Sonntag, Dezember 22, 2024
"Billig alleine ist zu wenig"
Foto: David Rudolf

Mit rund hundert Millionen Euro Umsatz und 900 Mitarbeitern ist Kraus & Naimer ein Marktführer bei Schaltgeräten – und das seit dem Jahr 1907. Wir sprachen mit Ernst Gmeiner, Geschäftsführer seit 2004, im Stammsitz im 18. Bezirk in Wien.

Report: Mit welchen Schwerpunkten ist Kraus & Naimer am Schaltgeräte-Markt tätig?

Ernst Gmeiner: Die Kraus & Naimer Gruppe besteht heute aus sechs Fabriken und 18 konzerneigenen Vertriebsgesellschaften rund um den Globus. Wir produzieren jährlich rund 4,3 Mio. Schaltgeräte und ich kann jetzt schon sagen: Heuer wird ein gutes Jahr.

Ein großer Schwerpunkt ist der Bau von individuell angefertigten Schaltgeräten. Es sind Spezialschalter, die von unseren Kunden mitentwickelt werden – mit einer bestimmten Anzahl an möglichen Schaltstellungen, Anzahl der Kontakte und was diese schalten – das beginnt bei einem modularen Nockenschalter für wenige Milliampere für Anwendungen in der Elektronik und geht bis zu Schaltern für 2.000 Ampere in der Notstromversorgung für Generatoren oder die unterbrechungsfreie Stromversorgung. Einfache Schaltgeräte von der Stange gibt es bei Kraus & Naimer ebenfalls – das ist aber nicht unser Schwerpunkt. Hier gibt es Anbieter, die billiger produzieren und auch ein anderes Verständnis von Qualität haben. Wenn wir kopiert werden, dann betrifft das meist auch diese Standardprodukte.

Report: Welches ist das erfolgreichste Produkt derzeit?

Gmeiner: Ich sehe hier eigentlich kein spezielles Gerät, sondern ein riesiges Baukastensystem mit mehr als 15.000 unterschiedlichen Artikeln. Das betrifft Haupt-, Notaus- und Reparaturschalter im Maschinenbau und in der Stromverteilung sowie Sondersteuerschalter aller Art – für mechanische oder elektrische Sperrvorrichtungen, Schalter für Steueraufgaben oder Gleichstromschalter für Photovoltaik­anlagen.

Report: Sind Produktfälschungen ein großes Thema am Schaltgerätemarkt?

Gmeiner: In China gibt es jede Menge Kopien unserer erfolgreichen Blauen Reihe. Diese sind äußerlich so gut kopiert, dass es oft auf dem ersten Blick für Kunden schwer ist, das Original von der Fälschung zu unterscheiden. In Österreich treffen wir meist auf Plagiate, wenn diese mit Maschinen und Anlagen aus China mitgeliefert werden.

Tatsächlich werden wir immer wieder mit Reklamationen konfrontiert, bei denen sich die betroffenen Produkte aber als Fälschungen herausstellen. Das hat aber auch eine gute Seite. Man sieht, dass sehr wohl ein Unterschied besteht – billig alleine ist zu wenig.

Report: Wer sind Ihre Kunden?

Gmeiner: Es sind Unternehmen jeder Größe aus dem Maschinenbau und Elektrotechnik. Das betrifft generell Geräte für die Stromverteilung in Kraftwerken, Umspannwerken, Schiffe, Seilbahnen, überhaupt Bahnanwendungen – überall dort, wo Qualität und Sicherheit gefragt sind. Unsere Schaltgeräte sind universell einsetzbar, es gibt sie auch in der Gebäudeinstallation. Dort werden natürlich kleinere Lasten geschalten, bei Garagentoren etwa oder für die Beleuchtung. So findet man unsere Geräte auch in Schönbrunn oder im Kunsthistorischem und im Naturhistorischem Museum. Schwerpunkt ist aber klar Industrie und industrienahes Gewerbe, also Zulieferer ebenso wie Installationsbetriebe. Um diese vielen, teils kleinen Unternehmen bedienen zu können, ist der Großhandel ein wichtiger Partner für uns.

