Sonntag, Dezember 22, 2024

Alexander Decker ist Innovations Manager und Experte für Elektromobilität bei T-Systems und der Deutschen Telekom. Er spricht über die Entwicklungsfortschritte in der Technik, die großen Erwartungen der europäischen Fahrzeughersteller und Herausforderungen in den Bereichen Infrastruktur und Akku-Fabriken.

Report: Die Diskussionen rund um das Thema Elektromobilität gehen längst über die Grenzen des Fahrzeugs hinaus – bis hin zu intelligenten Infrastrukturen, neuen Geschäftsmodellen und auch neuen Denkweisen bei den Herstellern. Wie positioniert sich hier Ihr Unternehmen?

Alexander Decker:
Dieter Zetsche, Vorstandsvorsitzender bei Daimler, sieht drei bis fünf Prozent der Belegschaft des Automobilkonzerns künftig nicht mehr in den starren Hierarchien arbeiten, sondern sich projekt- und themenweise frei fließend organisieren. Gleiches tun wir bei T-Systems in den Bereichen Elektromobilität und E-Car-Infrastruktur. Wir haben in diesem offenen Ansatz schnell bemerkt, dass wir Komplettlösungen für Vernetzungs- und Techniklösungen für die Infrastruktur rund um Elektromobilität liefern können und forcieren das auch.

Report: Können Sie uns eine Einschätzung geben, wie sich der E-Car-Markt in den nächsten Jahren entwickeln wird?

Decker:
Derzeit hat man den Eindruck, dass die Elektromobilität noch sanft schläft, also der Markterfolg fehlt. Um die weitere Entwicklung einschätzen zu können, muss man die drei Faktoren R.I.P –  Reichweite, Infrastruktur und Preis – betrachten. Erst wenn in der Breite des Fahrzeugangebots eine Reichweite von 300 km und mehr erreicht werden wird, wird Elektromobilität von der Mehrheit als alltagstauglich empfunden werden. Das eigene, tatsächliche Fahrverhalten ist dabei unerheblich. Ich selbst fahre seit knapp drei Jahren einen BMW i3. Er hat eine Reichweite von 120 km. Wenn ich Heizung oder Klimaanlage ausschalte und besonders vorausschauend fahre, sind es etwas mehr. Sie können mir glauben: Es ist keine besondere Fahrfreude, mit 20 Kilowattstunden Batterieleistung 180 km Fahrstrecke zu meistern.

Dieses Reichweitenthema wird sich aber in Kürze lösen: Tesla stellt mit der Ankündigung eines Mittelklassewagens mit einer mindestens 60 kW/h großen Batterie realistische, alltagstaugliche 350 km oder mehr in Aussicht. Die europäischen Hersteller werden vergleichbare Modelle auf den Markt bringen – sie sind für 2018 und 2019 angekündigt. Besonders die deutschen Hersteller wissen: Wenn der Tesla-Mittelklassewagen kommt, wird er den Markt ordentlich antreiben. Das Mittelklassesegment ist die Cashcow der Branche. 80 % der Fahrzeuge – Audi A4, BMW 3er, Mercedes C-Klasse, VW Passat – sind Geschäftsfahrzeuge. In Deutschland wird bereits diskutiert, Geschäftsfahrzeuge ebenso wie in Österreich bevorzugt zu besteuern. Wenn die Mitarbeiter und Unternehmen einen Vorteil haben, dass sie elektrisch fahren, wird das Interesse sprunghaft ansteigen.

Report: Wie sieht es beim Faktor Preis aus? Elektrofahrzeuge sind in der Anschaffung noch teuer.

Decker:
Auch dieses Problem wird sich mittelfristig lösen, da die Anschaffungspreise weiter sinken. Die prognostizierte Kurve der Preise für Lithium-Ionen-Akkus zeigt stetig nach unten. Es mag schon sein, dass sich vielleicht auch andere Batterietechnologien durchsetzen werden – aber die Richtung ist dieselbe. Tesla kann jetzt schon dank niedriger Rohstoffpreise Batterien um 150 Dollar Kosten pro kW/h anbieten. Dieses Verhältnis wird sich weiter verbessern, Elektroautos werden sich künftig noch stärker rechnen.

