Sonntag, Juli 21, 2024
»Sanktionen sind eine politische Entscheidung«

Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer sieht Österreich als Brückenbauer in schwierigen Zeiten. Er ist zuversichtlich, dass sich die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA und Russland wieder entspannen werden.

(+) plus: Österreichs Exportwirtschaft verzeichnete im Vorjahr ein Rekordergebnis. Bereitet Ihnen das dennoch deutlich gestiegene Außenhandelsdefizit Sorgen?

Harald Mahrer: Keineswegs. Bei einem Außenhandelsdefizit muss man sich auch die Ursachen dafür anschauen. Würde es an gesunkenen Exporten liegen, dann wäre ich beunruhigt. Es sind aber gleichzeitig die Exporte deutlich gestiegen. Das Außenhandelsdefizit geht daher in erster Linie auf gestiegene Importe zurück, und florierende Importe sind immer auch ein Zeichen von starkem Konsum und guter Konjunktur.

(+) plus: Zweitwichtigstes Exportland sind die USA. Sind Auswirkungen des Handelsstreits bereits für österreichische Unternehmen spürbar?

Mahrer: Jedes Handelshemmnis ist eine Belastung für exportorientierte Unternehmen, gerade in einem exportorientierten Land wie Österreich, das sechs von zehn Euro mit dem Ausland erwirtschaftet. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass es nach dem Treffen von Kommissionspräsident ­Jean-Claude Juncker mit US-Präsident Donald Trump im Juli wieder eine Entspannung in den transatlantischen Wirtschaftsbeziehungen gibt. Wichtig ist auch, dass die angedrohten Strafzölle auf Autoimporte in die USA wieder vom Tisch sind.

(+) plus: Auch Russland ist ein wichtiger Handelspartner Österreichs. Ihr Vorgänger Christoph Leitl bezeichnete die EU-Sanktionen als »unsinnig«. Wie stehen Sie dazu?

Mahrer: Sanktionen sind eine politische Entscheidung. Die Wirtschaft funktioniert nach einem anderen Maßstab. Die österreichische und die russische Wirtschaft verbindet eine langjährige Beziehung, die von einem vertrauens- und respektvollen Umgang geprägt ist. Wir haben als österreichische Wirtschaft die Funktion eines Brückenbauers zwischen Russland und Europa – das gilt auch und gerade in schwierigen Zeiten.

(+) plus: Die Verhandlungen zwischen der EU und Großbritannien verzögern sich zusehends. Halten Sie einen geordneten Brexit noch für möglich?

Mahrer: Klar ist, dass alle Beteiligten – die EU und auch das Vereinigte Königreich – allergrößtes Interesse an einem geordneten Brexit haben müssen. Für Unternehmen, die in Großbritannien tätig sind, ist es jedenfalls notwendig, Vorbereitungen zu treffen – wie auch immer der Brexit in der Praxis dann aussehen wird. Als Wirtschaftskammer bieten wir den Betrieben zielgerichtete Infos und Services an.

(+) plus: Sehen Sie in Österreichs EU-Ratspräsidentschaft eine Gelegenheit, die europäische Wirtschaftspolitik mitzugestalten?

Mahrer: Natürlich bietet die Ratspräsidentschaft die Chance, Europa aktiv mitzugestalten und vor allem zukunftsfit zu machen. Neben den großen Themen wie Migration und dem Verhandlungsfinale zum Brexit stehen während unserer Präsidentschaft ja auch wichtige Wirtschaftsthemen auf der Agenda – vom digitalen Binnenmarkt bis hin zur Vertiefung der Euro-Zone. Dass Fortschritte in der europäischen Zusammenarbeit für unser Land essentiell sind, zeigt allein ein Blick auf die Zahlen: Mehr als 70 Prozent der österreichischen Exporte gehen in die EU. Europa ist also der mit Abstand wichtigste Exportmarkt für uns.

(+) plus: Als Wirtschaftsminister hatten Sie sich für das Thema Digitalisierung stark gemacht. Wie fit ist die digitale Infrastruktur der heimischen Betriebe? Woran fehlt es noch?

Mahrer: Österreichs Unternehmen sind auf gutem Weg. In manchen Branchen müssen wir öfter Neues ausprobieren und uns auf die Digitalisierung einlassen. Mut zum Risiko – eine klassische Unternehmereigenschaft – ist gerade in Zeiten der Veränderung wichtig. Denn nur wenn wir die Chancen der Digitalisierung nützen, werden wir im globalen Rennen um die Innovationsführerschaft ganz vorne dabei sein.n

Meistgelesene BLOGS

Firmen | News
25. März 2024
Die Arbeitswelt befindet sich im Wandel und Künstliche Intelligenz (KI) spielt dabei eine entscheidende Rolle. Unternehmen weltweit erkennen zunehmend die Bedeutung von KI für ihre Produktivität und W...
Andreas Pfeiler
27. März 2024
Die Bundesregierung hat ein lang überfälliges Wohnbauprogramm gestartet. Ausschlaggebend dafür war ein Vorschlag der Sozialpartner, der medial aber zu Unrecht auf einen Punkt reduziert und ebenso inte...
Redaktion
09. April 2024
Die Baubranche befindet sich gerade in einem riesigen Transformationsprozess. Dabei gilt es nicht nur, das Bauen CO2-ärmer und insgesamt nachhaltiger zu gestalten, sondern auch Wege zu finden, wie man...
Firmen | News
27. Mai 2024
Die Zeiten, in denen man eine Bankfiliale besuchen musste, um sich über finanzielle Produkte zu informieren, sind längst vorbei. Heute, in einer Ära, in der praktisch jede Information nur einen Klick ...
Fujitsu
05. April 2024
Die IT-Landschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Früher dominierten zentralisierte Rechenzentren, ein neuer Trend favorisiert nun aber eine verteilte IT-Infrastruktur. Diese erstreckt...
Bernd Affenzeller
02. Juni 2024
Am 9. Juni findet in Österreich die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Überschattet wird der Wahlkampf derzeit von Vorwürfen gegen die grüne Kandidatin Lena Schilling. Trotz der heftigen Turbulenz...
Marlene Buchinger
21. April 2024
Derzeit gibt es Unmengen an Schulungsangeboten und ESG-Tools schießen wie Pilze aus dem Boden. Anstelle das Rad neu zu erfinden, lohnt es sich bestehende Strukturen zu neu zu denken. Herzlich Willkomm...
Alfons A. Flatscher
02. Juni 2024
Elon Musk, Tesla-Gründer und Twitter-Eigner, ist immer gut für Sager. Jetzt wurde er gefragt, wer denn im November die Präsidentenwahlen gewinnen werde: Biden oder Trump? Er habe keine Ahnung, antwort...

Log in or Sign up