Sie haben im Wettbewerb die Nase vorn und erfinden sich selbst und ihr Kerngeschäft, wenn es sein muss, auch wieder ganz neu. Was machen die Champions der Digitalisierung besser?
Konrad Forsttechnik ist einer der Hidden Champions in Österreichs Maschinenindustrie. Der Weltmarktführer bei Forstkränen, besonders für Holzbringung in steilem Gelände, exportiert vor allem nach Japan und Chile. Seit November läuft die Produktion in Preitenegg im Lavanttal in einer »verschwendungsfreien« Fabrik: Arbeiter und Materialien, Halb- und Fertigteile bewegen sich auf kürzesten Wegen und werden immer zeitgerecht bereitgestellt.
Den Startschuss für das neue Produktionslayout gab Geschäftsführer Markus Konrad, als er 2015 den Betrieb von seinem Vater, Firmengründer Josef Konrad, übernahm. »Ich wollte die Produktion auf neue Beine stellen. Das Ziel war es, die C-Teile so nah wie möglich an die Montage zu bringen. Von Schrauben bis zu Elektrokomponenten läuft nun alles vollautomatisch«, sagt Konrad. Begleitet wurde die Lean-Initiative vom Industriespezialisten Bossard, der zur Optimierung der Produktionslogistik an Bord geholt wurde. Mehr als 380 Kleinteile lagern in sogenannten »Smart Bins«. Fällt der Füllstand eines Behälters unter eine festgelegte Grenze, wird automatisch ein Bestellvorgang ausgelöst. Mittels App kann der gesamte Prozess inklusive Lieferzeitpunkt in Echtzeit überwacht werden. Das System spart Zeit und Geld – fast 85 % der Kosten im Kleinteilbereich entfallen auf logistische Prozesse.
Vorausdenken
So vorausschauend wie der Kärntner Maschinenhersteller agieren nur wenige Unternehmen. Gerade Klein- und Mittelbetriebe schieben den nötigen Transformationsschub auf und vergeben dadurch wertvolle Chancen im Wettbewerb. »Österreichs Wirtschaft basiert bis heute auf der Old Economy. Mithilfe der neuen Technologien wie künstlicher Intelligenz können unsere Hidden Champions zu Global Leaders werden und damit einen neuen Wachstumstrend starten«, erläutert Michael Zettel, Country Managing Director von Accenture Österreich.
Eine im Sommer 2017 unter den heimischen Top-100-Betrieben durchgeführte Erhebung zeigt, dass die Umsätze der größten Unternehmen im vergangenen Jahr deutlich gesunken sind, während die Profitabilität gesteigert werden konnte. Deutschlands Top-Player agieren in die andere Richtung: Sie opfern die Profitabilität für ein höheres Wachstum. »Österreichs Konzerne halten an dem fest, was sie haben, sie bewahren und optimieren ihr Geschäft«, analysiert Zettel. »Die Welt der Digitalisierung ist aber keine Welt des Bewahrens. Sie ist eine Welt des Probierens.«
Schätzungen zufolge könnte der Einsatz neuer Technologien wie Künstlicher Intelligenz (KI) das BIP-Wachstum bis 2035 von 1,4 auf 3 % anheben. Diese Botschaft ist bei den österreichischen Managern durchaus angekommen. 88 % der Befragten erwarten innerhalb der kommenden drei Jahre eine »komplette Transformation« oder zumindest eine »signifikante Veränderung« durch KI in der eigenen Industrie. Diese Zahl liegt weit über den Vergleichswerten aus Deutschland und der Schweiz. Ein Drittel der Unternehmenslenker plant »erhebliche Investitionen«.
Keine Frage der Größe
Bild oben: Michael Zettel, Accenture. Von Hidden Champions zu Global Leaders.
Die Weichenstellung in Richtung Zukunft betrifft Klein- und Mittelbetriebe gleichermaßen. Gerade unter ihnen gibt es noch viel Nachholbedarf, wie das Beratungsunternehmen Arthur D. Little gemeinsam mit der Wirtschaftskammer Österreich attestierte. Der Großteil der heimischen KMU könne nach dem eigens entwickelten Digitalisierungsindex den Kategorien »Digitaler Neuling« oder »Digital bewusst« zugeordnet werden. Die höchste Stufe »Digitaler Champion« erreichen nur wenige Betriebe. »Digitalisierung ist keinesfalls nur eine Sache der großen Unternehmen, vielmehr müssen auch die kleineren und mittleren Unternehmen die Chancen rechtzeitig erkennen«, wie Wilfried Sihn, Professor an der TU Wien und Geschäftsführer von Fraunhofer Austria, anlässlich des Propak-Trendtags 2017 des Fachverbands der papier- und kartonverarbeitenden Industrie betonte.
