Sonntag, Juli 21, 2024
Die Europäische Normung und ihre Folgen
Foto: Thinkstock

Seit einigen Jahren wird auf europäischer Ebene an einer harmonisierten WDVS-Produktnorm und den zugehörigen Prüfnormen gearbeitet. Ein erster Entwurf wird in Kürze vorliegen, eine Veröffentlichung wird 2020 erwartet. Die Auswirkungen auf die einzelnen Mitgliedsländer sind sehr unterschiedlich.

Um zu verstehen, warum sich die European Association for External Thermal Insulation Composite Systems (EAE), der europäische Verband der WDVS-Hersteller, seit vielen Jahren intensiv mit der europäischen Normung und EOTA beschäftigt, hilft ein Blick aus der Helikopterperspektive. Ein wesentliches Ziel der Europäischen Union ist die Verwirklichung eines europäischen Binnenmarkts. Er stellt mit 500 Mio. Einwohnern und einem Bruttoinlandsprodukt von 14,6 Billionen EUR (2015) einen der größten Wirtschaftsräume der Welt dar. Er trägt – trotz aller Turbulenzen der letzten Jahre – zu Wohlstand, Wachstum und Beschäftigung in allen Mitgliedsstaaten bei – wenngleich es nach wie vor erhebliche Unterschiede in den einzelnen Ländern gibt und auch in der Zukunft noch geben wird.

Der EU-Binnenmarkt basiert auf den vier Säulen:

  • Freiheit des Warenverkehrs
  • Freiheit des Dienstleistungsverkehrs
  • Freiheit des Kapitals
  • Freizügigkeit der Arbeitskräfte

Um diese Freiheiten und einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, bedarf es einheitlicher Rahmenbedingungen. Dabei gilt nach dem Vertrag von Lissabon das Subsidiaritätsprinzip: Auf der europäischen Ebene wird festgelegt, was am besten übergeordnet geregelt werden kann. Alles andere sollte auf nationaler oder gar regionaler Ebene gelöst werden. So trägt man historischen, traditionellen und kulturellen Identitäten Rechnung.

Dieses Prinzip spiegelt sich in der EU-Bauproduktenverordnung wider, die einen europäischen Markt für Bauprodukte schaffen soll. Die Verordnung ist im Kern also ein Handelsgesetz, das den Wettbewerb und den Warenaustausch zwischen EU-Staaten fördern soll. Dazu müssen Bauprodukte zunächst einmal vergleichbar sein, hinsichtlich der wesentlichen Eigenschaften in Bezug auf die jeweilige Anwendung. Das setzt die Festlegung dieser Eigenschaften und deren einheitliche Bewertung voraus. Beides wird für Planer und Verwender erkennbar in der Leis­tungserklärung des Herstellers und durch das CE-Zeichen. Letzteres signalisiert (übrigens nicht nur bei Bauprodukten), dass ein Produkt nach europäisch harmonisierten technischen Regeln bewertet wurde und der Hersteller die deklarierten Werte zusichert. Technische Regeln im Sinne der Bauproduktenverordnung sind europäisch harmonisierte Normen (EN) von CEN oder Europäische Technische Bewertungsdokumente (EAD) von EOTA. Damit ausgestattete Produkte dürfen europaweit transportiert und gehandelt werden, ohne weitere Nachweise.



Sinnvolle Unterschiede

Das CE-Zeichen an sich ist allerdings kein Qualitätszeichen, aus dem sich automatisch die Verwendbarkeit ableiten lässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die europäischen Regeln schlecht wären. Sie liefern nach einheitlichen Bewertungsmaßstäben ermittelte technische Daten. Denn nach dem Subsidiaritätsprinzip ist es den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen, über die Definition von Anforderungen an die Sicherheit von Bauwerken indirekt Anforderungen für die Anwendung von Bauprodukten zu stellen. Das Konzept erscheint sinnvoll, weil einerseits in Europa die Baukultur unterschiedliche Bauweisen hervorgebracht hat. Andererseits sind Bauwerke unterschiedlichen Umweltbedingungen ausgesetzt. So spielt extreme Kälte in Skandinavien oder den Alpen eine Rolle, in Teilen Südeuropas dagegen kaum. Auch die Anforderungen an den Schutz gegen Erdbeben fallen regional unterschiedlich aus. Ein weiteres prägnantes Beispiel sind die Anforderungen an den Brandschutz, weil diese u.a. auch von den Einsatzkonzepten der Feuerwehren beeinflusst werden.

