New York, Riad, Jakarta, Peking, Moskau, Kairo – sein Beruf führte Gerhard Mitrovits rund um den Erdball. Im Vorjahr kehrte der gebürtige Burgenländer als General Manager des Palais Hansen Kempinski in seine Heimat zurück. Nun rührt der gelernte Koch im Luxushotel am Wiener Schottenring kräftig um. Im Report(+)PLUS-Interview erzählt er über österreichische Gastfreundschaft, sein liebstes Familienrezept und was Wien zur Weltstadt fehlt.
(+) plus: Sie sind seit über 40 Jahren in der Hotelbranche tätig, haben in 13 Ländern gelebt. Was schätzen Sie an Wien besonders?
Gerhard Mitrovits: Wien ist nicht nur eine Großstadt, sondern hat Weltstadtcharakter. Das zeigt sich an den Prachtgebäuden, aber auch an den Menschen. Wien war und ist das Tor zum Osten. Ich glaube, es gibt in Europa keine andere Stadt, wo sich die verschiedenen Nationalitäten so vermischen wie bei uns. Die OPEC hat hier ihren Sitz, auch die Atomenergiebehörde, die OSZE und die UNO. Wien hat spannende Zeiten erlebt und diese Bedeutung nie ganz verloren.
(+) plus: Das Palais Hansen – vor 140 Jahren von Theophil Hansen erbaut – hat selbst eine lange Geschichte hinter sich. Wie wird diese Tradition für die Gäste spürbar?
Mitrovits: Viele bauen ein neues Haus auf die grüne Wiese, aber das sind Gebäude ohne Vergangenheit. Theophil Hansen hat an der Ringstraße Geschichte geschrieben. Wenn man diese Historie belebt, die alten Mauern mit Modernem kombiniert, ergibt das ein gutes Ensemble.
(+) plus: Sie wollen das Wiener Kempinski »verösterreicherisieren«. Wie sieht das konkret aus?
Mitrovits: Ich bin der erste österreichische General Manager in diesem Haus, diesen Fokus möchte ich einbringen. Wir arbeiten zum Beispiel eng mit einem Top-Fiakerfahrer zusammen. Einen eigenen Stellplatz dürfen wir zwar nicht haben, aber er wird permanent von Gästen gebucht. Im Foyer läutet sechsmal täglich ein Glöckchen und frischer Apfelstrudel wird serviert. Das wurde sogar im Magazin der »Singapore Airlines« erwähnt – als eines der besten Desserts Europas, für die sich eine Reise lohnt.
Meine Mitarbeiter erzählen auch gerne die Geschichte vom ältesten Kuchenrezept der Welt: Das ist die Linzer Torte. Natürlich haben wir auf unserem Dessertwagen auch eine sehr gute Sachertorte – saftiger als so manche bekannte Sachertorte. In unserem Restaurant gibt es österreichische Spezialitäten, ebenso in den Pausen bei Meetings. Das Angebot der österreichischen Winzer auf der Weinkarte haben wir stark ausgebaut. Wir bieten 40 Weine im Glas, vom Veltliner bis zum Uhudler. An den Schnittstellen nach außen – Concierge, Empfangschefin, PR-Managerin – beschäftigen wir Österreicher. Unsere ausländischen Kollegen sind ebenfalls Top-Leute, aber manche Positionen benötigen das gewisse Lokal-
kolorit.
(+) plus: Gerade in puncto Gastfreundlichkeit schneidet die österreichische Gastronomie aber nicht besonders gut ab. Ist das wirklich so eine gute Idee?
Mitrovits: Der Fisch beginnt am Kopf zu stinken. Ich bin Österreicher und auch freundlich. Wenn man das vorlebt, strahlt das auf die Mitarbeiter aus. Wir Österreicher haben ja ein besonderes Talent: Wir können – wenn wir wollen – die deutsche Disziplin leben, gepaart mit dem österreichischen Sinn für Humor. Mit dieser Mischung sind wir unschlagbar.
(+) plus: Sehen Sie mit einem Blick, woran es in einem Haus hapert?
