Die Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) ist gerade dabei, Verwaltungsabläufe und den Zugang zu Leistungen zu vereinfachen. Generaldirektor Hans Aubauer spricht über das Verschmelzen von Kanälen, Automatisierung und die Strukturreform der Träger.
(+) plus: Was bedeutet die Digitalisierung für die Branche der Sozialversicherungen und insbesondere für die SVA?
Hans Aubauer: Wir haben das unglaublich schöne »Produkt« soziale Sicherheit, dessen Bedeutung eigentlich über Jahrhunderte konstant geblieben ist. Dessen Treffsicherheit allerdings kann mit der Digitalisierung noch deutlich besser werden.
Ein simples Beispiel: Früher wurde ein Pensionsanspruch in vier Zentimeter dicken Papierakten im Keller gespeichert. Die Versicherten mussten Dokumente in Papierform einbringen. Mit dem Scannen des Posteingangs sind nun alle Informationen bundesweit abrufbar. Das Verschmelzen unterschiedlicher Kundenkanäle mit einem einheitlichen Workflow-System und auch neuen Onlineservices ist damit nicht nur Theorie, sondern im echten Leben angekommen – seit Juni nun erstmals vollständig in den ersten Landesstellen in Kärnten und Steiermark. Die weiteren Landesstellen der SVA folgen nun.
Unsere Online-Kundenzone nennen wir übrigens unsere »zehnte Landesstelle«. Wir möchten den Kunden bis 2020 online und damit orts- und zeitunabhängig alle unsere Standardservices zur Verfügung stellen – und für sie zur modernsten und schnellsten Serviceeinrichtung für soziale Sicherheit der Selbstständigen in Europa werden.
Unser nächster Schritt in diese Richtung ist, das gesamte Wissen über unsere Kunden an einer Stelle in einem CRM (Anm. Customer Relationship Management) zu aggregieren. Es gilt, von den klassischen Datensilos wegzukommen. Zwar gibt es weiterhin eigene Bereiche etwa zu Pensions- und Pflegegeld, Gesundheitsservices oder den Beiträgen, die Versicherten möchten aber nicht in diesen Kategorien denken.
(+) plus: Können Sie das an einem Beispiel festmachen?
Aubauer: Unser Ziel ist, bei einem Anruf auch für die verschiedenen Berufsgruppen geeignete Präventionsangebote und Services bei der Hand zu haben. Das heißt: Über das Erfüllen einer Grunderwartung bei einem Kundenkontakt – ein Anruf passiert in den meisten Fällen aufgrund eines Problems oder einer offenen Frage –, schaffen wir hinaus eine emotionale, positive Interaktion. Davon haben alle etwas: Die Kundinnen und Kunden werden besser beraten, sie nähern sich uns aktiver und die Teilnahmeraten an den Präventionsprogrammen gehen nach oben. Die Reise dorthin fängt aber erst an.
(+) plus: Wieso hat dies so lange gedauert, Geschäftsstellen auf einen rein digitalen Dokumentenlauf umzustellen?
Aubauer: Das hat mehrere Gründe. Wir sind strikt an das öffentliche Vergaberecht gebunden. Alleine die Zeitspanne von der Entscheidung einer Beauftragung eines Scandienstleisters bis zum vollen Durchlauf des Vergabeverfahrens beträgt fast ein Jahr.
Wenn wir die Transformationen zurückrechnen: Ich bin im Oktober 2014 zur SVA gekommen und habe im persönlichen Kontakt mit allen Landesstellen Feedback, Ideen und Verbesserungsvorschläge aufgenommen. Es war klar, dass wir in manchen IT-Bereichen wie etwa dem Kernsystem erheblich unterinvestiert waren. 2015 hatten wir dann begonnen, grobe Handlungsfelder zu definieren. Die Abhängigkeiten dieser Felder untereinander – von maroden Bausubstanzen bis zu Herausforderungen in der IT-Sicherheit und einer Kernsoftware, die nicht onlinefähig war – waren aber so groß, dass wir mit Einzelprojekten kaum etwas erreicht hätten.
Mit dem Beginn der neuen Funktionsperiode vor zwei Jahren wurde dann das Digitalisierungsprojekt ›SVA2020‹ gestartet. Das beinhaltet zunächst einfach anmutende Projekte wie die Migration von Office 2003 auf Office 2016, was bei großen Organisationen aber nicht zu unterschätzen ist. Ebenso wurden bei den Führungskräften mobile Geräte von Blackberrys auf iPhones getauscht. Man muss hier dosiert vorgehen, wissen, was die Organisation verdauen kann. Als ich gekommen bin, haben wir erstmals Telefonkonferenzen eingeführt.
Die Ablöse eines Kernsystems wie unserem, das noch in Cobol geschrieben wurde, braucht Zeit, die wir nun mit mehreren Entwicklerteams stark reduzieren können. Ich könnte derzeit fünf Microsoft-Entwickler einstellen, die ich aber beim herrschenden Fachkräftemangel und auch bei unserer Dienstordnung nicht bekomme. Wir haben also nicht nur im ärztlichen Bereich eine Ressourcenverknappung, sondern auch in der IT.
Es gibt schon einige besondere Rahmenbedingungen, mit denen wir umgehen müssen. Wenn Sie die Organisationen draußen fragen: Sie empfinden die Veränderungen als Sturm – jedoch als Sturm, der positive Energien frei macht.
