Werner Steinecker ist neuer Generaldirektor der Energie AG Oberösterreich. Er spricht über kritische Faktoren in der Energieversorgung, den Nutzen von Smart Metern und über die Trennung der gemeinsamen Strompreiszone mit Deutschland.
(+) plus: Herr Steinecker, was sind für Sie die zentralen Veränderungen der Energiewirtschaft? Was haben Sie sich für die nächsten Jahre vorgenommen?
Steinecker: Die Zeiträume in dieser Branche werden immer kürzer. Früher hatte man von Zehnjahresfenstern gesprochen, jetzt ist es fast nicht mehr legitim, in Fünfjahresschritten zu denken. Wie auch immer aber die Betrachtungszeiträume sind – die Branche verlangt ein hohes Maß an Nachhaltigkeit. Das muss auch unser Ziel sein. Versorgungssicherheit bleibt das wichtigste Gut, auch wenn es in der herrschenden Diskussion scheinbar vom Schlagwort Digitalisierung abgelöst wird.
Industriebetriebe waren mit ihren Prozessen immer schon auf unterbrechungslose Stromlieferungen angewiesen. Die Anforderungen an eine hundertprozentige, untadelige Stromversorgung haben heute aber Unternehmen jeder Größe. Auch eine Ein-Personen-Tischlerei hat schon einen hohen Automatisierungsgrad und ist auf Qualität in der Stromversorgung angewiesen.
Wenn der Bauer früher die Heuernte eingebracht und mit viel motorischer Kraft das Heu verarbeitet hat, konnten das die Nachbarn oft am Flackern des Lichts bemerken – die Spannung in der Stromleitung sank mitunter auf 180 Volt herunter. Wenn das heute passieren würde, funktioniert überhaupt kein Gerät mehr – kein Fernseher, kein Kühlschrank und in Zukunft auch kein Home-Automation-System.
(+) plus: Ohne Strom geht heute nichts mehr und die Ebene der Datenleitung ist genauso kritisch geworden.
Steinecker: In der Energiewirtschaft ist das Jobprofil der Zukunft nicht nur mehr der Starkstrommonteur, sondern der Informatiker. Dazu braucht es auch eine enge Verzahnung, ein Miteinander. Stromversorgung benötigt engmaschige Strukturen wie das Trafostationen-Netz und immer besser ausgebaute Spannungsebenen. Umso verwunderlicher ist es, dass es immer noch Bevölkerungsschichten gibt, die gegen die 380-kV-Leitung oder gegen eine 110-kV-Leitung sind, bis runter auf Mittel- und Niederspannungsebenen. Das sind alles Lebensnerven unserer Lebensqualität.
(+) plus: Wird das Aufrechterhalten der Versorgungssicherheit durch technische Entwicklungen nun einfacher oder schwieriger?
Steinecker: Es wird auf jeden Fall spannender. Wir alle haben noch keine Idee, was Digitalisierung und Automatisierung für unser Stromnetze wirklich bedeuten. Im Endeffekt werden wir immer weniger Mannschaften in der Fläche und im Betrieb benötigen. Wir erwarten uns mit der Digitalisierung jedenfalls auch ein höheres Maß an Betriebsführungs-Convenience. Die Branche hat aber noch keine Ahnung, welchen Einfluss Datenschutz und IT-Sicherheit auf künftige Entwicklungen haben werden.
(+) plus: Auch IT-Sicherheit ist ein kritischer Faktor für die Netze geworden. Was kann ein Netzbetreiber dazu überhaupt unternehmen?
Steinecker: Wir vertrauen klar auf unsere eigene Technik, auf unser Datennetz und können auch nicht über das Internet attackiert werden. Die Schnittstellen, die es nach außen gibt, sind mit leistungsstarken Firewalls geschützt.
Jedes gut aufgestellte EVU in Mitteleu-ropa – ich rede hier nicht von den USA, Asien oder Südeuropa – betreibt ein eigenes Datennetz auf Basis von Lichtwellenleitern. Es ist damit auch nicht atmosphärisch durch Sonnenstürme kompromittierbar, und hat mit der engen Überwachung und Steuerung von Infrastruktur den Charakter eines militärischen Netzwerkes.
Wir arbeiten regelmäßigen mit Hackergruppen zusammen, um unsere IT-Sicherheit zu testen und setzten stark auch auf die Verschlüsselung von Zählerdaten. Ein nächster Schritt sind möglicherweise quantenkryptische Verfahren für die Datenübertragung vom Smart Meter über den Datenkonzentrator bis zum SAP-System des Netzbetreibers. Das hieße, dass selbst bei einem Eindringen von jemandem mit hoher krimineller Energie Geräte nicht ausgelesen werden können.
(+) plus: Sie haben bereits einige Jahre Erfahrung mit Smart Metern in Ihrem Netz. Was bringen die intelligenten Stromzähler wirklich?
Steinecker: Je tiefer man in der Materie der Leistungsfähigkeit des Zählers drinnen ist, desto mehr wird klar, was noch alles geht. Wir kratzen da erst ganz am Anfang. Wir haben derzeit 350.000 Zähler im Netz. Während die reine Datenübermittlung, die ja gesetzlich festgelegt ist, einfach funktionieren muss, ist das Informationssystem dahinter die Basis für künftige Services.
Wir verwenden bereits die synthetisierten Daten aus all unseren Installierungen, um daraus auf künftigen Netzausbau schließen zu können. Bislang gab es die Annahme, mit steigenden Photovoltaikanlagen in einer Region dort auch das Netz ausbauen zu müssen. Die tatsächlichen Messungen der Beeinflussungen der Kurzschlussleistung im Netz zeigen, dass über Änderungen des Schaltungszustandes in den Trafostationen die Übertragungsfähigkeit des Netzes verändert werden kann. Damit öffnen sich andere Wege, wir müssen nicht mehr blind ausbauen. Wir denken, dass wir mit den Analysemöglichkeiten weniger Leitungen verstärken und Kabel eingraben müssen – und rund 30 Prozent der Netzausbaukosten vorerst sparen können, weil nicht sofort ausgebaut werden muss. Hier geht es vor allem um den Mittelspannungsbereich, also über die Ortsnetze hinaus, um die größere Sicht auf eine Region.
»Power Quality Control« ist eine weitere Applikation, die aus der Smart-Meter-Technologie für das Netz entstanden ist. Mit den Datenaufzeichnungen können wir die Versorgungsqualität bei jedem Kunden zu jedem Zeitpunkt nachweisen. Es ist kein Endkundenprodukt, aber eine hervorragende Möglichkeit, das Geschäft eines Netzbetreibers noch effizienter und nachhaltiger zu gestalten.
(+) plus: Wie sieht es mit neuen Vertriebsmöglichkeiten aus? Werden wir wetterabhängige Stromtarife in Österreich sehen?
Steinecker: Ich behaupte, ja. Wir bieten heute bereits mit unserer Vertriebstochter Enamo 17 verschiedene Tarife an. Künftig wird die Wahlmöglichkeit tausendfach höher sein. Die Konsumenten werden einfach ihre Lebensgewohnheiten vielleicht in einer App parametrieren und einen für sie genau passenden Tarif erhalten. Diese Informationen werden mit Daten aus dem Web – aus der Strombörse oder von Wetterprognosen – verfeinert.
Angenommen, Sie sind nie vor 18 Uhr zu Hause, hätten es dann aber gerne wohlig warm, und es naht am Nachmittag eine Schlechtwetterfront. Dann könnte die Wärmepumpe vielleicht bereits vor diesem Zeitpunkt ein günstiges Angebot zum Vorausarbeiten annehmen.
(+) plus: In welchem Zeitraum sind solche Angebote denkbar?
Steinecker: Fünf Jahre sind realistisch. Es gibt ja all dies bereits am Markt. Jetzt müssen diese Lösungen nur noch nutzerfreundlich zueinander gebracht werden.
(+) plus: Der Stromhandel zwischen Österreich und Deutschland soll ab Oktober 2018 begrenzt werden. Welche Auswirkungen wird dies auf den Großhandelspreis und damit auch auf Industriekunden haben?
Steinecker: Wenn die Grenzbewirtschaftung der Nord-Süd-Strecke so wie jetzt geplant beschränkt wird, rechnen wir mit einer Preiserhöhung von rund fünf Prozent. Bei den Haushaltskunden schlägt sich das durch die üblichen Vertragsbindungen erst mit zweijähriger Verspätung nieder.
Wir haben derzeit einen Börsenpreis im Großhandel von zirka 30 Cent/MWh. Wenn nun, wie die Verhandlungen ergeben haben, weiterhin eine längerfristige Grenzbewirtschaftung von 4,9 Gigawatt möglich ist – durchschnittlich haben wir eine Durchlässigkeit von 7,5 GW zwischen Deutschland und Österreich, maximal wurde dieser Wert bei Überproduktionen in Norddeutschland heuer bei 9,5 GW erreicht –, haben wir vielleicht 50 bis 60 Stunden Spitze im Jahr, in denen der Strompreis etwas mehr steigen wird. Das wird sich 1:1 auf die Industrie durchschlagen.
Aber das ist schon ein Jammern auf hohem Niveau. Der Strompreis lag auch schon einmal bei 90 Euro.
Zur Person:
Werner Steinecker hat am 1. März 2017 die Nachfolge des langjährigen Generaldirektors Leo Windtner als Vorstandsvorsitzender der Energie AG Oberösterreich angetreten. Steinecker begann 1972 als Starkstrommonteur-Lehrling in der damaligen OKA, absolvierte parallel zwei Doktoratsstudien und war seit 2002 Technikvorstand.