In der neuen Welt des Arbeitens ist Vernetzung angesagt. Führungskräfte agieren in erster Linie als Kommunikatoren und sorgen für effizienten Informationsaustausch unter den Teams. Hierarchien haben bald ausgedient.
Eine Chefin, die im stillen Kämmerlein endlose Zahlenkolonnen durchackert und dann einsame Entscheidungen fällt – ein Auslaufmodell. Ein Chef, der durch die Firma schreitet und Mitarbeitern in harschem Ton Anweisungen gibt – ebenso. Der digitale Wandel macht Veränderungen möglich, wo Plädoyers für eine offene Unternehmenskultur bislang nicht fruchteten. Organisationen jeder Branche und Größe stellen ihre Strukturen und Prozesse neu auf. Und ob sie wollen oder nicht, auch Führungskräfte müssen ihre Prioritäten umkrempeln.
Neue Töne
Neben der intensiveren Beziehung zu Kunden – Lieferanten müssen künftig rascher und individueller auf Kundenwünsche eingehen – schlägt auch die Kommunikation nach innen neue Töne an. Drei Aspekten kommen dabei größte Bedeutung zu: einem offenen Umgang mit kritischen Themen, wertschätzender Kommunikation zwischen Führungskräften und Mitarbeitern sowie der Etablierung einer Feedback-Kultur.
Selbst in Großbetrieben, wo reibungslose Abläufe ohne strenge Hierarchie undenkbar schienen, muss nun beweglicher agiert werden. Isoliertes Abteilungsdenken bremst bekanntlich Innovationen. Unternehmen, die es schaffen, das intellektuelle Kapital zu vernetzen, haben die Nase vorne. Die passenden Köpfe werden für einzelne Projekte zu interdisziplinären Teams zusammengewürfelt.
Dieses projektorientierte Organisationsprinzip stellt an »digitale Leader« andere Herausforderungen als an frühere »Vorgesetzte«. Sie müssen einen Gutteil der Verantwortung an die Teams abtreten und diesen Spezialistinnen und Spezialisten genügend Freiraum für innovative Lösungen überlassen. Den Führungskräften obliegt es, das große Ganze im Blick zu behalten und das Puzzle zusammenzufügen.
Aufgrund der immer komplexeren Aufgabenstellungen geht es gar nicht anders. »Im Management geht es vermehrt darum, Kompetenzen zu vernetzen, die Teams zu moderieren und Rahmenbedingungen zu organisieren. Führungskräfte sollten ein gutes Selbstbild haben und ihre eigenen Stärken und Schwächen reflektieren«, sagt Change-Expertin Eva Kral.
Bild oben: Barbara Liebermeister, IFIDZ: »Junge Kollegen werden zwar rasch ›auf cc‹ gesetzt, in Entscheidungen aber nicht eingebunden.«
Moderne Führungskräfte können auch einmal Fehler oder einen Irrtum zugeben, ohne an Führungsstärke zu verlieren. Im Sinne einer Kommunikation auf Augenhöhe erfolgt der Austausch von Feedback zwischen Vorgesetzten und Mitarbeitern durchaus beidseitig, quasi unter Kollegen. Ein Leader neuen Typs beurteilt aber nicht nur, sondern schafft in erster Linie ideale Rahmenbedingungen für ein motivierendes Arbeitsumfeld, gibt Anregungen, fördert und ermutigt.
Vertrauen als Prinzip
Das erfordert zunächst auch einen beträchtlichen Vertrauensvorschuss. »Je virtueller unsere Welt wird, desto mehr wird Vertrauen zum Organisationsprinzip der Stunde«, betonte Management-Berater Dr. Reinhard K. Sprenger auf der Stuttgarter Personal-Messe in seiner Keynote. »Wenn Sie mit jemandem zusammenarbeiten, dann sollten Sie ihm vertrauen. Wenn Sie ihm nicht vertrauen wollen, arbeiten Sie besser nicht mit ihm zusammen. Es gibt keinen dritten Weg.«
Anders gesagt: Wer von den Mitarbeitern unternehmerisches Denken und Handeln erwartet, muss die Zügel nicht nur lockern, sondern ihnen diese auch manchmal überlassen. Markus Tomaschitz, Vice-President Human Resources bei AVL in Graz, bringt es im aktuellen Hernstein-Report auf den Punkt: »Wenn wir Menschen wie kleine Kinder behandeln, verhalten sie sich auch so. Um drei Themen kommt man als Führungskraft nicht herum: autonomes Arbeiten zu ermöglichen, Leistungsbereitschaft einzufordern und Sinn zu vermitteln. Die neuen Generationen haben einen hohen Anspruch an Organisation und Führungskräfte.«
Der scheinbare Machtverlust wird durch echte Führungsaufgaben mehr als kompensiert. »Die strategische Aufgabe liegt darin, alle Antennen nach außen zu strecken und Chancen zu erkennen. Ein Unternehmen soll in erster Linie Kundenbedürfnisse erfüllen, das wird oft vergessen. Und so wie ich mit meinen Kunden umgehe, werde ich vermutlich auch nach innen agieren«, so Kral.
