Seit dem Verkauf der Heimwerker-Kette bauMax widmet Martin Essl, ehemaliger Chef und Sohn des Firmengründers, den Großteil seiner Zeit der Philanthropie und kämpft für eine Welt mit weniger Barrieren. Im Report(+)PLUS-Interview spricht er über unternehmerische Verantwortung, sein »neues« Leben und wie Inklusion gelingen kann.
(+) plus: bauMax ist seit zwei Jahren Geschichte. Schmerzt das traurige Ende noch sehr?
Martin Essl: Eine Restrukturierung eines großen Familienunternehmens ist immer eine große Herausforderung. Es gab eine Hochschaubahn der Gefühle. Wir haben bauMax 35 Jahre sehr erfolgreich zum Marktführer in der Do-it-yourself-Szene in Österreich und Zentraleuropa aufgebaut. Wir waren in neun Ländern Europas tätig und beschäftigten 11.000 Mitarbeiter. Die Finanz- und Wirtschaftskrise hat dann eine völlige Veränderung der Rahmenbedingungen in Zentraleuropa bewirkt, die zu einem Umsatzrückgang von bis zu 50 % führte. Wie geht man mit solchen Krisensituationen um? Als Eigentümer tragen wir die Verantwortung für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und deren Familien. Es ist uns mit einem tollen Team und den Einsatz aller Betroffener gelungen, im Verkaufsprozess 9.000 Arbeitsplätze zu sichern – unter Einsatz großer Teile des Vermögens der Familie. Beim Verkauf eines Unternehmens kann man keinen Schönheitswettbewerb gewinnen. Aber es war uns wichtig, erhobenen Hauptes den laufenden Betrieb an Nachfolgeunternehmen mit den vielen Mitarbeitern zu übergeben.
(+) plus: Anders als beispielsweise in den USA, wo unternehmerisches Scheitern als wichtige Erfahrung gilt, wird man in Österreich gesellschaftlich fast geächtet. Wie ist man Ihnen danach begegnet?
Essl: Die Frage ist, was man als unternehmerisches Scheitern versteht. Wir haben 160 Standorte betrieben und Arbeitsplätze geschaffen, die jetzt eben unter einer anderen Flagge laufen. Das Unternehmen und die Marke sind nicht mehr vorhanden – das ist bitter genug. Ich möchte nichts schönreden, aber bei einer Insolvenz wären alle Arbeitsplätze weg gewesen. Wir haben uns vorbildlich verhalten. Deshalb ist das Feedback, das ich aus Wirtschaftskreisen bekomme, überaus positiv. Ich nutze mein Netzwerk nun intensiv für meine sozialen Projekte. Man bringt mir dabei viel Wertschätzung entgegen.
(+) plus: Bereits zu bauMax-Zeiten haben Sie sich sehr um die Integration von Menschen mit Behinderung bemüht. Warum ist Ihnen das so ein großes Anliegen?
Essl: Menschen mit Behinderung werden benachteiligt, oft aus der Gesellschaft ausgeschlossen. Man gibt ihnen oft gar keine Chance. Aus christlicher Überzeugung heraus haben wir zunächst ein paar Menschen mit Behinderung beschäftigt. Als ich 1999 die operative Leitung des Unternehmens übernahm, habe ich ganz systematisch in allen Filialen, in allen Ländern mindestens eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter mit Behinderung angestellt. Insgesamt waren es zuletzt 265. Alle Menschen, ob mit oder ohne Behinderung, haben besondere Talente. Es kommt nur darauf an, diese Talente zu erkennen und richtig einzusetzen. Wir haben sehr gute Erfahrungen damit gemacht, denn auch die Teams werden gestärkt. Alle gehen viel sorgsamer miteinander um.
(+) plus: Wissen Sie, was aus Ihren früheren Mitarbeitern geworden ist?
Essl: Ich habe kürzlich erfahren, dass von 3.700 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die wir in Österreich beschäftigt hatten, noch 18 beim AMS gemeldet sind. Das ist eine große Erleichterung für uns. Die Mitarbeiter mit Behinderung haben alle einen Job angeboten bekommen, dafür habe ich mich persönlich eingesetzt. Die Hauptlast haben wir als Familie getragen, aber eigentlich war es eine tolle Leistung jedes und jeder Einzelnen. In dieser Krise sind alle füreinander eingestanden. Sogar in der heißen Phase hat niemand das Unternehmen verlassen. Das ist keine Selbstverständlichkeit und hat viel mit der Unternehmenskultur zu tun, die wir wirklich gelebt haben und die nicht nur auf dem Papier bestand.
