Montag, Dezember 23, 2024
Anschnallen, durchstarten
Foto: Thinkstock

Die österreichische Wirtschaft legt stärker zu als erwartet. Letzte Chance für Nachzügler, die Investitionen und Weichenstellungen für die Zukunft verschlafen haben. Neue Herausforderungen und Trends werden 2018 prägen.

Für Österreichs Wirtschaft war 2017 ein außergewöhnlich gutes Jahr. Das Wachstum betrug real 3,1 %, so viel verzeichnete man seit 2006 und 2007, also vor der Krise, nicht mehr. Mit diesem Schwung soll es 2018 weitergehen. Die Konjunkturprognosen sehen zwar eine leichte Abschwächung gegenüber dem Vorjahr, dennoch soll das BIP nach Schätzungen der Oesterreichischen Nationalbank (OeNB) neuerlich kräftig um 2,8 % zulegen. Die deutsche Wirtschaft brummt – aber »die österreichische Wirtschaft brummt stärker«, zeigt sich OeNB-Gouverneur Ewald Nowotny optimistisch über positive Entwicklung der heimischen Wirtschaftsleistung.

Heimische Produkte sind auf den Auslandsmärkten gefragter denn je. Die realen Exporte stiegen 2017 um 5,6 %. Vor allem in der CEE-Region liegt das Wachstum deutlich über dem Weltniveau. Was vor nicht allzu langer Zeit als mögliches Risiko galt, erweise sich nun, so Nowotny, als große Chance für die österreichischen Unternehmen.

Total digital

Eine tragende Säule des Aufschwungs ist die Investitionstätigkeit der Unternehmen. Erneuerungen, etwa der Maschinen, aber auch in der IT, stehen an erster Stelle. 2016 und 2017 wurde jeweils um 8 % mehr in Ausrüstungen investiert als im Jahr davor. Dieser Zyklus sei »außerordentlich stark« und werde noch etwas anhalten, so Doris Ritzberger-Grünwald, Direktorin der OeNB-Hauptabteilung Volkswirtschaft. Sie erwartet bis 2020 eine Verlangsamung des Wachstums auf 1,9 %. Statt in den Ersatz veralteter Anlagen wird zunehmend in die Erweiterung investiert.

Bild oben: DHL stattet alle Lagermitarbeiter mit Datenbrillen aus, die beim Suchen und Sortieren der Ware assistieren.

Dieser Ausbau ist auch dringend notwendig, um im internationalen Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren. Das Beratungsunternehmen Deloitte identifizierte vier Technologietrends, die weite Bereiche unseres Lebens durchdringen. »2018 wird die voranschreitende Digitalisierung durch unterschiedlichste Technologien in Alltag und Wirtschaft noch spürbarer. Zahlreiche Unternehmen in Österreich haben dies bereits erkannt und nehmen beispielsweise im Bereich Augmented Reality international eine Vorreiterrolle ein«, betont Barbara Edelmann, Partnerin bei Deloitte Österreich. Lange Zeit nur in der Gaming-Branche ein Begriff, werde sich Augmented Reality in vielen anderen Bereichen, etwa auch im Shopping durchsetzen: »Unsere Einkäufe werden wir bald virtuell austesten können. Zum Beispiel lassen sich Möbel künftig vor dem Kauf bequem via Smartphone-App in der Wohnung hin- und herschieben.«

Auch digitale Medienabonnements gewinnen zunehmend an Bedeutung. Bis Jahresende wird fast die Hälfte der Nutzer in Industrieländern über mindestens zwei digitale Medienabonnements verfügen. Neben Musikstreaming-Diensten erfreuen sich Video-on-Demand-Angebote großer Beliebtheit. Um mit der starken Technologieaffinität der Kunden Schritt halten zu können, müsse der Internetempfang, etwa in Flugzeugen, stark ausgebaut werden.

Bild oben: Robert Szvetecz, Country Manager bei Robert Half: »Der Anspruch an Führungs-kräfte steigt durch die Digitalisierung.«

Der große Entwicklungstreiber im Bereich Künstliche Intelligenz ist nach Meinung der Deloitte-ExpertInnen aber Machine Learning: Selbstlernende Systeme, die sich basierend auf Erfahrungen automatisiert programmieren, könnten auch bei mobilen Endgeräten zu einem echten Megatrend beitragen – Österreich wäre aufgrund der hohen Handydichte ein geradezu prädestinierter Markt dafür.

Smart sehen

Unternehmen tun gut daran, Künstliche Intelligenz nicht länger als Bedrohung wahrzunehmen. Während sich in den letzten Jahren alles um die quantitative Optimierung von Geschäftsprozessen drehte, steht künftig ein qualitativer Ansatz im Mittelpunkt. Intelligente Werkzeuge werden künftig nicht bloß zur schnelleren Abwicklung eingesetzt, sondern heben Arbeitsabläufe auf ein neues Qualitätslevel der Informationsgewinnung und -nutzung. Vor allem in der Koppelung mit Robotik und Virtual Reality (VR) liegt großes Zukunftspotenzial.