Report: Ihre größte Produktionsstätte befindet sich in Österreich. Was sind die Argumente für den Standort Österreich und wie sieht Ihr Engagement weltweit aus?

Gmeiner: Nun, zum einen gibt es uns schon sehr lange in Österreich. Kraus & Naimer hat vieles, das den Schaltgerätemarkt heute ausmacht, erfunden und entwickelt. Hier kennen wir uns aus, hier sind wir stark und Qualität ist einer der wesentlichen Unterscheidungspunkte zum Mitbewerb. Unsere Kosten in der Produktion sind höher als jene eines chinesischen Mitbewerbers, also müssen wir Produkte anbieten, die noch besser auf den Anwendungsfall zugeschnitten sind. Es muss die Qualität stimmen – mit allen international gängigen wichtigen Prüfzeichen. Damit können unsere Kunden letztlich auch wieder Kosten sparen.

Dieser Vorsprung vom Heimatland Österreich aus eröffnet uns nicht nur den europäischen Markt, sondern ist die Basis für unseren Erfolg weltweit – mit unserem zweitgrößten Werk in Karlsruhe, mit Produktionsanlagen in den USA, Neuseeland und in Brasilien. Auch Südost­asien ist ein sehr wichtiges Standbein für uns. Japan ist ebenfalls ein aufstrebender Markt mit noch viel Potenzial. Die Philosophie in diesen Ländern ist oft ganz anders, wodurch sich auch die Geschäftsbeziehungen unterschiedlich gestalten. Aus diesem Grund engagieren wir in unseren weltweiten Vertriebsgesellschaften immer Manager aus dem jeweiligen Land, welche die kulturellen Feinheiten einfach besser kennen.  

Report: Wie ist die Lohnkosten-Situation in der Fertigung in Österreich und Nachbarländern?

Gmeiner: Es kommt stark darauf an, ob wir von Fachkräften oder Arbeitern in der reinen Montage sprechen. Eine Fachkraft in Ungarn kostet in etwa gleich viel wie eine Fachkraft in Österreich. Logis­tisch perfekt besitzt Kraus & Naimer ein Werk in der Nähe von Sopron mit rund 40 Beschäftigten, in das vor allem lohnintensive Handarbeit ausgelagert wird. Wir haben diese verlängerte Werkbank seit gut zehn Jahren. In dieser Zeit ist das Lohnniveau natürlich in Ungarn gestiegen, doch der Wechselkurs Euro-Forint hat dies weitgehend ausgeglichen. 

Report: In welcher Weise ist Automatisierung in die Fertigung eingezogen?

Gmeiner: Was automatisiert werden kann, wird automatisiert – gerade auch in Weikersdorf. Doch gibt es Bereiche, in denen sich eine Automatisierung aufgrund von komplizierten Prozessen, der nötigen Geschwindigkeit oder einfach aus Kostengründen nicht auszahlt. Gerade in unserem Schwerpunktbereich des Sondergerätebaus haben wir oft mit kleinen Stückzahlen zu tun. Doch bei Automatisation sollte man nicht nur an Maschinen denken, die etwas selbstständig zusammenbauen. Dies beginnt eigentlich viel früher, schon draußen beim Kunden und unserem Vertriebsbereich. Wir haben viel in unsere eigene Softwarelösung reingesteckt, mit der – irgendwo auf der Welt – digital die gesamte Spezifikation eines Gerätes definiert werden kann.

Die Eingaben fließen direkt in unsere Fabrik, zum Großteil direkt zu den Maschinen und steuern diese. Anschließend wird die Schaltabwicklung – Herz jeden Geräts – halbautomatisch oder auch automatisch geprüft. Wir können damit praktisch fehlerlose Geräte liefern – das wird am Markt geschätzt. Wenn man also immer von Industrie 4.0 spricht: In einzelnen Bereichen haben wir das bereits umgesetzt.