Mitrovits: Sofort. Ich erkenne, ob ein Mitarbeiter Kompetenz hat oder nicht. Ob er mit den Kunden auf Augenhöhe kommuniziert, ohne arrogant oder unterwürfig zu sein. Und ob er zeigt, dass er seinen Job gerne macht. Meine Mitarbeiter dürfen selbstständig Entscheidungen treffen, um Gäste zufriedenzustellen. Sie müssen zum Beispiel nicht erst die Erlaubnis holen, einen Gast auf den Kaffee einzuladen, weil der ihn ein bisschen zu bitter fand. Unser Kaffee hat höchste Qualität, aber die Geschmäcker sind halt unterschiedlich.
Als Chef ist man Role Model für die Mitarbeiter. Natürlich bin ich der Boss und kann entscheiden, einen Mitarbeiter zu entlassen, wenn er nicht zu uns passt. Aber würde ich das tun? Sicher nicht. Vielleicht hat ein Mitarbeiter ein privates Problem; dann müssen wir ein Gespräch führen und eine Lösung finden.
(+) plus: Haben Sie hier gleich ordentlich umgerührt?
Mitrovits: Ob Dekoration wie die Teppichfarbe vor der Tür oder die Topfpflanzen vor dem Haus, Partner und Lieferanten oder das Angebot unserer österreichischen Speisen: Es sind viele kleine Schrauben, an denen ich drehe.
(+) plus: Bei vielen Hotelketten wirken die Häuser austauschbar. Braucht es ein Alleinstellungsmerkmal, um sich abheben zu können?
Mitrovits: Bei manchen Hotelketten weiß man nicht, in welcher Stadt man sich gerade befindet. Alle sehen gleich aus. Kempinski betreibt weltweit 76 Hotels. Diese Häuser sind alle individuell. Das Adlon in Berlin ist einmalig, das Emirates Palace in Abu Dhabi und das Ciragan Palace in Istanbul ebenso. Die Gebäude allein sind schon etwas Besonderes. Und Kempinski bringt überall den Local Touch hinein. Als Berliner Unternehmen müsste man sonst die Currywurst als »signature dish« anbieten – wer will denn das?
In Moskau hatten wir einen Sonntagsbrunch mit Hochrippe, Jakobsmuscheln, Hummer, zu dem immer rund 40 Leute kamen. Dann engagierte ich eine Köchin, die vor den Gästen frische Wareniki, also gefüllte Teigtaschen, zubereitete. Und in einem riesigen, verbeulten Topf – der Küchenchef wollte einen neuen Edelstahlkochtopf, aber ich bestand auf dem alten Reindl – wurde russischer Borschtsch gekocht. Na, was glauben Sie? Jeden Sonntag hatten wir 120 Gäste zum Brunch und alle wollten nur noch Wareniki und Borschtsch essen. Die Hummer und Jakobsmuscheln mussten wir reduzieren, die Hochrippe hat niemand mehr interessiert.
(+) plus: Lag das an der Show oder mehr an den traditionellen Speisen?
Mitrovits: Was essen Sie am liebsten? Wahrscheinlich die Gerichte ihrer Kindheit, stimmt’s? Das einzige Kulturgut, das wir besitzen, ist das Essen. Das wird von einer Generation zur nächsten vererbt. In meiner Familie ist das »Oma Marias Erbsensuppe«. Jeder kocht sie mit Freude, obwohl das ein ganz einfaches Gericht ist – Gemüse mit Butter anschwitzen, mit Suppenbrühe aufgießen, gehackte Petersilie drüberstreuen. Wir machen daheim die vierfache Menge mit zwei Kilo Erbsen und alles kommt weg, weil es so gut ist.
(+) plus: Sie haben wirklich noch Zeit zum Kochen?
Mitrovits: Ich koche dauernd, ganz ehrlich. Ich nehme mir für alles Zeit. Auch wenn ich manchmal einen Termin um eine halbe Stunde überziehe, gewinne ich im Grunde damit Zeit. Dann ist kein zweites und drittes Treffen notwendig, weil alles besprochen ist.
