Sonntag, Dezember 22, 2024

Die Energiebranchen in Deutschland und Österreich entwickeln sich in die gleiche Richtung, mit ähnlichen Herausforderungen und einem gemeinsamen Verständnis davon, wie die Energiewende weiter umgesetzt werden muss.

Die deutsche Energiewende mit der schrittweisen Abkündigung der Atomkraft und dem weiterhin massiven Ausbau von Wind- und Solarkraft – das ist eine Lok, die nicht zu bremsen ist. Die Energieziele des großen Nachbarn stellen die Klimaschutz-Ambitionen der angrenzenden Staaten in den Schatten. »Wir hoppeln da mit unseren Bemühungen so hinterher«, formuliert es ein Vertreter der österreichischen Energiewirtschaft lapidar.

Für Barbara Schmidt, Generalsekretärin des Branchenverbandes Oesterreichs Energie, ist der Umbruch in allen Unternehmen in Österreich und in Deutschland im Gange. Eine Geschäftsreise des Verbandes im Mai führte zu innogy ins Ruhrgebiet. Das Energieversorgungsunternehmen, einer der Riesen in Deutschland, ist derzeit ein Vorzeigebeispiel für die erfolgreiche Bewältigung der großen Herausforderungen am Markt. Das Unternehmen mit Sitz in Essen nimmt sich vor allem im Bereich Innovation viel vor und setzt auf erneuerbare Energien und neue Geschäftsmodelle.

Aufspaltung und Fokussierung

Aufbruchstimmung mit Sonne und Wind, in einer Region, sie seit Beginn der Industrialisierung von der Kohle lebt? Das war vor wenigen Jahren noch anders. Die Branchengröße RWE vereinte das gesamte Spektrum von sauber und schmutziger Erzeugung. Im Vorjahr aber wurden die Sparten Erneuerbare, Netze und smarte Lösungen von der Mutter abgespalten. Kohle- und Kernkraftwerke blieben bei der RWE. 2016 spülte ein Börsengang Milliarden in die Kasse, zwei Milliarden davon gingen für neue Projekte direkt an die Tochter. Ähnliches hatte der Mitbewerber E.on unternommen. Gas- und Kohlekraftwerke wurden in das Unternehmen Uniper ausgegliedert, der Rest blieb unter dem E.on-Dach.

Bild oben: Barbara Schmidt, Oesterreichs Energie: »Energiewende nur mit Investitionen in Forschung und Innovation machbar.«

Das Geniale an der Ausgliederung? innogy hat auch das regulierte Netzgeschäft im Haus. Es bringt stabile Renditen für die Finanzierung der vielen Innovationsprojekte. Mehr als 60 Prozent des Umsatzes erwirtschaften die Essener heute mit ihren Leitungen – es ist ein Netz von immerhin 574.000 km Länge in ganz Europa, davon rund 360.000 km in Deutschland.

Hildegard Müller, Vorstand Netz und Infrastruktur von innogy, sieht ihr Unternehmen die Energiewende aktiv mitgestalten. »Wir sind Vorreiter mit unseren Ideen und legen großen Wert auf Innovation, Forschung und Veränderung. Das verbindet innogy mit unseren österreichischen Kollegen.« Mit Blick auf die Kelag, an der innogy mit rund 38 Prozent beteiligt ist, meint Müller: »Kelag und innogy passen sehr gut zueinander, weil beides Unternehmen der Energiewende sind und deren Chancen aus dem täglichen Geschäft kennen.«

Hub für Großes

Innovationsseitig wird bei innogy in unterschiedlichste Richtungen geforscht und probiert. Vor allem der Bereich Smart Home ist für Technik und Vertrieb eine große, grüne Wiese, die nun in fruchtbares Ackerland verwandelt werden soll. »Hausautomatisierung ist ein ernstzunehmender Markt, der nicht nur die Nerds anspricht«, heißt es dazu. Doch man weiß: Alleine ist der Kopfstand nicht möglich. Mehr als 450 Startups aus 51 Ländern haben sich zuletzt um begehrte Startplätze bei einem Programm mit dem flockigen Namen »Free Electrons« beworben. Erst vor wenigen Wochen hat innogy gemeinsam mit sieben weiteren internationalen Energieanbietern das Accelerator-Programm für Startups in der Energiebranche ins Leben gerufen.