Report: Stichwort Fachkräftemangel: Sind Sie davon betroffen?

Gmeiner: Auch wenn es vielleicht eigenartig klingt – im technischen Bereich leiden wir nicht darunter. Der Grund ist ganz simpel: Wir haben derzeit in Weikersdorf zehn Lehrstellen und besetzen sofort nach, sobald jemand fertig wird. Die meisten – 60 bis 70 Prozent der Lehrlinge – bleiben auch im Haus. Die Leute fühlen sich wohl bei uns. Das verringert klar die Fluktuation, auch im IT-Bereich.

Natürlich bekommt man das nicht geschenkt, man muss auch investieren. So versuchen wir auch ständig, junge Leute von HTLs, dem TGM und auch Fachhochschulen zu uns zu holen und für größere Aufgaben auszubilden. Ich selbst bin ein sehr gutes Beispiel dafür: Vom TGM kommend, habe ich im Unternehmen in der Entwicklung begonnen und in den über 30 Jahren zahlreiche Stationen durchlaufen. Wir versuchen so nachhaltig und mit hoher Kontinuität wie möglich zu agieren – sowohl beim Personal als auch in der Produktentwicklung und bei unserem Auftritt nach außen. Es geht nicht um den schnellen Vorteil, sondern um eine nachhaltige Wertschöpfung.

Report: Wie sieht die Zukunft des Schaltgerätemarkts aus? Was ist in nächs­ter Zukunft zu erwarten?

Gmeiner: Bei den Lasttrennschaltern kommen wir mit einem neuen Produkt auf den Markt, das eine bisherige Reihe ablösen wird. Wir haben in den KA40/63 2018 unser gesamtes Know-how hineingepackt: spezielle Materialien, größere Anschlussklemmen, und auch das Thema Lichtbogenlöschung, das besonders beachtet wird. Es ist aber nicht nur das Produkt, sondern auch die mögliche weitgehende automatisierte Fertigung. Wir sehen eine Renaissance des Gleichstroms, die mit Anwendungen in der Photovoltaik und der Energiespeicherung mit Batterien noch weiterwachsen wird.

Das Löschen eines Lichtbogens ist bei Gleichstrom im Gegensatz zum Wechselstrom – dort helfen die Null-Durchgänge im Verlauf der Sinus-Welle beim Löschen – eine Wissenschaft für sich, mit der wir uns auch bei unseren Schaltgeräten mit entsprechendem Know-how und auch dem Einsatz neuester Materialien beschäftigen.

Ein weiterer Trend betrifft die Erweiterung unserer bisher auf elektromechanische Lösungen fokussierten Palette in Richtung Elektronik und Industrie 4.0. Derzeit beschäftigen sich damit auch zwei Masterarbeiten Fachhochschule Technikum Wien, die ich begleiten darf.

Auch Human-Machine-Interfaces sind ein Innovationsthema – etwa, in welcher Weise Touchscreens die klassischen Handschalter zumindest an der Oberfläche ersetzen können. Wir haben damit auf der SPS 2016 in Nürnberg gestartet und werden nun in einem Pilotprojekt unsere Marktchancen dazu prüfen.


Über das Unternehmen

Kraus & Naimer wurde 1907 in Wien gegründet und ist Zulieferer von Schaltgeräten für Industriekunden aus vielen Bereichen, wie Verkehr (Bahnen, Fahrzeuge, Schiffe), Fördersysteme, Liftsysteme, Maschinenbau und in Anlagen der Stromerzeugung und Stromverteilung. Das Familienunternehmen wird in dritter Generation seit 2004 von ­Joachim L. Naimer geführt und betreibt zur Herstellung seiner Produkte aktuell sechs Fabriken – mit der betriebsgrößten Fabrik in Weikersdorf, NÖ – sowie 18 konzerneigene Vertriebs- und Beratungsgesellschaften weltweit und beschäftigt insgesamt gut 900 Mitarbeiter. http://www.krausnaimer.at/

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