Vor allem Produktionsunternehmen haben die Zeichen der Zeit früh erkannt. Viele Betriebe befinden sich nach Anlaufschwierigkeiten bereits in der Wachstumsphase und bieten smarte, innovative Produkte an oder straffen ihre Prozesse über netzwerkfähige Maschinen. Auch die Reduzierung der Losgrößen ist ein allgegenwärtiges Thema. Die Papier- und Kartonindustrie, eine seit Jahren stark unter Druck stehende Branche, stellt sich bereits diesen Herausforderungen.
Eines der Vorzeigeunternehmen ist Marzek Etiketten + Packaging. Das Traiskirchner Familienunternehmen stellt hochveredelte Qualitätsetiketten in Hybrid- und Offset-Digitaldruckverfahren für Getränke und Lebensmittel her und wurde heuer von der World Label Association zum vierten Mal zum Weltmeister gekürt. Ein neues Werk zur Produktion flexibler Verpackungen und Rundum-Etiketten ging im Sommer 2017 in Ungarn in Betrieb. Auch die Standorte in Österreich und der Ukraine werden mit modernen Technologien aufgerüstet. »Unsere Stärken sind die langjährige Anwendungskompetenz sowie das Eingehen auf individuellen Kundenbedarf. Auf persönliche Kundennähe wurde von der Familie stets großen Wert gelegt«, sagt Michael Wareka, der das Unternehmen in vierter Generation führt.
Qualität zählt
Bild oben: Digitalisierungsstand österreichischer Unternehmen
»In der Ära der Digitalisierung weisen Geschäftsmodelle zunehmend disruptive Elemente auf. Zunehmend ist es nicht mehr entscheidend, die technologisch beste Lösung auf den Markt zu bringen, sondern das überzeugendste Gesamtkonzept zu entwickeln«, meint Roland Sommer, Geschäftsführer der »Plattform Industrie 4.0«.
Der Weg zu neuen Geschäftsfeldern führt mitunter – wie im Fall der steirischen Tischlerei Radaschitz – von der Riegersburg nach Notting Hill. Mit bodenständigem Handwerk, Hightech und einer ordentlichen Portion Wagemut gelang es den Brüdern Hannes und Bernd Radaschitz, sich am Londoner Immobilienmarkt als Luxusanbieter im Interieur-Bereich zu etablieren. Inzwischen zieht das Büro »Interior iD« hochkarätige Aufträge an Land. Die Kunden sind meist vermögende Geschäftsleute aus Osteuropa oder dem Nahen Osten, auch ein prominenter französischer Fußballspieler ließ sich ein Apartment einrichten. Im Luxustempel »One Hyde Park« – angeblich die teuerste Immobilie der Welt – statteten die Steirer sechs Apartments mit exquisitem Interieur aus. Auftraggeber sind meist Architekten oder Designer, die Endkunden halten sich in der Regel diskret im Hintergrund.
Produziert wird nach wie vor im elterlichen Betrieb in der Oststeiermark, geliefert wird an die mondänsten Adressen rund um den Erdball. Möglich wird die internationale Arbeitsteilung durch eine perfekt abgestimmte Wertschöpfungskette. Der Hightech-Kommunikationsraum im Erdgeschoß der Riegersburger Tischlerei spielt alle Stückerln: Ein großformatiger Bildschirm und Head-up-Kameras erleichtern das Besprechen und Adaptieren von Skizzen und Plänen per Videokonferenz. In der Werkstatt trifft traditionelles Handwerk auf das digitale Zeitalter. Modernste CNC-Maschinen und eine neue Hochglanz-Lackieranlage sorgen für absolute Präzision. Das Herzstück ist jedoch die betriebseigene Schlosserei, in der Scharniere und Beschläge nach jahrhundertealter Tradition hergestellt werden.
Um hochqualitatives Handwerk auch wieder für die Mittelschicht erschwinglich zu machen, kreierten die Brüder im Vorjahr die Marke »Mobilamo«. Über einen Webshop können Kunden ihre Designer-Möbel online selbst konfigurieren. Auch im Yachtbau sehen die beiden Potenzial – die Reise könnte noch sehr weit gehen.