Zwölf vielversprechende Technologiefirmen wurden jetzt aufgenommen. innogy unterhält in einem eigenen Innovation Hub ein Team von 120 Leuten – nicht alle sind Vollzeit-Beschäftige –, die sich mit neuen Geschäftsmöglichkeiten herumschlagen und viel reisen. Hub-Destinationen sind in London, Berlin, Silicon Valley und Tel Aviv in Arbeit, um Startups auch außerhalb der gewohnten Grenzen kennenzulernen und einzubinden. Die Expertinnen und Experten agieren bewusst am Rande der eigenen Organisation, um das natürliche Immunsystem des Unternehmens – bestehendes Geschäft zu bewahren – freundlich umgehen zu können. Unkonventionell ist auch die Acceleratoren-Philosophie des Hubs: Die eigenen Mitarbeiter in den Projekten werden dazu angehalten, als Teilhaber von Spin-offs zu wirken. So möchte man sicherstellen, dass die klugen Köpfe auch weiterhin im Tagesgeschäft voll engagiert sind.

Das Energiewende-Projekt »Designetz« von innogy ist wiederum ein Zusammenschluss von 46 Partnern aus Energie, Industrie, Kommunen, Forschung und Entwicklung, dessen Konsortialführerschaft innogy übernommen hat. Designetz wird vom deutschen Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gefördert. Gemeinsam will man die Frage beantworten, wie eine klimafreundliche, verlässliche und effiziente Energieversorgung bei wachsenden Anteilen schwankender Stromerzeugung aus Wind und Sonne zu erreichen ist. Hildegard Müller: »Es ist die entscheidende Frage der Energiewende.«

Nicht reibungslos

Auch Leonard Schitter, Vorstandssprecher der Salzburg AG, spricht bei dem Besuch in Essen von epochalen Veränderungen. »Wir spüren jeden Tag in der Energiewirtschaft, dass sich die Geschäftsmodelle ändern. Kunden werden zu Erzeugern, Partner werden zu Konkurrenten.« Er ist überzeugt, dass sich die Energieversorgungsunternehmen noch stärker zu Dienstleistern entwickeln werden. Der Wandel von der alten in eine neue Energiewelt geschieht selbstredend nicht reibungslos. Es ist die Quadratur des Kreises gefragt: Solange die Unternehmen noch können, werden sie Kosten einsparen müssen – während gleichzeitig in neue Modelle investiert werden soll. Und natürlich ist der Begriff der Digitalisierung gleichsam zum Wahlkampf-Slogan der Branche geworden. »Alles was sich digitalisieren, verbinden und automatisieren lässt, wird digitalisiert, verbunden und automatisiert«, formuliert es Schitter.

Bild oben: innogy bietet Sprachsteuerung von Amazon Echo für das »innogy SmartHome« an.

»Eine zunehmend auf erneuerbaren Energien basierende Stromproduktion verlangt innovative Lösungen für die Stromnetze, Stromspeicher und die Systemsicherheit, dazu muss in Forschung und Innovation investiert werden«, weiß auch Barbara Schmidt von Oesterreichs Energie. innogy zeige auf, wie offensiv an der Zukunft der Stromversorgung und neuen Geschäftsmodellen gearbeitet werden kann. Was Schmidt nicht ausspricht: Der deutsche Energiekonzern hat eine Kriegskassa, von der österreichische Energieversorger nur träumen können.

Plan für die Zukunft

Mit der Stromstrategie »Empowering Austria« hat der Branchenverband bereits im Vorjahr ein Programm präsentiert, mit dem Österreich den Anteil von Strom an der gesamten Energieversorgung bis 2030 von derzeit 20 auf 33 Prozent steigern könnte. 2030 würden dann bereits 85 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Energien kommen.

Die heimische E-Wirtschaft ist aufgrund der Topologie und der intensiven und frühen Nutzung von Wasserkraft insgesamt sehr sauber aufgestellt – mit weit weniger Kohlekraftwerken als im Rest Europas.

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