Montag, Juli 22, 2024

Warum Digitalisierung kein Modewort ist und wie der Wandel von Geschäftsmodellen technisch gestaltbar ist: Franz Grohs, Vorsitzender der Geschäftsführung T-Systems Austria, im Interview mit Report (+) Plus.

(+) plus: Wenn Sie das Thema Digitalisierung beschreiben wollen – worum geht es aus Ihrer Sicht dabei?

Franz Grohs: Digitalisierung gibt es seit dem Aufkommen der Informationstechnologie. Sie wird von jenen nun als Hype gesehen, die sich damit noch nicht intensiv auseinandergesetzt haben. Von der Digitalisierung werden nicht nur einzelne Teile eines Unternehmens, wie etwa die Produktion, sondern sämtliche Bereiche erfasst. Ziel dabei ist, produktiver zu werden und möglichst viele Prozesse auf den Kunden hin auszurichten. Ob das in einer anderen Branche nun die Paketnachverfolgung bei Amazon oder Öffnungsmechanismen bei den Zustellkästen der Österreichischen Post betrifft – alles ist digital.

Ich sehe vier Schwerpunkte rund um das Thema Digitalisierung: zum einen die Anbindung an ein leistungsfähiges Netz – ob mobil oder leitungsgebunden. Das Zweite sind Cloud-Systeme, die flexibel die Durchgängigkeit von IT-Lösungen innerhalb eines Unternehmens garantieren – auch zwischen verschiedenen Systemen. IT-Anbieter wie T-Systems sind bereits Cloud-Integratoren von unterschiedlichen Technologien und Cloud-Landschaften. Dann sollte ein IT-Dienstleister natürlich über eine gewisse Lösungskompetenz für die Prozessketten einer Branche verfügen.

Sicherheit ist der vierte Schwerpunkt: Durch die vielen Komponenten innerhalb einer Cloud und in den Netzwerken existieren in der Regel mehr Schnittstellen nach außen als bei einem IT-Betrieb rein im eigenen Haus. Wir haben eben nicht mehr nur Veränderungen in der Inhouse-IT, sondern eine integrierte cloudbasierte Digitalisierungswelle. Das ist etwas, das Unternehmen mitunter auch überfordern kann. Das Geheimnis erfolgreicher Unternehmen und neuer Geschäftsmodelle ist dann das Zusammenspiel der unterschiedlichen Technologien.

(+) plus: Ist Digitalisierung nicht auch einfach ein Verkaufsslogan der IT-Industrie?

Grohs: Dieser Begriff mag vielleicht am Anfang dieser Welle von Marketingzielen getrieben worden sein. Ein reiner Verkaufsslogan ist er heute sicherlich nicht mehr, da das Wort Digitalisierung schon sehr gut die Herausforderungen und Veränderungen in unserer Wirtschaft und Gesellschaft umschreibt.

(+) plus: Dieser Wandel benötigt wesentlich größere IT-Ressourcen und Rechenleistungen. Wie lässt sich das halbwegs leistbar für Unternehmen gestalten?

Grohs: In der Digitalisierung aller Unternehmensprozesse fallen natürlich auch viele Daten an, die sinnvoll verarbeitet werden sollten. Große Unternehmen können sich diesen Wandel leisten, indem sie ihn selbst mit ihren eigenen Mannschaften und Kapazitäten gestalten – ich denke da etwa an die gro­ßen Automobilhersteller. In der mittelständischen Industrie dagegen wird man nicht für jede Software einen eigenen Spezialisten beschäftigen können – das wurde früher schon mit dem Auslagern von Services an Dienstleister gelöst.

Neu in der Digitalisierung ist nun, dass sich neben den gro­ßen IT-Anbietern auch kleinere spezialisierte Unternehmen durchsetzen werden, die ihre Lösungen individuell für ihre Kunden bieten. Große Unternehmen können sich nun auf Dienstleister wie T-Systems verlassen oder parallel dazu auch von kleineren Anbietern direkt Lösungskompetenz einkaufen. Letztere nutzen dann wieder die gro­ßen IT-Plattformen am Markt. Deshalb ist es für uns wichtig, Kooperationen in alle Richtungen zu suchen.

T-Systems ist vor ein paar Jahren mit dem Angebot einer Cloud-Plattform in Österreich gestartet, der »vCloud«, in der nach dem »Pay per use«- Prinzip den Kunden nur jene IT-Infrastruktur verrechnet wird, die auch tatsächlich genutzt wird. Dieser Wandel der Art und Weise, wie wir Produkte und Services betrachten, kann auch in anderen Branchen beobachtet werden. Junge Leute werden in zehn bis 15 Jahren Autos vielleicht nur noch mieten anstatt sie zu kaufen. In diesem disruptiven Modell in der Automobilbranche bekommen die Hersteller eine völlig neue Rolle: Sie werden zu Verleihern und Dienstleistern.

