Noch knapp zwei Jahre läuft »Horizon 2020«, das EU-Förderprogramm für Forschung und Innovation. Österreichische Unternehmen und Forschungseinrichtungen konnten bereits mehr als eine Milliarde Euro an Fördergeldern einstreifen. Rund 20 Milliarden Euro werden noch vergeben.
Horizon Europe
Das Nachfolgeprogramm von »Horizon 2020« läuft von 1. Jänner 2021 bis 31. Dezember 2027. Weiterhin wird der gesamte Forschungs- und Innovationskreislauf unterstützt, allerdings sollen Bürgerinnen und Bürger stärker eingebunden und der positive Nutzen der Projekte – etwa durch Fortschritte im Gesundheits- oder Umweltbereich – deutlicher kommuniziert werden. Dazu dienen auch »Missionen« mit klar definierten Zielen, z.B. plastikfreie Meere.Insgesamt ist ein Budget von 100 Milliarden Euro vorgesehen.
Das Programm ist in drei Säulen strukturiert – Open Science, Globale Herausforderungen und industrielle Wettbewerbsfähigkeit sowie Open Innovation. Darüber hinaus soll der europäische Forschungsraum gestärkt werden. Statt der bisherigen Schwerpunkte Industrielle Technologie und Gesellschaftliche Herausforderungen gibt es künftig fünf thematische Cluster, die inter- bzw. transdisziplinär ausgerichtet sind und auch die Geistes-, Sozial- und Kulturwissenschaften einschließen.
Unter 1.644 Bewerbungen schafften es im vergangenen Juli drei österreichische Projekte an die Spitze. In der Tranche der sogenannten Phase 2, die Erprobung, Pilotierung und Scale-up von Innovationen fördert, wurden 113 Millionen Euro an 65 Unternehmen oder Forschungseinrichtungen ausgeschüttet – darunter die Start-ups Symptoma und Easelink sowie der Österreich-Ableger der deutschen PyroScience, die an einer Sensortechnologie zur ökologischen Überwachung der Ozeane arbeitet.
Die in Oberösterreich angesiedelte Firma Symptoma wurde 2016 als »Google für Ärzte« mit der TV-Show »2 Minuten 2 Millionen« bekannt. Mittels einer Suchmaschine, in die Symptome eingegeben werden, ist insbesondere bei komplexen oder seltenen Krankheitsbildern schneller und präziser eine Diagnose möglich. Das Grazer Start-up Easelink hat sich die Serienproduktion einer kabellosen, wartungsfreien Ladelösung für Elektrofahrzeuge als Ziel gesetzt und kooperiert mit dem chinesischen Autokonzern Great Wall Motors.
Schon im April konnten sich die Wiener Firma Viewpointsystem, die mit »Digital Iris« eine interaktive Datenbrille entwickelt hatte, sowie das Aerospace-Startup Enpulsion, das eine Satellitenantriebsproduktion in Wiener Neustadt eröffnete, über Kapitalzuschüsse von 2,3 bzw. 1,2 Millionen Euro freuen. Insgesamt haben österreichische Unternehmen und ForscherInnen bislang 1,06 Milliarden Euro aus dem seit 2014 laufenden EU-Programm »Horizon 2020« eingeworben.Mit einem Gesamtvolumen von 77,2 Milliarden Euro ist es weltweit das größte Förderprogramm für Forschung und Innovation.
Gemessen an den Anträgen mit positiver Förderentscheidung behauptet sich Österreich hinter Belgien und gleichauf mit Frankreich unter den Top 3, wie Henrietta Egerth, Geschäftsführerin der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft FFG, betont: »Bei der Erfolgsquote gehört Österreich zu den drei stärksten Ländern in Europa und liegt deutlich über dem Durchschnitt der anderen Staaten.«
17,1 % der österreichischen BewerberInnen konnten mit ihren Projekten überzeugen, der europäische Durchschnitt beträgt 14,7 %. Die FFG unterstützt als nationale Kontaktstelle mit persönlicher Beratung, Proposal Checks, Webinaren und Interviewtrainings.
In der Champions League
Besonders erfolgreich präsentierten sich Österreichs Unternehmen bei Bewerbungen um die KMU-Förderungen im Rahmen von »Horizon 2020«. In der Ende Oktober 2018 abgeschlossenen Runde der Phase 1 stammten unter den 246 ausgewählten Unternehmen elf aus Österreich. »Das ist ein Rekordergebnis und erfreulicher Beleg dafür, dass heimische Unternehmen in der Champions League spielen«, zeigte sich FFG-Chefin Egerth begeistert.
In der Phase 1 des KMU-Instruments werden Unternehmen mit 50.000 Euro für die Erstellung eines Geschäftsplans, einer Machbarkeitsstudie sowie Partnersuche unterstützt; die Maßnahme richtet sich gezielt an Klein- und Mittelbetriebe, die neue Produkte und Dienstleistungen mit disruptivem Potenzial auf den Markt bringen wollen.
