Sonntag, Dezember 22, 2024
»Mehr Wachstum würde mich überraschen«

Im Interview mit Report(+)PLUS spricht Andreas Pfeiler, Geschäftsführer Fachverband Steine-Keramik, über das Sorgenkind Wohnbauförderung, den Kampf um qualifizierte  Mitarbeiter und die Bilanz 2018. Außerdem erklärt er, warum sich die Forderung nach einer verpflichtenden Herkunftsbezeichnung für Baustoffe vielleicht bald von selbst erledigt.

(+) plus: 2017 haben die Mitgliedsunternehmen des Fachverbands Steine-Keramik ein Umsatzwachstum von 3,62 % erzielt. Zu verdanken war das in erster Linie aber den Industriezulieferern. Die bauaffinen Branchen hatten mit einem niedrigen Preisniveau zu kämpfen. Hat sich dieser Trend 2018 fortgesetzt?

Andreas Pfeiler: Es gibt noch keine endgültigen Zahlen. Aber der Trend zeigt, dass sich die bauaffinen Branchen besser entwickelt haben. Das liegt an den milden Temperaturen Anfang 2018 und dem Wohnbau als Treiber. Viele Bauträger haben mit einem Anstieg der Leitzinsen gerechnet und deshalb Ende des Jahres noch Projekte zu güns­tigen Zinsen finanziert. Da wurden einige Projekte vorgezogen, weshalb 2019 mit einer Abschwächung zu rechnen ist.

Prinzipiell ist zu sagen, dass wir eine konservative Branche am Beginn der Wertschöpfungskette sind. Wir bewegen uns in der Regel parallel zum gesamtwirtschaftlichen Wachstum. Deutlich stärkere Zuwachsraten würden mich schon sehr überraschen.

(+) plus: Trotz Hochkonjunktur und Bauboom gelingt es den Baustoffherstellern kaum, Preise zu erhöhen und die eigenen Margen zu verbessern. Auch die Bauunternehmen klagen, dass trotz steigender Baupreise für sie nicht mehr vom Kuchen übrig bleibt. Wer verdient also?

Pfeiler: Das ist eine gute Frage, die einfach zu beantworten ist. Gebaut wird vor allem in urbanen Zentren. Dort schießen die Grundstückspreise in die Höhe. Bei so hohen Grundstückspreisen lassen sich auch keine Baupreise mehr erhöhen, weil kein Bauherr bereit ist, noch mehr Geld auszugeben – egal ob für höherwertige Baustoffe oder höhere Bauqualität. Und leider sind wir infrastrukturell noch nicht so aufgestellt, dass wir die Peripherie mit den urbanen Zentren gut verbinden könnten. Das würde den Druck in den Ballungszentren etwas mildern.

(+) plus: Die Stärkung der Infrastruktur im ländlichen Raum ist eine langjährige Forderung des Fachverbands Steine-Keramik. Was erwarten Sie von der Regierung?

Pfeiler: Die neue Regierung hat es zwar auf der Agenda, viel ist bislang aber noch nicht passiert. Außer den schon länger beschlossenen Maßnahmen in Niederösterreich ist mir nichts bekannt. Dabei wäre eine weiterführende, bewusste Dezentralisierung wichtig, um die Peripherie aufzuwerten. Dafür wäre es aber auch nötig, den öffentlichen Verkehr etwa mit Hochgeschwindigkeits-Zugverbindungen weiter auszubauen.

(+) plus: Eine Hochgeschwindigkeitsverbindung von Gmünd nach Wien wird sich wirtschaftlich aber nicht darstellen lassen. Die Westbahn etwa wird so eine Strecke kaum befahren. Dann wird auch schnell wieder die Kritik an der defizitären ÖBB laut ...