(+) plus: Warum scheuen so viele Unternehmen davor zurück, Menschen mit Behinderung eine Chance zu geben?
Essl: Nur 22 % der Unternehmen beschäftigen eine ausreichende Anzahl an Menschen mit Behinderung. Das zeigt: Die meisten haben eine große Distanz zu diesem Thema. Dazu kommen die komplizierten Rahmenbedingungen, die in allen Bundesländern unterschiedlich sind. Das ist für große Unternehmen unverständlich und viel zu kompliziert. Schon deshalb zahlen viele Unternehmen lieber die Ausgleichstaxe, statt sich mit der Integration von Menschen mit Behinderung näher zu befassen. Aus diesem Grund sehen wir eine wichtige Aufgabe darin, Organisationen mit Informationen und Ideen zu versorgen, die im eigenen Unternehmen eingesetzt werden können.
Bild oben: Zero Project präsentiert vorbildliche Innovationen und Modelle zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung in 180 Ländern.
(+) plus: Wie sieht Ihr Engagement heute aus?
Essl: Seit drei Jahren habe ich die Möglichkeit, ein neues Leben zu führen und mich mit Aufgaben zu beschäftigen, die unglaublich viel Freude machen und sinnerfüllend sind. Die Wurzeln liegen natürlich in meiner Vergangenheit. Wenn man einen neuen Weg einschlägt, ist man ja nicht plötzlich ein anderer Mensch; da schwingt sehr viel an Erfahrungen mit. Ich habe mich auf zwei Schwerpunkte verlegt: Das sind einerseits Entwicklungen im Immobilienbereich, um den Lebensunterhalt meiner Familie zu sichern. Gleichzeitig ist es mir wichtig, viel Zeit in die Unterstützung von Menschen mit Behinderung zu investieren. Hier gebe ich Unternehmen meine 30-jährige Erfahrung philanthropisch, also ohne Gewinnabsicht, weiter.
(+) plus: Welche Aktivitäten setzen Sie?
Essl: Wir haben heuer in sieben Landeshauptstädten Unternehmensdialoge geführt und 960 Personen und Organisationen erreicht. In einem eigens produzierten Magazin beschreiben wir 43 Erfolgsmodelle zur beruflichen Integration von Menschen mit Behinderungen. Darunter sind Kleinstunternehmen mit sechs Mitarbeitern, einer davon mit Behinderung, aber auch große Organisationen wie das Universitätsklinikum Graz, das fast 7.000 Mitarbeiter beschäftigt, von denen 658 eine Behinderung haben. Wir
haben zur Verdeutlichung bei Frau Prof. Mensi-Klarbach an der Wirtschaftsuniversität eine Studie in Auftrag gegeben und einen kleinen Film finanziert, in dem sich einige Unternehmen vorstellen und von ihren Erfahrungen mit Inklusion erzählen.
In den Dialogen präsentieren wir einige dieser Modelle, um zu zeigen, welche Erfolgskriterien es gibt. Wir informieren mit den einschlägigen Sozialorganisationen über Förderungsmaßnahmen und beantworten alle Fragen, die sich in diesem Kontext stellen. Die Veranstaltungen waren so erfolgreich, dass wir mit dem Sozialministerium übereingekommen sind, die Dialoge nächstes Jahr auch für einzelne Branchen zu intensivieren. Wir haben dazu schon sehr spannende Best Practices aus der ganzen Welt gefunden.
(+) plus: Womit beschäftigt sich die Essl Foundation?
Essl: Diese gemeinnützige Stiftung habe ich vor zehn Jahren mit meiner Frau und meinen vier Kindern ins Leben gerufen. Sie hat das Ziel, Menschen mit Behinderung zu unterstützen und zu fördern. Die Gründung fiel zeitgleich mit der »UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung« zusammen, die sich auf vier Hauptthemen bezieht: Bildung, Beschäftigung, Barrierefreiheit und selbstbestimmtes Leben. 172 Länder haben diese UN-Konvention bereits ratifiziert und sich damit zu Maßnahmen verpflichtet, die Menschen mit Behinderung die gleichen Chancen geben. Nach zwei Jahren haben wir erstmals in 15 Ländern evaluiert, wie weit die UN-Konvention schon verwirklicht wurde. Mittlerweile liefern uns 4.064 Experten aus 180 Ländern Informationen zu sozialen Innovationen, die wir wissenschaftlich auswerten und diese weitergeben. Die Ergebnisse veröffentlichen wir in Reports und in Konferenzen und machen sie im Internet zugänglich. Die Zero Project Konferenz 2017 fand zum vierten Mal in der UNO-City Wien statt, mit 600 Teilnehmern aus 80 Ländern.
