Samstag, Dezember 21, 2024

Maßnahmen für ältere Mitarbeiter ziehen auch vermehrt junge Arbeitskräfte an, meint Irene Kloimüller, Geschäftsführerin des Instituts Wert: Arbeit und »Nestor«-Assessorin.

(+) plus: Mehrere Generationen in einem Betrieb – das gab es früher auch. Warum rückt das Thema jetzt so stark in den Vordergrund?

Irene Kloimüller:
Das Verteilungsverhältnis hat sich geändert. Vor ein paar Jahrzehnten befanden sich noch mehrheitlich jüngere Menschen im Arbeitsprozess, heute sind die Altersgruppen ab 45 Jahre deutlich stärker vertreten. Die Werteprofile unterscheiden sich stark, auch innerhalb der Generationen. Die Konsequenz daraus: Es gibt nicht das Patentrezept. Man muss in der Personalarbeit zunehmend individualisieren, um die jeweiligen Bedürfnisse und Stärken zu berücksichtigen. Das ist ein Nachholprozess. Jahrzehntelang fielen die Älteren frühzeitig aus dem Arbeitsleben. Jetzt stehen wir erstmals vor der Herausforderung, diese Menschen länger zu beschäftigen.

(+) plus: Welche Maßnahmen können Unternehmen treffen, um für ältere Beschäftigte ein positives Arbeitsumfeld zu schaffen?

Kloimüller:
Es gibt vier Hebel, die in fast allen Betrieben recht gut funktionieren. Zunächst die Wertschätzung: Da arbeiten wir an typischen, abwertenden Bildern – ältere Mitarbeiter sind nicht leistungsfähig, wollen nichts Neues lernen oder sind oft krank. Auch die Betroffenen haben oft eine negative Meinung von sich selbst.
Der zweite Hebel ist die Arbeitszeit: Je mehr Flexibilität es gibt, desto besser ist die Leistungsfähigkeit der Älteren. Auf die kürzeren Arbeitszeitmodelle springen übrigens auch junge Väter gerne an.
Der dritte Hebel ist die Monotonie: 50-Jährigen fehlt oft die qualitative Herausforderung. Sie leiden unter Zeitdruck und können deshalb z.B. bei der Kundenberatung nicht mehr in die Tiefe gehen, was ja aufgrund ihrer Erfahrung ihre besondere Kompetenz wäre.
Der vierte Hebel ist die Arbeitsplatzergonomie: Das betrifft ganz banale Dinge – etwa auf Bildschirmen die Leuchtstärke heller und die Schrift größer einzustellen. Darüber gibt es viel Wissen, aber in die Betriebe ist das noch nicht vorgedrungen.

(+) plus: Aufgrund des Fachkräftemangels richten viele Unternehmen ihre Ressourcen verstärkt auf den Nachwuchs aus. Wird auf ältere Arbeitnehmer vergessen?


Kloimüller:
Junge anzuwerben ist schon sinnvoll. Wenn in einer Abteilung 60 % über 45 Jahre alt sind, bleiben noch gut zehn Jahre für die Personalentwicklung und eine geordnete Übergabe. Bei Schichtarbeit steigen dann nämlich bereits die ersten Leute aus. Unternehmen in wirtschaftlich guter Lage bemühen sich aber derzeit um alle Altersgruppen. Ältere werden gerade wegen ihrer Erfahrung gebraucht. Auch das regionale Umfeld spielt eine Rolle. In der Mur-Mürz-Furche etwa finden Betriebe überhaupt keinen Nachwuchs und sind darauf angewiesen, die Belegschaft möglichst lange zu halten. Unternehmen, die in Richtung Gesundheit und Work-Life-Balance aktiv sind, werden auch für jüngere Arbeitskräfte attraktiver.

(+) plus: Welchen Stellenwert nimmt die Gesundheit ein?

Kloimüller:
Das Thema Gesundheit gewinnt mit dem Älterwerden der Mitarbeiter subjektiv an Bedeutung, obwohl natürlich auch Junge oft gesundheitliche Probleme haben. Wenn früher jemand länger krank war, hat man versucht, ihn loszuwerden, egal in welchem Alter. Heute wird stärker differenziert. Wer nach einem Unfall im Rollstuhl sitzt, kann nicht mehr in der Produktion arbeiten, aber vielleicht in der Qualitätssicherung.

(+) plus: Was braucht es darüber hinaus?

Kloimüller:
Beim Generationenmanagement geht es ganz stark um Grundeinstellungen und Werte. Wir nennen das den »psychologischen Arbeitsvertrag« – die Menschen geben etwas, aber was bekommen sie außer Geld dafür zurück? Wird ihre Arbeit geschätzt? Lohnt es, sich in diesem Unternehmen zu engagieren? Kooperation und Führung sind hier gefragt, um Spielräume für individuelle Bedürfnisse zu schaffen.

(+) plus: Welche Rolle spielt die Einkommenskurve?

Kloimüller:
Nur über das Einkommen lässt sich das Problem nicht lösen. Es geht letztlich um die Frage, ob man bereit ist, das Potenzial der Älteren zu sehen und zu holen. In einigen Branchen würde eine Abflachung der Einkommenskurve Erleichterung bringen. Ein Bankangestellter verdient beispielsweise mit 50 trotz niedrigerer Basisqualifikation das Doppelte eines jungen Akademikers, der gerade erst in den Job einsteigt. Nur die letzten Jahre anzuschauen, wäre trotzdem unfair. Es gibt außerdem Berufe, in denen man nicht bis 65 bleiben kann. Für schwere Tätigkeiten wird es – zu Recht – weiterhin einen früheren Ausstieg geben müssen.

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