Pfeiler: Das ist schon richtig. Aber Umweltmaßnahmen lassen sich nur selten wirtschaftlich darstellen. Wenn wir den nachfolgenden Generationen eine intakte Umwelt hinterlassen wollen, dann muss es der Gesellschaft auch wert sein, entsprechend zu inves­tieren. Die Beistellung der Infrastruktur ist eine der zentralen Aufgaben eines Staates. 

(+) plus: Inwieweit ist die Baustoffindustrie vom viel zitierten Fachkräftemangel betroffen?

Pfeiler: Wir unterscheiden uns da nicht von anderen Branchen. Es wird eines der Hauptthemen der Zukunft sein, qualifiziertes Personal für unsere Bedürfnisse zu finden. Wir konkurrieren in der Old Economy mit Unternehmen aus der New Economy. Für viele Jugendliche klingt es deutlich reizvoller, für irgendein Start-up oder einen Internetriesen zu arbeiten, als Handwerker zu sein. Das Berufsbild hat wenig Charme, gleichzeitig erwarten wir aber höchste Qualität. Diesen Spagat muss man irgendwie schaffen. Wir werden den Bedarf auch nicht mehr wie in der Vergangenheit mit Fachkräften aus dem benachbarten Ausland decken können, denn in den ost- und südosteuropäischen Ländern gibt es heute Arbeit genug. 

Dafür muss auch die Ausbildung überdacht werden. Wir müssen weg vom rein traditionellen Berufsbild des Handwerkers und unsere künftigen Mitarbeiter auch mit Digitalisierungsprozessen konfrontieren. Auch ein Maurer oder Polier muss heute mit Datenbanken umgehen können, sonst können wir noch so viel von trendigen Themen wie Building Information Modeling sprechen, dann wird sich auf der Baustelle nichts ändern. 

(+) plus: Ein Sorgenkind bleibt die Wohnbauförderung. Das Institut für Immobilien, Bauen und Wohnen hat gezeigt, dass die Förderausgaben 2018 gesunken sind. Eine Umfrage des Bau & Immobilien Report im Dezember hat gezeigt, dass diese Negativentwicklung auch 2019 fortgesetzt wird. Ist die Wohnbauförderung ein Auslaufmodell?

Pfeiler: Ich hoffe nicht. Die Wohnbauförderung hat eine breite Bevölkerungsschicht erreicht. Das hat zu einer guten Durchmischung der Bevölkerung geführt. Das ist auch ein wesentlicher Beitrag zum sozialen Frieden in Österreich. Das ist enorm viel wert und darf auch von der Politik nicht außer Acht gelassen werden. Außerdem ist die Wohnbauförderung ein exzellentes politisches Lenkungsinstrument. Aber solange die Zinsen so niedrig sind, haben es andere Finanzierungen schwierig.

(+) plus: Dem geringen finanziellen Benefit stehen hohe Anforderungen etwa im energetischen Bereich gegenüber. Braucht es eine Überarbeitung der Wohnbauförderung?

Pfeiler: Ganz sicher. Die braucht es aber ständig. Förderbedingungen müssen regelmäßig evaluiert und entstaubt werden. Aber die Politik wird ja auch für die Lenkung der Gesellschaft gewählt. Die Klima- und Energiepolitik stellt uns ständig vor neue Herausforderungen, damit wir den nachfolgenden Generationen eine lebenswerte Umwelt hinterlassen können. Da muss die Politik auch so ehrlich sein, der Gesellschaft zu sagen, dass diese Herausforderungen etwas kosten. Wir können schon so weitermachen wie bisher, aber dann bekommen unsere Kinder und Kindeskinder die Rechnung präsentiert. Deshalb ist es wichtig, mit der Wohnbauförderung finanzielle Anreize zu schaffen.

(+) plus: Seit vielen Jahren fordern Sie eine verpflichtende Herkunftsbezeichnung für Baustoffe. Mit überschaubarem Erfolg. Wie lange ist Ihr Atem? Oder wird es langsam Zeit für einen geordneten Rückzug?