Der Paketlieferdienst DHL stattet seine Lagermitarbeiter mit Smart Glasses aus. Diese Datenbrillen blenden ein, wo sich der gesuchte Artikel befindet und wo die Ware in welcher Reihenfolge am besten verstaut wird. Laut DHL zeigten sich schon in Testläufen Produktivitätssteigerungen von 15 %, gleichzeitig sank die Fehlerquote. Darüber hinaus konnte der zeitliche Aufwand für die Einarbeitung halbiert werden. »Für DHL ist die Digitalisierung nicht nur eine Vision oder ein Programm, sondern Realität – eine Realität, von der wir im Betriebsalltag genauso profitieren wie unsere Kunden«, erläutert Markus Voss, Chief Operating Officer bei DHL Supply Chain.

Bild oben: Die Weltwirtschaft wächst so stark wie seit sieben Jahren nicht mehr. Für Österreich hob die OECD ihre Prognose deutlich an.

Auch die Lufthansa experimentiert mit VR-Brillen. Vom Erleben eines künftigen Urlaubsziels bis zu 360-Grad-Ansichten des Flugzeugs sind die möglichen Anwendungen recht vielfältig. Um Passagiere zu einem Upgrade zu animieren, können sie vorab mittels Spezialbrille die Premium Class erkunden. Im Rahmen von Gate-Promotions erzielte die Airline eine Steigerung der Upgrades von bis zu 50 %.

In der Air New Zealand tragen FlugbegleiterInnen Datenbrillen, die ihnen Informationen zu den Fluggästen anzeigen, während sie durch den Gang gehen: Flugziel, Nahrungsmittelallergien oder welches Getränk sie bestellt haben. In weiterer Zukunft könnten diesen Job auch Roboter erledigen – deren Einsatz im Kundenservice japanischer Unternehmen zeigten bekanntlich hohe Zufriedenheit und Akzeptanz.

Virtuell kommunizieren

KonsumentInnen sind diesbezüglich durchaus aufgeschlossen: Sprachassistenten sind einfach zu bedienen und urteilen nicht. Auch vermeintlich »dumme« oder naive Fragen werden ohne Kommentar und vor allem ohne Wartezeit beantwortet. Der Nutzer hat das Gefühl einer natürlichen Konversation.

Kaum ein Technikprodukt fand sich diesmal öfter unter den Christbäumen als der Sprachassistent Alexa. Nach Angaben von Amazon zogen Alexa-kompatible Lautsprecher millionenfach in die Haushalte ein. Sogar der Lebensmitteldiskonter Hofer naschte im Weihnachtsgeschäft mit einem Amazon-Pendant, das über Multiroom-Funktion mit anderen Lautsprechern verbunden werden kann, und einer Mixed Reality-Brille an dem Boom mit.

Bild oben: Barbara Edelmann, Partnerin bei Deloitte Österreich: »2018 wird die Digitalisierung in Alltag und Wirtschaft noch spürbarer.«

An Chatbots bei Servicestellen großer Unternehmen, die als virtuelle Assistenten Kundenanfragen bearbeiten, hat man sich bereits gewöhnt. Deren Kinderkrankheiten bei der Beantwortung und die schier unerschöpfliche Fülle an Fragen zeigen jedoch auch die Grenzen dieser Systeme: Alle Inhalte müssen manuell eingegeben werden, bei komplexen Anliegen oder einer Vielzahl an Produkten eine kaum zu bewältigende Aufgabe.

Auch hier geht also künftig nichts mehr ohne Künstliche Intelligenz. Sogenannte Conversational Platforms gehen weit über die Fähigkeiten heutiger Chatbots hinaus. Für Kunden ändert sich nicht viel: Sie stellen eine konkrete Frage und bekommen eine rasche Hilfestellung.

Damit die möglichst exakt ausfällt, arbeitet im Hintergrund ein KI-System, das mitlernt und manuelle Pflege irgendwann überflüssig macht.

Branchenkennern zufolge könnte diese Entwicklung das Ende der App-Ära einläuten. Waren früher Informationen über Produkte und Services zunächst auf der Firmen-Homepage nachlesbar, gehörten schon bald Applikationen mit zusätzlichen Funktionen zum Standardangebot. Statt sich langwierig durch Menüs zu klicken und Formulare auszufüllen, sagt man inzwischen dem Chatbot, was man wissen oder bestellen möchte. Eine Conversational Platform denkt in Zukunft sogar mit und erinnert sich an besondere Vorlieben der Kunden oder weist auf mögliche Probleme hin.