(+) plus: In welcher Größe passieren nun diese Veränderungen?
Aubauer: Die Kernmannschaft der SVA beträgt 1.200 Leute, mit den eigenen Rehabilitations-Einrichtungen sind es 1.700 – es sind kaum Kolleginnen und Kollegen, die von der Transformation nicht betroffen sind.
Wir halten bei unseren Einrichtungen mit insgesamt 500 Kur- und Rehabilitations-Betten bewusst eine Mehrheit von 51 % in den PPP-Betriebsgesellschaften. Denn: Ein rein privater Betreiber muss bei engen Deckungsbeiträgen die Betten füllen. Er wird nicht notwendigerweise strategische Investitionen über längere Zeiträume tätigen. Hier können nun auch öffentlich-rechtliche Unternehmen bei Innovationen führend sein.
Im Neurologischen Rehabilitationszentrum Rosenhügel, das wir gemeinsam mit der Vamed AG betreiben, haben wir ein Projekt mit einem modernen Gangtrainingsgerät. Es wird nun überlegt, wie es im System integriert werden kann. Oder jemand, der aus der HerzReha Bad Ischl entlassen wird, könnte mit seinem Einverständnis so elektronisch getaggt werden, dass Kraftgeräte im Gesundheitszentrum in Wien automatisch den Patienten erkennen und selbstständig Einstellungen vornehmen. Damit wird etwas verhindert, was oft passiert: Die Patienten trainieren mit falschen Gewichten.
(+) plus: Ist dies auch der Grund, warum man mit Ihnen einen Manager aus der IT- und Dienstleistungsbranche an Bord geholt hat? Sie waren zuvor bei Accenture tätig.
Aubauer: Es ist sicherlich auch diese Mischung, persönlich würde ich aber einen größeren Wert auf die Dienstleistungsbranche legen. Von der IT versuche ich eigentlich seit meiner Ausbildung wegzukommen (lacht). Ich bin begeisterter Elektrotechniker, habe aber bewusst Betriebswirtschaft dazu gewählt. Ich bin überzeugt, dass man aus einer Managementrolle mehr gestalten und bewegen kann als aus der klassischen Technik heraus. Ich kämpfe aber massiv gegen das Bild, dass Digitalisierung gleich IT bedeutet. Viele Themen, die nur technisch gedacht werden, sind nicht erfolgreich.
Die SVA ist aber schon immer für Innovation und Weiterentwicklung gestanden. Unter dem geschäftsführenden SVA-Obmann Peter McDonald wurde der Schwenk von der Kranken- zur Gesundheitsversicherung vollzogen, der eine vitale Voraussetzung für das ist, was wir heute zu Ende denken. Wir erleben derzeit enorme Veränderungen im System, es kommt zu einer Reduktion von Versicherungsträgern. Trotzdem können wir sagen: Jeden Schritt, den wir die letzten vier Jahre gegangen sind, würden wir heute wieder so setzen. Wir denken fachlich gesamtheitlich und haben damit eine hohe Stabilität in unserer grundlegenden Strategie geschaffen.
(+) plus: Was erwartet die SVA hinsichtlich der Strukturreform der Sozialversicherungsträger?
Aubauer: Laut dem Ministerrat ist es das Ziel, die Zahl der Träger auf vier bis fünf zu reduzieren. Die SVA wird gemeinsam mit der bäuerlichen Versicherung SVB einen Allspartenträger bilden. Damit wird das berufsständische Prinzip des spezifischen Betreuens aller Selbstständigen in Österreich gesamtheitlich umgesetzt. Der wahre Wert der sozialen Sicherheit liegt darin, diese Bedürfnisse in allen drei Sparten Krankenversicherung, Unfallversicherung und Pensionsversicherung abzuholen – auch mit Wechselwirkungen, wenn Präventionen in der UV bei der Entlastung der PV helfen.
(+) plus: Die SVA betreut mit den Selbstständigen eine bislang schon sehr heterogene Klientel. Eine weitere Berufsgruppe macht wohl keinen Riesenunterscheid.
Aubauer: Die Heterogenität ist erheblich, sie reicht vom klassischen Bild des Ein-Personen-Unternehmens, Kreativberufen, Unternehmensberatern und Journalisten über alteingesessene Tischler- und Baubetriebe bis hin zu osteuropäischen Pflegekräften. Ich denke, dass es auch auf der bäuerlichen Seite so ist – vom Großbauern im Marchfeld bis zum Kleinbauern in Tirol und auch den vielen Nebenerwerbslandwirten. Ich bin überzeugt, dass wir uns hier wechselseitig befruchten und voneinander profitieren können.
Die zweite Komponente für eine weitere Entwicklung ist unser starkes Wachstum von rund 7 % pro Jahr. Das übt enormen Druck auf die Organisation aus.
Wir glauben an ein künftig noch stärkeres Bild des Selbstständigen. Unsere Versicherten müssen jeden Cent, den sie bewusst einzahlen, auch verdienen. Das macht es für uns nicht immer leicht, da wir das direkte Feedback vom Markt bekommen – aber es hilft dafür umso mehr für die Umsetzung. Unsere Kundinnen und Kunden haben nicht die Wahlmöglichkeit des Marktes. Daher ist unsere Verantwortung nochmals größer, ein Serviceverständnis zu realisieren, das unsere Klientel sagen lässt: »Sie verstehen mich. Gut, dass es Sie gibt.« Das ist unsere einzige Legitimierung.