Sie besitzt mehr Dirndln, als das Jahr Tage hat, und gilt als »Grande Dame der Tracht«. Politisch ordnet sich Unternehmerin Gexi Tostmann seit jeher »eher links« ein. Im Report(+)PLUS-Interview erzählt sie, wie sie die Samstagöffnung durchsetzte und warum sie die Tracht nicht den Rechten überlassen will.
(+) plus: Sie erreichten in einer von den Oberösterreichischen Nachrichten initiierten Wahl zur »Ikone der Volkskultur« den dritten Platz. Fühlen Sie sich als solche?
Gexi Tostmann: Nein, aber ich bin recht stolz, dass ich überhaupt nominiert wurde und in die Endrunde gekommen bin. Ich war ja völlige Außenseiterin. Das sind eher konservative Kreise und ich bin doch sehr offen für alles Neue.
(+) plus: Sie haben ja in Wien studiert, das war vielleicht schon ein erstes Ausbrechen aus dieser Welt. War es trotzdem klar, dass Sie ins Familienunternehmen eintreten?
Tostmann: Ich wollte das immer. Aber ich habe zwei linke Hände und war sogar vom Handarbeitsunterricht befreit, weil ich die arme Lehrerin zur Raserei brachte. Meine Eltern meinten, Wirtschaft müsse ich nicht studieren. Ein Unternehmen zu führen, sei nämlich ganz einfach, wenn man folgende Regeln befolgt: nicht mehr ausgeben als einnehmen, korrekt abrechnen, die Mitarbeiter wertschätzen. Das Studium der Volkskunde hat mich mit viel Begeisterung erfüllt, weil es viele Interessen anspricht. Damals war das Thema noch recht verpönt und teilweise von brauner Ideologie besetzt, wie die Tracht auch.
(+) plus: Wie sehen Sie diese politische Vereinnahmung der Tracht?
Tostmann: Die Tracht ist Teil der Volkskultur, die man nicht der rechten Seite überlassen darf. Das gelingt manchmal besser, manchmal weniger. Die Grüne Abgeordnete Alev Korun zog zu einer Parlamentsdebatte einmal ein Dirndl an und wurde von der Kronen Zeitung so böse verhöhnt, dass man sich genieren musste.
(+) plus: Die Südtiroler Volkskundlerin Elsbeth Wallnöfer sagt, die Nazis hätten die Tracht »erneuert«. Gertraud Pesendorfer ließ als Reichsbeauftragte für das Trachtenwesen die Schnitte überarbeiten, häufig wird bis heute nach diesen Vorlagen gearbeitet. Auf welche Tradition berufen Sie sich?
Tostmann: Pesendorfer war auf ihre Art genial, weil sie die historischen Trachten, die eigentlich nicht mehr tragbar waren, reduziert hat. Im Salzkammergut passierte das schon viel früher, das übersieht Elsbeth Wallnöfer mit ihren Südtiroler Wurzeln: weg vom geschnürten Mieder, nicht ganz so locker, wie es Emilie Flöge mit ihrem Reformkleid propagierte, aber ein typisch ländliches Kleid. Zu den ganz alten Schnitten zurückzukehren, wäre der Todesstoß gewesen.
Bei den erneuerten Trachten werden natürlich die Schnitte der Gertraud Pesendorfer als Vorlage genommen. Ich halte mich an die Dirndln meiner Urgroßmutter und Großmutter. Mit Emilie Flöge, ihrer Nachbarin am Attersee, waren sie zwar befreundet, aber das Reformkleid war ihnen doch ein bisschen zu outriert.
Bilder: Bei Tostmann Trachten wird damals wie heute Wert auf exquisite Handwerkskunst gelegt. Sarah Wiener (oben) und die Modedesigner Vivienne Westwood (unten) und Andreas Kronthaler zählen zu den prominentesten Fans.
(+) plus: Eigentlich könnte Ihnen der gegenwärtige Modetrend ganz recht sein – wäre da nicht die asiatische Billigware beim Diskonter ...
Tostmann: Diese Modedirndln sind vielleicht volkstümlich, aber sie sind schiach und handwerklich schlecht gearbeitet. Außerdem widerspricht es allem, das ich am Dirndl so schätze. Der zeitlose, gute Stil ist eine Gegenbewegung zur Wegwerfgesellschaft – ökologisch, fairtrade, Naturfaser. Wir lassen vorwiegend in Österreich herstellen.