Der finanzielle Rückhalt ist wichtig, jedoch für viele Unternehmen nicht ausschlaggebend, wie eine Analyse der Wirtschaftskammer Österreich ergab. Die Vernetzung mit Partnern in anderen EU-Staaten bringt wichtige Impulse, Wissen und Kompetenzen lassen sich auf diese Weise effizienter bündeln. Kosten und Risiken für größere Innovationsvorhaben werden somit geteilt – ein nicht unwesentlicher Aspekt, erweisen sich doch nicht alle Forschungsprojekte letztlich als so bahnbrechend, wie zunächst erhofft.
Lena Tsipouri, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Athen und Beraterin mehrerer EU-Institutionen, tritt generell für mutigere Ansätze ein und nimmt auch die zuständigen Einrichtungen in die Pflicht. Mit dem Rückhalt der EU-Förderung würden die Unsicherheiten ohnehin abgefedert: Gehe man immer auf Nummer sicher, sinke auch die Wahrscheinlichkeit disruptiver Entwicklungen.
Der administrative Aufwand für die Einreichung und das Monitoring verschlingt einiges an Ressourcen. Dennoch sollten gerade innovative Klein- und Mittelbetriebe diese Chance nützen. Unterstützt durch die Experten der FFG und der Wirtschaftskammer bzw. spezialisierter Berater ist das Procedere durchaus zu meistern.
»Innerhalb von Horizon 2020 gibt es spezifische Programme, wie z.B. das KMU-Instrument, die nur für Klein- und Mittelunternehmen verfügbar sind«, verweist Javier Calvet-Stoffel, Managing Director bei m27 Finance, auf die von der EU konkret angesprochene Zielgruppe. Die Ausschreibungen für die letzten Finanzierungsrunden laufen bereits. 20 Milliarden Euro werden noch vergeben.
Fortsetzung folgt
Das Nachfolgeprogramm »Horizon Europe« ist bereits auf Schiene. In den letzten Wochen der österreichischen EU-Ratspräsidentschaft einigten sich die Wissenschaftsminister der Mitgliedsstaaten auf die grundsätzlichen Rahmenbedingungen. Das Gremium stellt eine Aufstockung des Budgets in Aussicht, bis 2027 sind Investitionen in Höhe von 120 Milliarden Euro vorgesehen.
Eine neue Struktur, vereinfachte Richtlinien und zusätzliche »Missionen« sollen die Forschungsaktivitäten der EU vorantreiben. »Der größte Budgettopf von Horizon Europe wird den globalen Herausforderungen gewidmet sein«, sagt Wissenschaftsminister Heinz Faßmann. »Das ist eine Chance für unsere Hochschulen und Unternehmen, sich in den Missionen und Partnerschaften strategisch zu positionieren.«
Forschung ist nichts für den Elfenbeinturm, sondern geht über die Schaffung neuen Wissens hinaus. Lena Tsipouri, Wirtschaftsprofessorin an der Universität Athen und Beraterin mehrerer EU-Institutionen, strich bei einem Wien-Besuch im vergangenen Herbst die »Herausforderungen für die angewandte Forschung und Verwertung von Forschungserkenntnissen« hervor: »Die Programme haben verschiedene Forschungsteams und damit das verteilte Wissen innerhalb der EU zusammengebracht.«
Künftig soll noch stärker der Nutzen für Bürgerinnen und Bürger hervorgehoben werden. Im Mittelpunkt der erwähnten »Missionen« stehen Forschungsbereiche mit öffentlichem Fokus, wie beispielsweise der Kampf gegen Krebs und Ebola oder Maßnahmen für plastikfreie Ozeane. Diese zielen bewusst nicht auf wirtschaftliche Interessen ab, sondern auf die Lösung gesellschaftlicher Probleme.
Das Konzept dafür hatte die Wirtschaftswissenschafterin Mariana Mazzucato Anfang 2018 präsentiert. Sie nannte als Vorbild die 1961 getätigte Vorgabe des damaligen US-Präsidenten John F. Kennedy, bis Ende des Jahrzehnts einen Menschen auf den Mond zu bringen. Die EU-Kommission verfolgt mit dem Vorhaben, bis 2030 bei Kunststoffen eine Recyclingquote von 50 % zu erreichen, bereits ein ähnlich ambitioniertes Ziel.
Auch die bisher vernachlässigten Geistes- und Kulturwissenschaften bekommen künftig mehr Aufmerksamkeit und Geld: 300 Millionen Euro fließen in die Schaffung einer europäischen Plattform für Kulturerbe, um Museen und KünstlerInnen die Digitalisierung ihrer Werke zu ermöglichen.
Brexit als Fragezeichen
Schwierig könnte es infolge eines »No Deal«-Brexits werden. Verabschieden sich die Briten am 30. März ohne Austrittsvertrag und damit ohne Übergangsfristen von der Europäischen Union, wären davon auch laufende und geplante Projekte im Rahmen von »Horizon 2020« betroffen.