Die Essl Foundation verfügt über einen Beraterstatus in der UNO. Wir halten unsere Augen und Ohren auf der ganzen Welt offen. Aus meiner unternehmerischen Erfahrung weiß ich, wie viel Innovationen bewirken können. Im Sozialbereich ist das noch kein Standard. Aus diesem Grund gibt die Essl Foundation diesen Innovatoren eine Bühne, damit sie über ein weltweites Netzwerk ihre Initiativen vorstellen und als Vorbild für andere zum Wohle möglichst vieler Menschen mit Behinderungen dienen.
(+) plus: Welche Voraussetzungen braucht es, damit Inklusion gelingt?
Essl: Die Beschäftigung von Menschen mit Behinderung muss von ganz oben gewünscht sein. Die Unternehmer und das Management müssen voll hinter der Sache stehen. Mitarbeiter mit Behinderung müssen darauf gut vorbereitet werden, aber auch die künftigen Kollegen in den Abteilungen. Ich möchte Unternehmen dabei zum Umdenken bewegen. Jeder Mitarbeiter, ob mit oder ohne Behinderung, sollte ja entsprechend seiner Fähigkeiten bestmöglich eingesetzt werden. Das hat keinen sozialen Aspekt, sondern ist von wirtschaftlicher Vernunft geleitet. Wenn jemand im Rollstuhl sitzt, bedeutet das keinesfalls, dass er in einem Unternehmen keine Leistung erbringen kann. Das Gegenteil ist der Fall, in der Regel sind Mitarbeiter mit Behinderung besonders engagiert tätig und bringen einen sehr positiven Wind in das
Klima des Teams.
(+) plus: Welche Pläne haben Sie für das kommende Jahr?
Essl: Momentan bereiten wir für Februar 2018 die Konferenz zum Thema Barrierefreiheit vor. Wir haben Anmeldungen von 700 Innovationen bekommen, ca. 70 präsentieren wir unter dem Titel »Die virtuelle barrierefreie Stadt«. Das wird eine spektakuläre Sache. Mein Traum wäre es, wenn sich Immobilienentwickler gemeinsam mit Kommunen bereit erklären, barrierefreie Stadtentwicklungen auf die Beine zu stellen. Das wäre gut für Menschen mit Behinderung, aber auch für Menschen im Alter und für Mütter mit kleinen Kindern. Es braucht immer zuerst Ideen, die zum Trend werden, bis ein System daraus entwickelt wird. In der Wirtschaft funktioniert das auch so.
(+) plus: Was ist Ihre Vision?
Essl: So mir Gott die Kraft gibt, möchte ich einen Beitrag dazu leisten, dass sich Österreich zu einem Musterland der Inklusion entwickeln kann. Österreich ist ein kleines, begütertes Land. Ich glaube, das ist durch Anstrengungen vieler Stellen durchaus möglich. Unser Ziel ist die völlige Gleichstellung, die UN-Konvention soll überall umgesetzt sein. Auf dem Jakobsweg habe ich Gott das Versprechen gegeben, wenn wir die Arbeitsplätze von bauMax absichern können und wir einen guten Abschluss schaffen, künftig die Hälfte meiner Zeit für eine Welt ohne Barrieren einzusetzen. Es ist schon so vieles Neues entstanden. Das macht mich glücklich und schenkt mir viel Freude.
Zur Person:
Martin Essl, Jahrgang 1962, führte das von seinem Vater, Karlheinz Essl sen., gegründete Familienunternehmen bauMax von 1999 bis 2014 und wechselte danach in den Aufsichtsrat. Die Firmengruppe zählte viele Jahre zu den führenden europäischen Baumärkten. 2010 betrieb der Konzern 160 Filialen in Österreich und acht zentral- und osteuropäischen Ländern. 2011 schlitterte das Unternehmen in eine massive Krise, die schließlich in den Verkauf des Konzerns endete.
Martin Essl war 2006 »Entrepreneur of the Year« und wurde mehrfach für sein soziales Engagement ausgezeichnet. Über die gemeinnützige Privatstiftung Essl Foundation fördert er Aktivitäten und Innovationen für Menschen mit Behinderung. Im Februar 2018 findet unter seiner Ägide in Wien die nächste »Zero Project Conference« zum Austausch von internationalen Innovatoren statt.
Info: www.zeroproject.org