Prinzipiell hat die Branche das Preisthema bisher schon klug gelöst: Bei den teuren Premium-Fahrzeugen, die zuerst am Markt waren, ist eine 10.000 Dollar teure Batterie nicht so ins Gewicht gefallen. Bei einem Kleinwagen dagegen spielt das schon eine wesentliche Rolle.

Report: Reichweite und Preis sind also Faktoren, welche von den Automobilherstellern selbst in Angriff genommen werden. Wie sieht es mit der Infrastruktur aus?

Decker:
Der VW-Konzern hat mehrere Fahrzeuge für die nächsten Jahre angekündigt, die 300 bis 400 km Reichweite haben – auch im Nutzfahrzeugbereich. Auch wenn die meisten Menschen maximal drei bis viermal im Jahr größere Strecken am Stück fahren, werden sich viele den Kauf eines solchen Autos zweimal überlegen. Tesla aber bietet mit seinen Schnelllade-Stationen entlang der Autobahnen eine Lösung auch für die Langstrecke. Somit hat die europäische Industrie ein großes Interesse, in den kommenden Jahren für eine gleichwertige Infrastruktur zu sorgen. Wer aber schafft es, in der Kürze großflächig Infrastruktur in ganz Europa aufzubauen? So denkt man auch in der Deutschen Telekom derzeit nach, ob wir das umsetzen könnten – in Deutschland ebenso wie in anderen Ländern.

Report: Gibt es da nicht einen Wettbewerb mit der Energiewirtschaft selbst, die teilweise ebenfalls Netze aufbaut?

Decker: Die Aktivitäten der lokalen Energieversorger sind sehr verhalten. Wenn einzelne Unternehmen innerhalb von drei, vier Jahren ein paar hundert Ladestellen errichten, ist das nicht mehr als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Wenn man aber einen kleineren Markt abdeckt, ist natürlich ein Geschäftsmodell in signifikant anderer Größe schwierig.

Es gibt de facto niemanden aus der Energiebranche, der hier als Anbieter großflächig tätig ist. Smatrics bietet hier eine kleine Ausnahme – wobei der Begriff Schnellladung bei vielen Alternativen zu Tesla Erklärungsbedarf hat. Ob man bei einer Ladedauer von 40 Minuten bei 50 kW Leistung und 200 km Reichweite von einer schnellen Ladung sprechen kann, ist schon fraglich. Mit den weiteren technischen Entwicklungen werden wir aber bald 300 km Reichweite mit 20 Minuten Ladeweile haben. Eine Kaffee- und WC-Pause alle 300 bis 400 km ist für die meis­ten schon recht erträglich.

Report: Welche weiteren Herausforderung sehen Sie neben dem Infrastruktur-Thema auf den Elektromobilitätsmarkt zukommen?

Decker:
Bei allen Ankündigungen der Hersteller sind diese bisher noch die Antwort schuldig geblieben, wo die vielen nötigen Batterien erzeugt werden. VW möchte bis zum Jahr 2025 den Elektromobilitätsanteil seiner weltweit verkauften Fahrzeugflotte auf 25 Prozent erhöhen. Alleine für die Marke VW würden das jährlich drei Millionen batteriebetriebene Fahrzeuge bedeuten. Die Gigafactory von Elon Musk wird ab 2019 oder 2020 einen Output von 500.000 Fahrakkus jährlich haben. VW bräuchte also sechsmal die Größe einer Gigafactory. Ich sehe nicht, wo diese derzeit gebaut werden.

Auch Kooperationen mit chinesischen Auto- und Akkuhersteller werden der europäischen Industrie nicht besonders helfen. Der chinesische Markt benötigt die produzierten Akkus selbst – die Binnennachfrage ist einfach so groß, da China dringend seine Städte von Feinstaub und Emissionen befreien muss.

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