(+) plus: Echtes Handwerk wird wieder sehr geschätzt. Scheiden sich die Geister am höheren Preis?
Tostmann: Eine Kundin, die sich vor 30 Jahren ein Blaudruck-Dirndl gekauft hat, sagte damals: »Ich bin nicht so reich, dass ich mir etwas Billiges leisten kann.« Das trifft es genau: Ein Dirndl kann man bis ans Lebensende tragen. Diese Wertbeständigkeit muss man berücksichtigen. Plastikfetzen, die nach einmaligem Tragen in den Mistkübel geworfen werden und die Umwelt verschmutzen – diese Entwicklung lehne ich ab.
(+) plus: Die Modedesignerinnen Vivienne Westwood und Lena Hoschek interpretieren die Tracht in ihren Entwürfen auf eine neue Art. Freut Sie diese Öffnung?
Tostmann: Mit Vivienne Westwood haben wir schon gemeinsam gearbeitet. Man denkt sich immer, diese Modewelt passt nicht zu unserer. Aber wir passen gut zusammen.
(+) plus: Inzwischen führt ihre Tochter Anna das Unternehmen. In vielen Familienbetrieben führt der Generationenwechsel zu Konflikten. Wie verlief bei ihnen die Übergabe?
Tostmann: Die Übergabe von meiner Mutter an mich ging ganz leicht. Als Anna zur Welt kam, zog sie sich zurück und kümmerte sich in erster Linie um meine Tochter. Vor 17 Jahren habe ich dann an Anna übergeben. Sicher gibt es manchmal Konflikte, aber der gegenseitige Respekt ist wichtig. Anna hat das letzte Wort.
(+) plus: Bei »Tostmann Trachten« gaben immer Frauen den Ton an. Können Frauen tatsächlich besser führen, wie es oft heißt?
Tostmann: Wir sind schon dominante Weiber. Meine Mutter war eine emanzipierte Frau und die Anna und ich sind es natürlich auch. Das wurde uns in die Wiege gelegt. Junge Leute wissen heute oft gar nicht, wie benachteiligt Frauen früher waren. Wir hatten kein eigenes Konto, durften ohne Einwilligung des Ehemanns nicht arbeiten und für die Kinder nicht eigenständig Entscheidungen treffen. Ich habe nie geheiratet, weil ich mir das gar nicht antun wollte.
(+) plus: Sie haben sich immer wieder politisch engagiert, u.a. gegen Atomkraft und für das bedingungslose Grundeinkommen. Sie stellten Freda Meissner-Blau und den Grünen Räume zur Verfügung. Wollten Sie nie selbst kandidieren?
Tostmann: Nein, ich wollte auch nie in eine Partei. Ich war zwar schon in der Volksschule die »Frau Wichtig« und immer Klassensprecherin. Für Ungerechtigkeiten hatte ich ein G’spür. Natürlich ist man als 68er eher links, aber alles hat mir bei den Linken auch nicht gefallen. Am meisten hat mich geärgert, als die SPÖ verhinderte, dass die Kaiserin Zita zum Begräbnis ihrer Tochter einreisen durfte. Das geht zu weit, fand ich. Im Großen und Ganzen fühle ich mich aber den Grünen verbunden.
(+) plus: Für Ihr Engagement als Unternehmerin müsste Ihnen eher die andere Hälfte dankbar sein. Durch Ihre Klage wurde immerhin das Ladenschlussgesetz reformiert.
Tostmann: Da bin ich doch hineingerutscht! Ich fand die Diskussion so lächerlich und wollte als Test an einem Samstagnachmittag öffnen. Das haben wir in unserer Zeitung Die Mölkerstiege angekündigt. Mehr habe ich nicht gebraucht. Das war eine Aufregung! Die Gewerkschaft, die Wirtschaftskammer, die Kirche – alle drei fielen über mich her. Der Kurier bot an, die Kosten für ein Rechtsgutachten zu übernehmen und fragte mich, ob ich mitspielen würde.
Ich ließ also das Geschäft offen und bekam noch ein paar Anzeigen. Damit ging ich zum Verfassungsgerichtshof und setzte den langen Samstag durch. Es hat mir Spaß gemacht, aber eigentlich interessiert mich das Thema nicht sehr. Es betrifft zwar ein Grundrecht auf freie Berufsausübung, doch Hainburg fand ich damals schon wichtiger.
(+) plus: Die Sonntagsöffnung haben Sie deshalb nicht angestrebt?
