Genug geredet, die Zeit zum Handeln ist gekommen: Der Wandel zur Industrie 4.0 muss in greifbare Veränderungsprozesse portioniert werden.
Der Begriff »Industrie 4.0« bekommt derzeit viel mediale Aufmerksamkeit. Das Credo: Entweder man setzt sich mit dem Begriff auseinander (und vor allem: lässt die Welt wissen, dass man dies tut) oder man wird als rückständig abgestempelt. Als Konsequenz daraus packen die großen Zulieferer und industriellen Dienstleister den Stempel Industrie 4.0 nun gerne pauschal auf ihre Produkte und Dienstleistungen, wobei dabei nur in seltenen Fällen tatsächlich Neues geboten wird – fast ausschließlich handelt es sich um neue Verpackungen bestehender Dinge.
Die großen Produktionsunternehmen wiederum gründen und unterhalten Innovationsgruppen, Task Forces und ganze Abteilungen, die sich mit der Transition der eigenen Fertigung zu Industrie 4.0 auseinandersetzen. Die Ergebnisse sind oft sehr theoretisch und manifestieren sich gerne in ausufernden Foliensätzen, gegenseitigen Vorträgen in Interessensgruppen und verbalen Bekenntnissen. Und dann gibt es noch die Politik, die Industrie 4.0 der Einfachheit halber gleich mal als Antwort auf alle Fragen zu wirtschaftlichen Herausforderungen der kommenden Jahre auserkoren hat.
Objektiv betrachtet müsste man dem Thema also ein durchwegs schlechtes Zeugnis ausstellen. Ganz so schlimm ist es bei genauerem Hinsehen jedoch nicht, denn immerhin führte es bereits dazu, dass sich Industrieunternehmen kritisch mit ihren eigenen Leistungen und Abläufen auseinandersetzen und die Notwendigkeit zur Weiterentwicklung zumindest identifiziert, teilweise auch bereits den Veränderungsprozess skizziert haben. Die erzielten Ergebnisse und Erkenntnisse sind also zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Woran es jedoch den meisten noch mangelt, ist die Umsetzung dieser Erkenntnisse in konkrete Projekte und Produkte.
Die Sache mit der Revolution
Nimmt man die politische Bedeutung des Begriffes Revolution, wird schnell klar, was damit gemeint ist: Man kann eine Revolution nicht nur herbeireden, irgendjemand muss sie auch mal initiieren. Die angestrebte Revolution im eigenen Unternehmen findet de facto aber noch kaum statt. Dabei drängt die Zeit, denn für Europa und die USA geht es um nicht weniger als die eigene Zukunft als Industriestandort und somit wohl auch den vielzitierten Erhalt des Wohlstandes.
Die Revolution muss in greifbare Veränderungsprozesse portioniert werden, die schrittweise zum Leben erweckt werden, nur dann wird sie stattfinden und etwas zum Positiven verändern. Niemand sollte sich gezwungen fühlen, sich plötzlich mit Internet of Things, Smart Factory, Big Data und Machine Learning gleichzeitig auseinanderzusetzen, um zu den Profiteuren der Revolution zu gehören. Vielmehr geht es darum, sich aus dem riesigen Pool der Trends und Schlagworte, die heute unter dem Dachbegriff Industrie 4.0 schweben, diejenigen rauszugreifen, die das eigene Unternehmen voranbringen, die es effizienter und profitabler machen. Es geht darum, abstrakt gefasste Begriffe und sinnfrei in den Raum geworfene Technologienotwendigkeiten auf die eigene Situation zu applizieren, sie zu adaptieren – oder auch neue zu definieren – und dadurch einen individuellen Weg vorwärts zu finden.
Aktion statt Reaktion
Das Gebot der Stunde sollte also lauten: Genug geredet, die Zeit zum Handeln ist gekommen. Wenn ein Konzern zehn Schritte auf dem Weg zu Industrie 4.0 für sich identifiziert hat, ist es vorteilhafter, die Umsetzung des ersten Schrittes zeitnah einzuleiten, anstatt sich noch zwei Jahre darüber Gedanken zu machen, ob es nicht doch elf oder zwölf Schritte zur Revolution braucht. Denn die wirkliche, aber namenlose Revolution findet bereits statt, ob mit oder ohne Deutungsbemühungen des Begriffs Industrie 4.0.
Sie findet immer statt, sie ist kontinuierlich und sie ist nicht aufzuhalten. Wir müssen uns lediglich fragen, auf welcher Seite wir stehen wollen: Ob wir wirklich noch diejenigen sind, die die Bastille stürmen, oder ob unser Abwarten schon bald dazu führt, dass wir gestürmt werden.
Zum Autor Jürgen Kneidinger ist CEO bei Augmensys. Das in Klagenfurt und Linz ansässige Unternehmen bietet Software für mobiles Datenmanagement mit Augmented-Reality-Unterstützung für Industrie und Gewerbe. |