Mobilfunknetze müssen sich von ihrer jetzigen statischen Form lösen und zu Plattformen entwickeln, die multiple Services und neue Geschäftsmodelle für Mobilfunkanbieter möglich machen. Das Ziel von 5G muss also sein, nicht nur schneller, sondern vor allem flexibler zu sein. Von Erich Stemmer, CTO bei Alcatel-Lucent Austria.
LTE ist ein Erfolg. 2009 gestartet, gibt es heute rund 650 Millionen LTE-Nutzer in über 100 Ländern. 2019 werden es mehr als zwei Milliarden sein. In vielerlei Hinsicht hat LTE die Erwartungen erfüllt, die 3G geweckt hat. Allem voran hat LTE die breite Verwendung von mobilem Video-Streaming und Videotelefonie möglich gemacht. Und es gibt noch mehr von LTE zu erwarten: Aktuell werden bereits Features der nächsten Stufe, bekannt als LTE-Advanced, ausgerollt, die höhere Übertragungsraten und bessere Nutzererfahrungen als aktuelle LTE-Services liefern werden.
Trotz all der Erfolge bleibt LTE eine Technologie, die auf Dienste ausgelegt ist, die mobiles Breitband benötigen. Das ist wunderbar für Videos oder schnelles Surfen. Ineffizient ist es allerdings, wenn es um Dienste wie Messaging Apps geht, denn diese verursachen geringe Datenmengen, aber viele Sende- und Empfangsvorgänge, also Signalling. Durch immer mehr Apps und mit dem „Internet-of-Things“ am Horizont wird diese Diskrepanz – zwischen dem was die Technologie gut kann und dem was sie gut können sollte – immer größer.
Neue Services zur Erneuerung der Branche
Zudem konnte LTE auch den Langzeittrend stagnierender Gesamtumsätze der Provider nicht umkehren. Trotz des Siegeszuges des Smartphones mit dieser Netzgeneration ist es der Branche bislang nicht gelungen, neue Geschäftsmodelle zu etablieren.
Darum haben Alcatel-Lucent, und die gesamte Branche, in den vergangenen fünf Jahren in die Forschung und Entwicklung von Technologien für ein neues Netz investiert. Services und Anwendungsfälle, die über die Möglichkeiten von LTE und LTE-A hinausführen, sind das, was wir als 5G bezeichnen.
Dazu gehören, unter anderem, folgende:
1. Extrem hohe Durchsatzraten von 10-20 Gbit/s: Breitband-Zugang wird einer der wichtigsten Anwendungsfälle bleiben.
2. Service-Abdeckung: Netzzugang soll überall möglich sein – sowohl geographisch in weiteren Gebieten als auch tief im Inneren von Gebäuden.
3. Menschenmengen: Kapazität soll für voraussagbare wie auch für spontane Menschenansammlungen zur Verfügung stehen. Das erfordert die Fähigkeit, Kapazität dynamisch und sehr kurzfristig liefern zu können.
4. Kommunikation in geschäftskritischen Bereichen: Viele industrielle Automations- und Kontroll-Prozesse bedürfen absoluter Zuverlässigkeit – bei nahezu null Verzögerung. 5G soll das bieten und damit als Basis für neue Geschäftsmodelle in einer ganzen Reihe von Branchen dienen.
5. Kommunikation im öffentlichen Sektor: 5G kann das Netz ausfallssicherer machen. Falls einige Netzknoten und Basisstationen ausfallen, können Geräte immer noch bedient werden – entweder indem sie in einer vermaschten Netzarchitektur direkt miteinander kommunizieren, oder indem sie zur nächsten funktionierenden Basisstation weitergeleitet werden.
6. Internet of Things: In diesen Bereich fallen viele Anwendungsfälle, z.B. landwirtschaftliche und entlegen liegende Sensoren, die wenige Daten senden, aber nur äußert wenig Energie verbrauchen dürfen. Gesundheits- und andere Sensoren, die absolute Verlässlichkeit verlangen, gehören ebenso dazu wie der engmaschige Einsatz im städtischen Raum oder vernetzte und selbstfahrende Autos.