Das Vereinigte Königreich gilt dann als Drittstaat, mit ähnlichem Status wie ein außereuropäischer Industriestaat und verliert somit auch den Anspruch auf EU-Förderungen. Großbritannien ist nach Deutschland der zweitgrößte Förderempfänger, zahlte aber ungleich mehr in den EU-Haushalt ein. Zum Start des Nachfolgeprogramms »Horizon Europe« könnte sich nun ein jährliches Finanzierungsloch von neun bis zwölf Milliarden Euro auftun.
Auch in Hinblick auf den hohen wissenschaftlichen Wert sucht die EU deshalb nach einer Neuregelung der Beteiligung von Drittstaaten, die eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Oxford, Cambridge und anderen Spitzenuniversitäten sicherstellen soll. Ähnliche Vereinbarungen gibt es bereits mit Partnern aus Norwegen, Israel und der Schweiz.
Der deutsche EU-Abgeordnete Christian Ehler, verantwortlich für die Prozessabwicklung von »Horizon Europe«, zeigt sich überzeugt: »Wir müssen alles tun, um die Briten in der europäischen Forschung zu halten.« Der Zeitplan ist ohnedies ambitioniert: Bis zur Europawahl im Mai 2019 soll es grünes Licht für das Programm geben.
Beispiele
Grüner Edelstahl
Das Beizen wird in der Edelstahlindustrie eingesetzt, um Verunreinigungen zu entfernen und korrosionsbeständiges Material zu gewinnen. Pro Stunde werden etwa 300.000 Liter Säure für die Beizung verwendet, was zu hohen Kosten für Entsorgung oder Regeneration führt. Dem Klosterneuburger Start-up Sustec gelang es, ein nachhaltiges Verfahren zu entwickeln, das Ressourcen spart und negative Umweltauswirkungen deutlich reduziert.
Die patentierte REGMAX-Technologie überzeugte auch im Pitching für »Horizon 2020«. »Investitionen für Green-Tech-Unternehmen sind noch selten«, sagt Gründer Fabian Storek. »Da jeder weiß, wie hoch kompetitiv das KMU-Instrument ist, hat die Förderzusage wesentlich beigetragen, auf europäischer Ebene Vertrauen in unsere Lösung zu schaffen.«
Angedockt
Das Grazer Start-up Easelink will das Aufladen von Elektroautos revolutionieren. Mit der selbstentwickelten Technologie »Matrix Charging« werden Fahrzeuge vollautomatisch und ohne Ladekabel aufgeladen. Die Stromzufuhr erfolgt über robuste metallische Kontaktflächen am Parkplatz, mittels eines Konnektors am Unterboden wird das Auto mit dem Stromkreis verbunden – ohne Ladesäule und ohne Kabelsalat. Erster Kooperationspartner ist der Premium-Hersteller WEY, eine Tochter des chinesischen Konzerns Great Wall Motors. Inzwischen hat auch BMW angedockt: Für die Münchener Mobilitätsmesse »eMove 360« wurde ein i3-Modell mit der steirischen Ladetechnik ausgestattet.
Digital Iris
Der Wiener Firma Viewpointsystem gelang es mit der »VPS 19«-Datenbrille, Eye Tracking und biometrische Daten zu verknüpfen. Das Blickverhalten des Trägers wird in Echtzeit interpretiert. Die Person kann Textinformationen oder Menüpunkte, die im Sichtfeld dargestellt sind, mit den Augen oder der Stimme steuern. Darüber hinaus nimmt die Datenbrille aber auch menschliche Empfindungen wie Stress, Ermüdung oder räumliche Desorientierung wahr und erkennt, ob ein Objekt oder eine wichtige Information im Sichtfeld nicht wahrgenommen wird.
»›Digital Iris‹ wird die Interaktion zwischen Mensch und Maschine auf ein neues Level bringen«, ist CEO Nils Berger überzeugt. Rund eineinhalb Jahre nach der Markteinführung des ersten Systems zählt das Unternehmen schon mehr als 70 Kunden in vier Branchen. Im Vorjahr konnten die Wiener zum zweiten Mal den begehrten US-Preis »CES Innovation Honoree Award« einheimsen. Mit 2,3 Millionen Euro gab es zudem die höchste Fördersumme, die an ein österreichisches Unternehmen im Rahmen von »Horizon 2020« vergeben wurde.
Suchmaschine
Der Oberösterreicher Jama Nateqi startete bereits mit 16 die Online-Plattform Matheboard. Weitere Bildungsportale mit mehr als zwei Millionen Zugriffen monatlich folgten. Als fertiger Mediziner entwickelte er gemeinsam mit Thomas Lutz eine Suchmaschine, die 2016 als »Google für Ärzte« mit der TV-Show »2 Minuten 2 Millionen« in der Öffentlichkeit bekannt wurde.
Symptoma wurde 2017 als eines der 50 besten Unternehmen in der EU ausgezeichnet. Medizinisches Personal erhält anhand der Krankheitssymptome und weiterer Informationen über den Patienten einen systematischen Überblick über mögliche Diagnosen. Vor allem seltene Krankheiten können mit Symptoma leichter erkannt werden, sind doch Ärzte meist nur mit 500 bis 1.000 von rund 20.000 verschiedenen Krankheiten vertraut.