Einfach nutzen

Ebenfalls nicht mehr aufzuhalten sind Blockchain-Technologien. Je mehr Transaktionen online stattfinden, umso besser müssen Unternehmen die Daten ihrer Kunden sichern. Nach Meinung einiger Experten bekomme Cybersicherheit durch die Tatsache, dass die Kryptowährung Bitcoin und die dahinterstehende Blockchain bevorzugt von Kriminellen verwendet wird, einen neuen Schub: Wenn diese Technologie so sicher ist, dass sogar Hacker sie nutzen, warum nicht auch Unternehmen?

Sicher oder nicht sicher – daran schieden sich schon die Geister, als die ersten Cloud-Technologien den Himmel eroberten. Inzwischen sind die Vorteile einer zentralen Datenbank in der Arbeitswelt, zu der Mitarbeiter unabhängig von Zeit und Ort zugreifen können, unbestritten. Mit Fragen bezüglich Sicherheit, Handhabung oder Speicherkapazität will sich jedoch kaum ein Unternehmen intensiver befassen. Cloud-Lösungen sollen möglichst unkompliziert funktionieren, wenngleich Datensicherheit natürlich sehr wohl das beherrschende Thema der Zukunft bleiben wird.

Datensicherheit betrifft in besonderer Hinsicht auch Unternehmen, die auf Omnichannel-Vertrieb setzen. Die größere Vielfalt an Zahlungsmethoden sowie verlängerte Rücksendefristen zählen zu den wichtigsten Wachstumshebeln. Der Umsatz im Online-Handel der deutschsprachigen Länder wuchs laut »Global Omnichannel Index 2017« um mehr als 10 %. Während 2015 noch kaum Click & Collect-Angebote existierten, bietet inzwischen die Mehrheit der großen Händler die Möglichkeit, online bestellte Artikel im Laden abzuholen oder zurückzugeben.

Trotzdem ortet Harald Dutzler, Partner bei Strategy& in Österrreich, Aufholbedarf: »Der Einzelhandel muss seine mobilen Angebote unbedingt ausbauen und verbessern. Immerhin hat der Kunde auch im Geschäft das Smartphone in der Hand – die perfekte Brücke zwischen Online- und Offline-Welt.« Dafür seien Investitionen in eine IT-unterstützte Lieferkette erforderlich, um Aktivitäten beider Welten optimal zu verzahnen.

Aktiv rekrutieren

Mit der boomenden Wirtschaft bekommt das Personalproblem höchste Priorität. Die zugespitzte Lage auf dem Arbeitsmarkt wird sich 2018 nicht entspannen. Unternehmen kommen deshalb nicht daran vorbei, selbst intensiv in die Aus- und Weiterbildung ihres bestehenden Personals zu investieren. Digitalisierung muss Schwerpunkt in allen Programmen sein. Dabei geht es nicht nur darum, Mitarbeiter mit digitalen Kompetenzen auszustatten, sondern die Potenziale jedes Einzelnen hinsichtlich seiner Rolle im Transformationsprozess auszuloten.

»Der Anspruch an die Führungskräfte, Vorbild, Coach und Mentor für ihre Mitarbeiter zu sein, ist durch die Digitalisierung noch größer«, meint Robert Szvetecz, Country Manager beim Personalvermittler Robert Half in Wien. »Sie müssen die richtigen Experten mit den richtigen Projekten betrauen, Themen und Teams zusammenbringen und sie für ihre Aufgaben befähigen. Sie müssen Orientierung geben und werteorientiert führen. Sie müssen sich die technologischen Möglichkeiten zunutze machen und Transparenz und Beteiligung ermöglichen.«

Im Werben um die besten Fachkräfte ist Social Recruiting bereits im Tagesgeschäft der Personalisten angekommen. Sieben von zehn der Top-1000-Unternehmen und jedes dritte mittelständische Unternehmen bewerten den Einsatz von Xing, Facebook und Co als positiv. Jedes zweite dieser Unternehmen wartet nicht mehr bloß auf Bewerbungen, sondern spricht aktiv potenzielle KandidatInnen an.

Denn der Bewerbungsprozess an sich ist oft die Schwachstelle: Einer Studie des Karriereportals indeed zufolge haben 42 % der Befragten schon einmal das Verfahren abgebrochen, weil sich dieses zu kompliziert darstellte. Tatsächlich verlangen Unternehmen auch bei Bewerbungen über Online-Portale häufig noch vollständige Bewerbungsunterlagen samt Zeugnissen und Arbeitsproben, was sich via Handy schwierig bewerkstelligen lässt.

Gut vorstellbar, dass sich auch in diesem Bereich Chatbots durchsetzen. Statt sperrige Formulare auszufüllen, könnte das Bewerbungsgespräch mit einem Kommunikationsroboter abgewickelt werden. Der Chatbot nimmt alle relevanten Informationen auf und strukturiert sie, auch für ein kurzes Statement der KandidatInnen wäre Platz. Die Möglichkeit, sich per Videobewerbung für eine Stelle zu empfehlen, bieten derzeit nur sehr wenige Unternehmen – und sind damit Konkurrenten um den entscheidenden Klick voraus.

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