Es ist augenscheinlich, dass diese Anwendungsfälle sehr unterschiedliche Anforderungen stellen. Manche benötigen hohe Durchsatzraten und sind toleranter bei Verzögerungen (Latenz). Andere verursachen kaum Datenverkehr, müssen aber in quasi-Echtzeit mit dem Netz und der Applikation kommunizieren. Was 5G von 4G unterscheiden wird, ist die Fähigkeit, all diese verschiedenen Anforderungen gleichzeitig in einem Netz zu erfüllen - effizient, verlässlich, intelligent und optimiert.
Und so kann das funktionieren:
Das 5G-Netz Wirklichkeit werden lassen
Der erste Schlüsselfaktor wird ein neues Interface zwischen Endgeräten und Funknetz sein. Die Bell Labs, der Forschungszweig von Alcatel-Lucent, haben die weltweite Forschung an einer neuen Wellenform (dem Verlauf einer Signalkurve) angeführt, die die Grundlage für diese neue Luftschnittstelle sein soll. Die Universal Filtered OFDM (UF-OFDM) Wellenform filtert das Signal über Sub-Bänder, um so unterschiedliche Gerätetypen über die gleiche Luftschnittstelle zu bedienen.
Zweitens werden Abdeckung und Durchsatz erhöht. Im bestehenden Spektrum erlauben das Technologien wie Massive MIMO und Extended Duplex Radio. Außerdem soll 5G auch in nicht-lizensierten und sehr hohen Frequenzbereichen arbeiten können.
Drittens wird sich die Netzarchitektur grundlegend verändern – angetrieben durch Network Function Virtualization (NFV) und Software Defined Networks (SDN).
Dadurch wird die Dienste-Architektur transformiert: Statt einer Reihe von vertikalen Silos, in denen einzelnen Diensten spezifische Ressourcen zugewiesen sind, wird es ein gemeinsames Netz geben, dass seine Ressourcen in virtuelle „Scheibchen“ einteilt, um Dienste dynamisch anzubieten. Möglich machen diese Ressourcenzuteilung u.a. Alcatel-Lucent´s CloudBand und SDN Plattformen.
Das letzte Puzzlestück für das 5G-Netz ist mehr Virtualisierung und Verteilung von Netzfunktionen. Cloud-Ressourcen werden an den Rand des Netzes platziert, so dass Inhalte oder Anwendungen nah beim Endnutzer liegen. Damit umgeht man den langen Weg zum Core-Netz und zurück und erreicht die geringe Latenzzeit, die einige kritische 5G-Anwendungsfälle verlangen. Alcatel-Lucent konnte beim heurigen Mobile World Congress erstmals live eine solche Informationsübertragung präsentieren.
Das Ziel von 5G
Bei 5G geht es um mehr als darum, Spitzen-Innovationen auf den Markt zu bringen oder eine Checkliste von technischen Features abzuliefern. 5G bietet der Branche die Chance, aktuelle Dienste und Geschäftsmodelle hinter sich zu lassen, und nachhaltig zu wachsen. LTE-A wird sich weiterentwickeln, und Alcatel-Lucent wird auf diesem Gebiet ihre Kunden weiterhin unterstützen. Die nächste Generation von Mobilfunknetzen muss aber eine sein, die uns die Digitalisierung unseres Lebens ermöglicht – über ein dynamisches, konfigurierbares und intelligentes Netz. Das ist 5G, das ist unser Ziel.
Über den Autor
Erich Stemmer ist seit Mai 2015 CTO von Alcatel-Lucent Austria. Er ist 1991 als Development Teamleader bei der damaligen Alcatel eingestiegen und hat seitdem in verschiedenen Positionen im Unternehmen gearbeitet - u.a. in den Bereichen Technical Support & Development, Technical Sales sowie Solutions & Marketing. Erich Stemmer hat einen Abschluss als Dipl. Ing. in Nachrichtentechnik/Elektrotechnik von der Technischen Universität Wien.