Die im jeweiligen Mitgliedsstaat zu beachtenden Verwendungsregeln sind bislang bei Wärmedämm-Verbundsystemen (WDVS) sehr unterschiedlich geregelt: In Deutschland, England und Polen etwa gibt es bauaufsichtliche Zulassungen. Frankreich verfolgt im Grunde ein ähnliches Konzept, hier bescheinigen Zertifikate die Verwendbarkeit. In den zu beantragenden Dokumenten werden nicht nur die wesentlichen Eigenschaften mit Werten angegeben, sondern es erfolgt zugleich eine Bewertung, ob das Bauprodukt im jeweiligen Staat angewendet werden darf. Teils wird die Anwendung auf bestimmte Anwendungsfälle beschränkt, teils werden ergänzende Hinweise zur Planung und Ausführung eingeschlossen. Beispielhaft sei hier die Anbringung von Brandriegeln in WDVS mit Polystyroldämmstoffen in deutschen WDVS-Zulassungen genannt. Nur mit diesen erhält das WDVS die Einstufung »schwerentflammbar«. Diese Eigenschaft wird von den Landesbauordnungen der einzelnen deutschen Länder als Mindestanforderung an Fassaden von Gebäuden mittlerer Höhe (7 m < h ≤ 21 m) formuliert. Andere Staaten wie Öster­reich regeln die Verwendung von WDVS über Normen. So beschreibt die ÖNORM B6400, in überarbeiteter Form seit 1.9.2017, die Planung und Verarbeitung von WDVS.

Eine Reihe weiterer Mitgliedsstaaten hat keine Zulassungen, Zertifikate oder Normen. Hier haben die nationalen Mitgliedsverbände der EAE aber wesentlich dazu beigetragen, dass ein gutes Qualitäts- und Sicherheitsniveau erreicht werden konnte. Ein wichtiges Instrument dabei sind von den jeweiligen Verbänden herausgegebene Verarbeitungsrichtlinien für WDVS. Sie wurden aus der European Application Guideline for ETICS abgeleitet. Diese Application Guideline war ein erstes wichtiges Projekt der vor zehn Jahren gegründeten EAE. Sie stellte erfolgreich das in Ländern mit langer WDVS-Erfahrung vorhandene Know-how für Staaten bereit, in denen das WDVS erst langsam populärer wurde. Die Verarbeitungsrichtlinie unseres österreichischen Mitgliedsverbands, der ARGE QG Wärmedämmsysteme, lieferte seinerzeit wichtige Inputs.

Umstellungen nötig

Hersteller, die heute schon WDVS europaweit vertreiben wollen, können seit vielen Jahren bereits die Vorteile des CE-Zeichens nutzen. Die ETAG 004 war im Jahr 2000 das erste europäisch einheitliche Bewertungsdokument für WDVS. Auf dieser Grundlage werden seit einigen Jahren eine europäisch harmonisierte WDVS-Produktnorm und eine Reihe zugehöriger Prüfnormen erarbeitet. Die EAE und ihre Mitglieder unterstützen von Anfang an mit hohem Engagement die Fertigstellung. In Kürze wird ein erster Entwurf der Spezifikationsnorm zur Kommentierung in den EU-Staaten verteilt. Mit einer Veröffentlichung wird im Jahr 2020 gerechnet.Bis dahin werden viele Mitgliedsstaaten ihr bisheriges System der Anwendungsregelungen umstellen müssen. In Österreich wird das voraussichtlich keine größeren Änderungen erfordern, weil mit den bestehenden Ö-Normen das Instrumentarium der Anwendungsregeln bereits vorliegt. Deutschland hat die bauaufsichtlich bislang nicht relevante Verarbeitungsnorm überarbeitet und legt in der im vergangenen Jahr veröffentlichten »Musterverwaltungsvorschrift Technische Baubestimmungen« die Anforderungen an Bauwerke, heruntergebrochen auf Bauprodukte dar. Für die meis­ten Systeme gelten bis zur Veröffentlichung der EN aber noch nationale Zulassungen.

Für jene Mitgliedsländer, in denen es bisher noch keine staatlichen Mindestanforderungen für die Verwendung von WDVS gibt, will das Technical Committee der EAE nach dem Beschluss der jüngsten Sitzung in Wien Beispiele als Hilfestellung für die nationalen Mitgliedsverbände erarbeiten. Zuletzt sei noch erwähnt, dass die EAE bereits 2014 die Europäische Kommission aufgefordert hat, auch für die Bewertung des Brandverhaltens von Fassaden einheitliche Prüfmethoden zu entwickeln. Denn gerade die aufwendigen Tests sind je Land sehr unterschiedlich und erschweren europäischen Herstellern den Vertrieb ihrer Produkte über die Grenzen hinweg. Auch hier laufen inzwischen Aktivitäten, die von der EAE begleitet werden.

Zum Autor:

Ralf Pasker ist EAE-Geschäftsführer. Die EAE besteht aus zwölf nationalen WDVS-Verbänden, sechs führenden Europäischen Verbänden von Systemkomponenten und acht Fördermitgliedern. Zu diesen zählen WDVS-Hersteller, Rohmaterialhersteller und Forschungsinstitute. Die EAE repräsentiert über 80 % des europäischen WDVS-Umsatzes. Hauptziele des Verbands sind die Kommunikation der Vorteile des Einsatzes von WDVS und die Förderung der sicheren und dauerhaften Verwendung.

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