Pfeiler: Auf keinen Fall. Das Thema Regionalität wird auch bei Baustoffen in Zukunft an Bedeutung gewinnen. Deshalb ist es wichtig, den Konsumenten mit einer Herkunftsbezeichnung zu zeigen, woher ein Produkt kommt und welcher Transportaufwand dafür betrieben wird. Dass den Menschen diese Information wichtig ist, sieht man ja auch im Lebensmittelbereich. Dazu kommt, dass der Transport immer teurer wird. Das rechnet sich vielleicht bei Produkten mit einer hohen Wertschöpfung, nicht aber bei Baustoffen. Damit erledigt sich das Thema vielleicht von selbst.

(+) plus: Beim Gipfeltreffen der europäischen Baustoffindustrie in Wien wurde der Politik ein Positionspapier zu den drängendsten Fragen der Branche übergeben – vom Facharbeitermangel über leistbares Wohnen bis zur Kreislaufwirtschaft. Wie sehen die konkreten Forderungen aus?

Pfeiler: Beim Fachkräftemangel geht es wie bereits erwähnt darum, den Sprung in eine neue, digitale Ausbildungsära zu schaffen. Beim Wohnraum wollen wir aufzeigen, dass sich die Politik in Europa nicht aus der Siedlungs- und Wohnbaupolitik verabschieden darf. Es wird immer Wanderbewegungen geben. Die müssen gesteuert werden, sonst wird es irgendwann knallen wie in den Pariser Banlieus oder den Londoner Vororten. Wir brauchen die Arbeitskräfte, dann müssen wir ihnen aber auch vernünftigen Wohnraum zur Verfügung stellen. Das österreichische Modell funktioniert sehr gut, das könnte durchaus ein Vorbild für Gesamteuropa werden.

Und Kreislaufwirtschaft sollte heutzutage ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein. Wir gehen da auch mit gutem Beispiel voran. Im Tiefbau rezyklieren wir schon heute rund 95 % des Materials. Im Hochbau liegen wir bei rund 40 % bis 45 %. Ich bin aber ein Gegner von fixen Recyclingquoten. Dort, wo Recycling möglich und sinnvoll ist, wird es ohnehin gemacht. Wenn das Recyclat aber verunreinigt ist und die Qualität des Folgeprodukts vermindert wird, wird es schwierig.   

Außerdem: Wir verbauen pro Jahr rund 100 Millionen Tonnen mineralischer Rohstoffe. Wir haben Baurestmassen von rund zehn Millionen Tonnen. Selbst wenn alles verwertet wird, fehlen immer noch 90 Millionen Tonnen.

(+) plus: Was war aus Ihrer Sicht die wichtigste Aktivität des Fachverbands Steine-Keramik im Jahr 2018? Welche Pläne gibt es für 2019?

Pfeiler: Da gab es viele. Wenn ich eine herauspicken muss, dann die Bau!Massiv! Breakfast Lounge im Juni. Da ist es uns gelungen, die Potenziale unserer Baustoffe aufzuzeigen. Wir müssen uns der Reduktion des Endenergieverbrauchs und der Betrachtung der Lebenszykluskosten stellen. Da haben mineralische Baustoffe einen enormen Vorteil.

Ein ganz wesentliches Zukunftsthema ist der Transport. Wir müssen die Verteilungsmechanismen unserer Baustoffe so beeinflussen, dass wir den Verkehr eindämmen können. Da wäre es hilfreich, wenn etwa LKW ihre technisch höchstzulässige Nutzlast ausreizen dürften. Eine Umlagerung auf die Schiene ist leider keine Lösung, denn die Baustellen liegen eben nicht immer an der Bahn. Dazu kommen das Ausbildungsthema und langfristig gesehen die Transformation der Energienetze. Denn in Zukunft müssen wir zusammenhängende Gebäudekomplexe als eigenständige Energienetze verstehen. Wir müssen autarker werden.

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