Heute bieten wir zusätzlich zur vCloud auch Cloudlösungen von Cisco und unsere eigene »Open Telekom Cloud« – eine Plattform, die auf offene Standards setzt. Die nötigen Kapazitäten können wir mit unseren Rechenzentren in Österreich und Standorten europaweit vorhalten. Die jüngste Erweiterung war der Bau eines gespiegelten Rechenzentrums in Biere, in der Nähe von Magdeburg. Diese Investition hat sich für unser Unternehmen innerhalb von zwölf Monaten voll ausgezahlt. Die Flächen sind ausverkauft. Der Bedarf ist groß und es wird schon an der nächsten Erweiterung gearbeitet.

(+) plus: Wo sehen Sie Herausforderungen? Wie lässt sich die Datenflut sinnvoll bewältigen?

Grohs: Die gesamte IP-basierte Welt, wie wir sie heute sehen, ist in dieser Größe gerade einmal fünf bis sechs Jahre alt. Allein die Datenvielfalt in den GSM-Netzen hat sich in den letzten zehn Jahren verzehnfacht. Das führt zu der Frage, ob all diese Daten überhaupt verarbeitet werden können – auch in einer Art Gemischtwarenhandlung mit Bild, Ton, Sprache und Text. Gerade im Mobilfunk bei unserer Schwester T-Mobile ist klar zu erkennen, wohin die Reise geht. Sprachkommunikation stagniert, die Nutzung von Apps und Datendiensten hat auf den Geräten überhandgenommen. Übers Handy werden Sportaktivitäten und die Fitness überwacht, es werden darüber Bestellungen gemacht, Überweisungen getätigt, und künftig beispielsweise auch Chips in der Kleidung vernetzt. Das eröffnet komplett neue Service­modelle auch im Bereich Augmented Reality.

(+) plus: Wie gut ist nun die heimische Wirtschaft für diese Veränderungen aufgestellt?

Grohs: Ich glaube, dass sich im Hintergrund, in der Bewusstseinsbildung zu diesen Themen, weitaus mehr tut, als wir alle glauben. Den Menschen ist bewusst, dass Handlungsbedarf besteht. Vielen fehlt aber noch der Ansatzpunkt, wo Veränderungen und konkrete Lösungsansätze beginnen und wo sie enden. Es ist immer eine Frage der Prozessdurchgängigkeit. Die wahren Innovationen erstrecken sich über einzelne Bereiche wie Bestellwesen, Produktion, Logistik und Kundenservice. So werden in modernen Systemen die Kunden mit Informationen über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg versorgt.

Für jede Branche und für jeden Kunden sind dazu eigene Ansätze nötig. Die Effekte, die man mit Digitalisierungsmaßnahmen erzielen kann, sind überall anders. Ein Paradeunternehmen in diesem Bereich in Österreich ist Knapp mit der Entwicklung von Datenbrillen für den Einsatz in der Logistik: Staplerfahrer werden über eingeblendete Informationen zum richtigen Regal geleitet. Eine automatisierte Transportlogistik erkennt über Kamerasysteme selbst Kleinstteile in Behältern, kontrolliert diese und ordnet sie richtig zu. Gesamte Lagersysteme werden effizient auf Basis von Algorithmen bestückt und verwaltet. Hinter allen Waren liegen dann auch Herstellerdaten gespeichert, etwa zur Materialzusammensetzung und Herkunft.

(+) plus: Wie sehr ist das Thema Sicherheit ein Hindernis oder Stolperstein in diesem Wandel? Können IT-Prozesse jemals absolut sicher sein?

Grohs: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Selbst wenn man das Menschenmögliche und kaufmännisch Vertretbare schafft – bei einem gezielten, personalisierten Hackerangriff haben Unternehmen kaum eine Chance. Solche Fälle hat es aber auch vor dem IT-Zeitalter gegeben. Was man sehr wohl tun kann, ist das Abfedern und Abfangen eines Großteils herkömmlicher Angriffe auf einen Betrieb. Hier sind aber schon Spezialisten gefragt, denn wie und wo Angriffe passierten, kann vielfältig sein. Letztlich geht es um die Zeitspanne, wie lange sich Hacker unbemerkt in einem Firmennetzwerk orientieren und bewegen können – durchschnittlich sind dies sechs bis neun Monate. Viele merken es oft gar nicht.

Das Wichtigste in Unternehmen ist allerdings die Awareness der eigenen Mitarbeiter zu Sicherheitsthemen. Das betrifft vor allem Führungskräfte: Manche Executives sind in Sicherheitsbelangen leichtsinniger als ihre Mitarbeiter, wenn sie sich über Maßnahmen hinwegsetzen.

Wenn einmal Bewusstsein da ist – Kampagnen dazu sollten in einer Organisation wenigstens jährlich durchgeführt werden –, dann gibt es natürlich auch technische Lösungen, Netze und Geräte sicherer zu machen.

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