Zurück ins Büro
Der deutsche Wirtschaftspsychologe Albrecht Müllerschön ortet hinsichtlich der Vielzahl an Kanälen einen »hohen Klärungs- und Abstimmungsbedarf« in den Unternehmen: »Bei der elektronischen Kommunikation gehen viele Infos verloren, die beim persönlichen Gespräch unter vier oder mehr Augen mitvermittelt werden. Dadurch erhöht sich das Risiko, dass Botschaften nicht oder falsch ankommen.« Zudem könne der Sender schwerer einschätzen, ob die Information richtig interpretiert wird und welche Reaktion sie auslöst.
Für Verwunderung sorgte die Ankündigung von IBM, das Homeoffice für einige Abteilungen einzuschränken, galt doch der IT-Konzern als einer der Vorreiter für flexible Arbeitstrukturen. Auch Google, Apple und Facebook trachten bereits danach, die Mitarbeiter wieder zurück in die Büros zu holen. Eine völlige Rückkehr in frühere Arbeitsmodelle, ohne die vielfältigen Möglichkeiten mobilen Arbeitens zu nutzen, scheint dennoch unwahrscheinlich. In der Praxis macht’s wohl der richtige Mix aus: digitale Vernetzung, wo es um die rasche Abstimmung in Routineaufgaben geht, und persönliche Zusammenarbeit »Schulter an Schulter«, wenn kreative, qualitativ hochwertige Lösungen gefragt sind.
Jüngere sind skeptisch
Digitale Transformation kann ohne mentale Verankerung in der Unternehmenskultur nicht gelingen. Dementsprechend müssen die Betriebe nicht nur die technologischen Voraussetzungen vorantreiben, sondern auch ihre Kultur verändern oder gegebenenfalls neu gestalten. Dass soziale und emotionale Intelligenz die entscheidenden Kompetenzen in der vernetzten Beziehungswelt sind, darüber besteht kein Zweifel. Wie sich der Wunsch der Mitarbeiter nach stärkerer Einbindung in Entscheidungsprozesse mit den teilweise noch sehr starren hierarchischen Wegen in Konzernen vereinbaren lässt, wird sich hingegen erst zeigen.
Bild oben: Markus Tomaschitz, AVL: »Wenn wir Menschen wie kleine Kinder behandeln, verhalten sie sich auch so.«
Das Frankfurter Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ) stellte diesbezüglich einen deutlichen Gap zwischen den Generationen fest. So erachten es 85 % der jüngeren, aber nur 63 % der älteren Führungskräfte als sehr wichtig, dass Informationen regelmäßig weitergegeben und nicht als »Herrschaftswissen« zurückgehalten werden. Überraschenderweise stehen »Digital Natives« der technikgetriebenen Kommunikation durchaus kritisch gegenüber: 60 % der älteren Führungskräfte sind überzeugt, dass digitale Vernetzung auch zu einer transparenteren Mitarbeiterführung beiträgt – unter den jüngeren Führungskräften schließen sich nur 36 % dieser Meinung an.
»Ihnen ist stärker bewusst, dass allein weil mehr Kommunikationskanäle zur Verfügung stehen, sich qualitativ noch nichts ändert, solange kein mentaler Turnaround in den Köpfen ihrer Nutzer erfolgt«, erklärt IFIDZ-Leiterin Barbara Liebermeister. »Junge Führungskräfte haben, weil sie mit den neuen Technologien aufgewachsen sind, vermutlich ein feineres Gespür dafür, was die Möglichkeiten, aber auch Grenzen sind, wenn es um die zwischenmenschliche Kommunikation geht.« Zudem sammeln sie im Arbeitsalltag noch häufig die Erfahrung, von der obersten Chefetage zwar recht rasch in E-Mails »auf cc« gesetzt, aber in die Entscheidungsbildung nicht wirklich einbezogen zu werden. Das alte Top-down-Denken haben Manager faktisch noch tief verinnerlicht, so Liebermeister, »selbst wenn sie glauben, bereits empathische Netzwerker zu sein«.
Exkurs: Die vier Ebenen der Kommunikation
1. Die Sachebene (WAS): Wenn wir mit anderen Menschen kommunizieren, wollen wir sie in der Regel über einen Sachverhalt informieren. Der Sender muss seine Botschaft so formulieren, dass sein Gegenüber sie versteht. Der Inhalt steht im Mittelpunkt – also Zahlen, Daten, Fakten.
2. Die Beziehungsebene (WIR): Abhängig von der Beziehung zu einer Person messen wir derselben Aussage eine unterschiedliche Bedeutung bei. Kommt beispielsweise die Aussage »Das ist wichtig« von einer formell höhergestellten Person, wird sie als bedeutsamer eingestuft, als wenn sie von einer Person in einer niedrigeren Position kommt.
3. Die Selbstaussage-Ebene (ICH): Beim Kommunizieren mit anderen Menschen geben wir immer auch Informationen über uns selbst preis. Durch unsere Gestik, Körpersprache, Körperhaltung oder Sprechweise senden wir Botschaften – oftmals unbewusst – an unser Gegenüber. Schon die Wahl eines Kommunikationskanals, z.B. Telefon oder E-Mail, sagt etwas darüber aus, welchen Stellenwert eine Information für uns hat.
4. Die Appell-Ebene (DU): In der Kommunikation verfolgen wir stets eine Intention. Wir wollen z.B. ein bestimmtes Handeln oder Zustimmung erreichen, eine Meinungsänderung bewirken oder bei unserem Gegenüber Sympathien wecken. Empfänger einer Botschaft registrieren diese unterschwelligen Signale und reagieren darauf.