(+) plus: Was Wien zur Weltstadt fehlt, ist die Sonntagsöffnung der Geschäfte. Ist das für Touristen relevant?
Mitrovits: Es müssen ja nicht alle Geschäfte 24/7 geöffnet haben, aber das hier ist wirklich ein Witz. Ich habe in sechs Weltstädten gelebt. Als ich einmal um Mitternacht ein Gläschen Babynahrung für meine kleine Tochter brauchte, konnte ich das 20 Meter weiter kaufen. Versuchen Sie das einmal in Wien nach acht Uhr abends! Touristen fliegen am Wochenende lieber nach Paris zum Einkaufen. In China gibt es 460 Millionen Millenials. Das sind 20- bis 30-Jährige, die nur zum Shopping verreisen. Diese Kunden vermissen wir.
(+) plus: Ist das Luxussegment in der Wiener Hotellerie gesättigt?
Mitrovits: Wenn die Stadt Wien es schaffen würde, von den großen Kongressen – derzeit gibt ja nur noch den Radiologenkongress – mindestens fünf weitere wieder in die Stadt zu holen, könnten alle Spitzenhotels in diesen Wochen große Umsätze machen. Der Life Ball sorgt international für Furore und Gery Keszler hat das großartig etabliert. Der Wien-Marathon, der Eislaufplatz beim Rathaus und die Weihnachtsmärkte: Die Richtung stimmt schon, aber es wäre noch viel mehr möglich. Wien ist prädestiniert für Millionärshochzeiten. Wenn ein Paar zehn Tage feiern will, kann es das in Wien jeden Tag in einem anderen Palais tun. Es gab zwei Jahre hintereinander indische Hochzeiten, für heuer ist noch keine geplant. Da hätten die Tourismusabteilungen aufspringen können. Wien hat als fünfte Saison die Ballsaison mit 400 Bällen, die die ganze Wirtschaft antreiben, aber im Ausland kaum vermarktet werden. Das ist eine Riesenchance, die wir mehr nützen sollten.
(+) plus: Wird Wien Ihre letzte Station sein?
Mitrovits: Wien ist die Stadt, in der ich mit meiner Familie leben möchte. Ich werde dieses Jahr 65. Wir haben im Unternehmen keine Altersbegrenzung, aber ich möchte das noch ein paar Jahre machen. Mein Kopf, mein Elan, meine Passion reichen noch für 15 Jahre – so lange wird es wohl nicht dauern.
(+) plus: Sie haben so viel von der Welt gesehen, aber hier ist der Ort, an dem Sie bleiben werden?
Mitrovits: Wir müssen wieder lernen, intensiver zu genießen. Ich schalte um 23 Uhr mein Handy stumm. Am Wochenende fahre ich zu einem Weinbauern, hole im Gasthaus Backhendln und sitze mit meiner Frau draußen an einem schönen Holztisch. Wir schauen über die Weinberge und fühlen uns wohl. Dieses Zurückbesinnen brauchen wir.
Zur Person
Gerhard Mitrovits, geb. 1953 in Müllendorf bei Eisenstadt, lernte Koch und startete mit 21 seine Hotellaufbahn bei InterContinental. Er durchlief sämtliche Bereiche vom Lager und Spülküche über das Bankett bis zum Food & Beverage Department. Es folgten Aufgaben im Management und als Hoteldirektor bei Hyatt, InterContinental, und Steigenberger auf nahezu allen Kontinenten. 2007 wurde Mitrovits als Direktor des Hotels Frankfurter Hof in Frankfurt/Main zum Hotelmanager des Jahres in Deutschland gekürt. Danach wechselte er zur Luxushotelkette Kempinski, für die er Feinpositionierungen der Häuser in Jakarta, Moskau, Peking und Kairo vornahm. Seit 2017 führt er das 2013 eröffnete Palais Hansen Kempinski in Wien, das bereits unter die Top 3-Hotels der Stadt aufrückte und vom Forbes Magazine unter die zehn besten Hotels weltweit gewählt wurde.