Tostmann: Einmal wollten sich japanische Kundinnen für einen Empfang bei Bürgermeister Zilk Dirndln ausborgen. Also erkundigte ich mich bei der Kammer, ob ein Leihgeschäft überhaupt erlaubt wäre. Wissen Sie, was mir der Berater sagte? Ich dürfte rund um die Uhr verleihen, sogar mit Mitarbeitern, und brauche dafür nicht einmal einen Gewerbeschein. Der Verleih kann gegen Einlage erfolgen, und wenn das Dirndl nicht zurückgegeben wird, kann ich den Betrag nach sieben Jahren aktivieren: Sieben Jahre wären die Einnahmen also unversteuert.
Ich habe an den Verfassungsgerichtshof daraufhin eine Karte geschickt, sie könnten mit meiner Klage verfahren, wie sie wollen. Ich würde jetzt einen Verleih anmelden und wäre damit ohnehin ungebunden. Die Sympathie der Juristen hatte ich großteils auf meiner Seite. Unter den Politikern gibt es kaum Idealisten.
(+) plus: Politiker in Tracht – beobachten Sie das mit Skepsis?
Tostmann: Bei Haider war das ganz klar eine Inszenierung. Er hatte hinten im Auto mehrere Anzüge und zog sich je nach Anlass schnell um. Einige Regierungsmitglieder sind bei uns Kunden, auch die Aristokratie. Mir ist das recht. Da bin ich wahrscheinlich zu sehr Unternehmerin. Egal welche politischen Werte ich vertrete – die Dirndln werden wir hoffentlich immer verkaufen.
(+) plus: Gibt es Anlässe, zu denen Sie nicht in Tracht erscheinen würden?
Tostmann: Ich habe fast immer ein Dirndl an, aber aus Faulheit. Oft habe ich keine Zeit zum Umziehen. Dann nehme ich halt einfach die schwarze Jacke und eine dunkle Schürze. Das fällt gar nicht auf. Vor vier Jahren habe ich außerdem zu rauchen aufgehört und zehn Kilo zugenommen. Seither passt mir nichts anderes.
(+) plus: Wie viele Dirndl haben Sie?
Tostmann: Sie kennen nicht die erfolgreichste Ausstellung der Firma Tostmann? In einem TV-Interview wurde ich gefragt, wie viele Dirndln ich besitze. Da sagte ich, ich könnte ein Jahr lang jeden Tag ein anderes anziehen. Eine Freundin von mir wollte das nicht glauben. Also suchte ich überall meine Dirndln zusammen.
Die wurden gewaschen, gebügelt und im Keller aufgehängt. Es waren weit über 365. Zu jedem Jahrzehnt habe ich ein bisschen über den Hintergrund des Dirndls erzählt und was in dieser Zeit gerade in der Trachtenmode los war. Weil das Interesse so groß war, machten wir eine Ausstellung, zu der 10.000 Besucher kamen. So etwas gibt es nie wieder – obwohl, vielleicht zeige ich sie doch noch einmal.
Zur Person
Gesine Maria Tostmann wurde 1942 als Tochter des Hamburger Juristen Jochen Tostmann und der Linzerin Marlen Tostmann, Absolventin der Modeklasse an der damaligen Kunstgewerbeschule in Wien (heute: Universität für Angewandte Kunst), geboren. Die Eltern begannen 1949 in Seewalchen mit der Herstellung von Trachten. Geschäfte in Vöcklabruck und Wien folgten.
»Gexi« Tostmann studierte Volkskunde und Geschichte und promovierte 1967 über die »Wechselwirkung von Tracht und Mode in Österreich«. Danach übernahm sie das elterliche Unternehmen »Tostmann Trachten«; seit 2004 führt ihre Tochter Anna Tostmann-Grosser den Betrieb, der im Stammhaus Seewalchen und in Wien rund 130 Mitarbeiter beschäftigt.
Gemeinsam mit ihrer Tochter initiierte sie die Auszeichnung »Botschafter der Tracht«, die alle zwei Jahre verliehen wird. 1980 gründete Tostmann den »Kulturverein Mölkerstiege« und veranstaltet in den Kellergewölben des Wiener Geschäftes seither Ausstellungen und Lesungen. Seit 2000 ist sie als Beirat im Vorstand der Volkskultur Niederösterreich tätig. 2015 eröffnete in Seewalchen Tostmanns »Bandlkramerey«, die ein Café und ein Museum beherbergt.