und besuchte dort eine technische Schule für Schiffbau. Da er infolge des Krieges für seine fußballerische Karriere in Kroatien keine Perspektive sah, kam er über Kontakte seines Vaters nach Wien und spielte bei verschiedenen Vereinen in der damaligen 1. Division. Über den FC Admira-Wacker gelang Jänner 1994 der Wechsel nach Duisburg in die deutsche Bundesliga. Bereits im Sommer 1994 holte ihn der SK Sturm Graz nach Österreich zurück, wo er unter Trainer Ivica Osim zweimal österreichischer Meister, dreimal Cupsieger und dreimal Supercupsieger wurde. Außerdem qualifizierte sich die Mannschaft von 1998 bis 2000 für die Champions League. Ivica Vastic wurde in Österreich viermal zum Fußballer des Jahres gewählt, 1996 und 2000 wurde er österreichischer Torschützenkönig.
2002 wechselte er für ein Jahr nach Japan. 2005 wurde er mit FK Austria Wien erneut ÖFB-Cupsieger. Zum Karriereausklang erreichte er in der Saison 2006/07 mit dem LASK Linz den Aufstieg in die Bundesliga, Vastic wurde abermals Torschützenkönig. Im Mai 2009 gab er seinen Rücktritt als aktiver Spieler bekannt.
Für die österreichische Nationalmannschaft bestritt Vastic 50 Länderspiele und erzielte 14 Tore. Bei der WM 1998 schoss er im Vorrundenspiel gegen Chile in der Nachspielzeit das 1:1. Bei der EM 2008 erzielte er als ältester Spieler des Bewerbs im Spiel gegen Polen per Elfmeter den Ausgleich zum 1:1 und damit das einzige österreichische Tor des Turniers.
Als Trainer wurde Vastic in der Saison 2009/10 mit dem FC Waidhofen/Ybbs Meister der Regionalliga Ost. Danach betreute er zunächst die Amateure des FK Austria Wien und wurde im Dezember 2011 zum Chefcoach der Kampfmannschaft bestellt. Am Ende der Saison wurde sein Vertrag jedoch nicht verlängert. Im Dezember 2013 übernahm er den Trainerposten beim SV Mattersburg und schaffte den Klassenerhalt in der Ersten Liga sowie in der folgenden Saison den Aufstieg in die Bundesliga. Ende 2016 stand der Verein auf einem Abstiegsplatz, Vastic wurde entlassen. Seit Februar 2018 ist er Trainer der U16-Mannschaft des FK Austria Wien.
Von 1. bis 5. Juli 2019 veranstaltet Ivica Vastic in Bad Vöslau ein Fußballcamp für Kinder zwischen sieben und 14 Jahren. Info und Anmeldung: