Montag, Juli 22, 2024

Ulrike Baumgartner-Gabitzer ist Vorsitzende des Vorstands der Austrian Power Grid AG. Die APG verantwortet das heimische Übertragungsnetz auf der Hochspannungsebene und verbindet damit die alte mit der neuen Energiewelt.

(+) plus: Der Umbau des Energiesystems in Hinblick auf Klimaschutz und Dekarbonisierung verlangt große Investitionen. Welche Auswirkungen hat das auf die Austrian ­Power Grid AG?

Ulrike Baumgartner-Gabitzer: Es gibt seit Jahren wesentliche Veränderungen, die uns betreffen. Wir sehen hier Chancen und Risiken. Mit dem ungebremsten Ausbau von erneuerbarer, volatiler Stromerzeugung wird die Rolle des Übertragungsnetzbetreibers für die Verteilung von Stromlasten immer wichtiger. Damit rücken wir auch in die Öffentlichkeit, was in der Vergangenheit nicht so oft passiert ist. Dann ist die APG auf europäischer Ebene heute mit anderen Organisationen in der Energiewirtschaft wesentlich stärker vernetzt. Die APG hat sich von einem früher statisch agierenden zu einem dynamischen Unternehmen gewandelt.

Unter die Risiken fällt, dass der Netzausbau nicht so rasch vorangeht, wie es mit dem Umbau des Energiesystems eigentlich passieren sollte. Vor allem Windkraft-Anlagen werden wesentlich schneller errichtet, als Leitungen und Umspannwerke ausgebaut werden können. Eine Anlage steht in etwa innerhalb von zwei, während wir bei Genehmigungsverfahren von Leitungen mit bis zu 15 Jahren Dauer zu tun haben.

Bei einem Windkraft-Projekt sind vielleicht ein bis zwei Gemeinden betroffen – wir haben bei der Salzburg-Leitung 41 betroffene Gemeinden. Das sind ganz andere Dimensionen, aber wir bemühen uns, das Beste daraus zu machen. Auch die Netzregelung wird schwieriger, wir sehen das aber ebenfalls als Chance, uns weiterzuentwickeln. Nachdem wir ja auch den Marktplatz in Österreich ermöglichen, sollten wir frühzeitig auch die Entwicklungen der Erneuerbaren antizipieren können.

(+) plus: Das Drehen welcher Stellschrauben im Energiesystem wäre für eine nachhaltige Energiezukunft notwendig?

Baumgartner-Gabitzer: Neben der Beschleunigung von Genehmigungsverfahren brauchen wir stabile Rahmenbedingungen für den Ausbau. Der Raumentwicklungsplan für Windkraft des Landes Niederösterreich ist ein gutes Beispiel. Hier wurden gemeinsam mit den Gemeinden Ausbaugebiete beschlossen und damit klar festgelegt, wo Erneuerbare gebaut werden und das Netz verstärkt werden muss. Die APG hatte in Niederösterreich eine 220-kV-Leitung zu erneuern, die bereits in die Jahre gekommen war. Der Windkraft-Zonenplan war dann ein wesentlicher Grund für eine neue 380-kV-Leitung. Eine gemeinsame Planung und die Betrachtung von Erzeugern, Leitungen und Verbrauchern in einem Guss – das hat einfach Vorteile.

(+) plus: Wie ist die Situation im Burgenland? Dort ist die Windkraft ebenfalls stark ausgebaut, allerdings fehlen im Bundesland die großen Abnehmer.

Baumgartner-Gabitzer: Während dort der Stromverbrauch relativ stabil und vorhersehbar ist, kommt es an manchen Tagen zu Erzeugungsspitzen von bis zu rund 1.000 MW durch die Windkraft – das entspricht rund sechs Donaukraftwerken. Irgendwo muss diese Leistung aufgenommen und an Verbraucher weiterverteilt werden. Das ist unsere Aufgabe, es verdeutlicht aber die Notwendigkeit von Übertragungsnetzen.

(+) plus: Glauben Sie an Modelle einer durchwegs dezentralen, regionalen Erzeugung und Verbrauch von Strom?

Baumgartner-Gabitzer: Ich glaube fest, dass es in diese Richtung geht. Es wird aber auch in Zukunft immer einen Mix von regionalen Netzteilnehmern und der Verzahnung mit einer überregionalen Verteilung geben. Wir werden Übertragungsnetze noch eine lange Zeit brauchen und sie werden sogar wichtiger, da auch die Volatilität zunimmt. Die großen Windparks stehen dort, wo es günstige Windverhältnisse gibt – und nicht dort, wo sich die Verbraucher befinden.

(+) plus: Die Kosten des Engpassmanagements der APG zur Stabilisierung des Stromnetzes übersteigen heuer bereits jene im Vorjahreszeitraum. Was ist der Grund dafür – und droht heuer ein besonders teures Jahr für die Netzstabilität?

Baumgartner-Gabitzer: Die Kosten für Redispatch betrugen 2015 knapp über 200 Mio. Euro, im Vorjahr waren es rund 150 Mio. Euro. Die Kosten heuer lagen im Mai schon fast bei der Hälfte des Rekordjahres 2015. Es lassen sich aber schwer Prognosen daraus für die Zukunft schließen, da ein Abrufen von Engpassleistungen natürlich vom Marktangebot und auch stark vom Erzeugungsverhalten von Wind- und Sonnenenergie abhängt. 2015 war ein schlechtes Wasserjahr, das den Bedarf für Redispatch nach oben schraubte.

2016 wiederum war für die Wasserkraft ganz in Ordnung. Heuer gab es im Jänner tiefe Temperaturen, es gab wenig Wasser im Balkan und einige Atomkraftwerke, die aufgrund von Wartungsarbeiten aus dem französischen Netz genommen worden waren. Frankreich heizt mit Strom, jedes Grad Temperatur wirkt sich auf den Bedarf aus. Dies alles zusammengenommen steigerte den Redispatch-Auf.wand. Die österreichischen Stromkunden übernehmen allerdings nur einen kleinen Anteil dieser Kosten. Der Großteil wird von jenen Betreibern bezahlt, welche die Leistungen anfordern – hauptsächlich sind dies deutsche Netzbetreiber.

(+) plus: Wie nahe schrammt das europäische Netz in solchen Monaten an einem Zusammenbruch vorbei?

Baumgartner-Gabitzer: In der Zusammenarbeit mit allen Ländern und auch mit Hilfe der Übertragungsnetzbetreiber geht sich das schon noch aus. Man hat aber gesehen, dass wir weitere Netzreserven für den Ernstfall dringend brauchen. Gaskraftwerke sind hier ideal, um innerhalb von kurzer Zeit große Leistungen ans Netz zu bringen. Sie emittieren wesentlich weniger CO2 als Kohlekraftwerke. Pumpspeicher können natürlich ebenso eingesetzt werden, allerdings nur begrenzt. Wenn wir über zwei Wochen niedrige Temperaturen haben, können das auch Pumpspeicherkraftwerke nicht abfangen. Gaskraftwerke bieten eine gute und wichtige Übergangslösung – bis zu dem Zeitpunkt, an dem es noch bessere Technologien und auch neue Speicherlösungen wie etwa Batterien geben wird.

(+) plus: Wird die Fertigstellung der Salzburg-Leitung Abhilfe schaffen können?

Baumgartner-Gabitzer: Mit der Salzburg-Leitung werden wir uns sicherlich Netzeingriffe ersparen können, die derzeit aufgrund fehlender Leitungskapazitäten in Salzburg notwendig sind. Doch der Ausbau der Erneuerbaren zum Beispiel in Deutschland geht ungebrochen voran – diese Lok ist in Bewegung. Wir versuchen die Ungleichheiten, die sich durch die Fördersysteme in Deutschland ergeben, auf Netzebene auszugleichen. Diesen Trend gibt es ja in ganz Europa: Man pusht die Erneuerbaren, vergisst dabei aber auf die Netze.

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